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Wirtschaft

21. Dezember 2021

Das Braunschweig Wolfsburg Sofa

Tapetenwechsel in Eigenregie

Von Falk-Martin Drescher

(Fotografie: Marc Stantien)

Was ist in puncto Digitalisierung als Infrastruktur- und Kulturfrage wichtig – und: wie ist ein Kulturwandel in puncto New Work, Bildungspolitik und digitale Verwaltung zu meistern?Über diese und weitere Themen sprachen für STADTGLANZ im Interview:
Dennis Weilmann (Wirtschaftsdezernent der Stadt Wolfsburg) sowie
Florian Bernschneider (Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Region Braunschweig) in unserem neuen Format mit Digitalisierungs­experten
Christian Bredlow (Digital Mindset) und Staatssekretär Stefan Muhle (Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung).

Bernschneider  Lassen Sie uns mit einem Thema einsteigen, ohne das Digitalisierung nicht funktionieren kann: Die notwendige Infrastruktur. Beim Glasfaserausbau sind wir im internationalen Vergleich weit abgeschlagen und wiederholen die Fehler beim 5G- Ausbau aus meiner Sicht nun erneut: Die Politik organisiert einen Wettbewerb, welcher Anbieter am meisten Netz hat, statt Wettbewerb auf einem Netz zu fördern. Ist es nicht Zeit für echte strukturelle Veränderung im Netzausbau?

Muhle  Am Ende ist mein Eindruck, dass wir als großer Bruder der Kommunen – als Land Niedersachsen – an einem Punkt sind, an dem wir uns fragen müssen: Finden wir uns mit dem Rahmen ab, den der Bund absteckt? Eine kritische Betrachtung der Fehler, die vielleicht gemacht worden sind, hilft uns nun vermutlich nicht mehr. Und um ein ganzes System umzudrehen, sind wir viel zu weit fortgeschritten. Entscheidend ist jetzt das Tempo – und schnell ist dabei immer noch zu langsam. Wir können gar nicht anders, als den Bereich nun als Managementaufgabe zu verstehen – das haben wir in den vergangenen Jahren nicht praktiziert. Da gab es nur Parolen und Versprechungen.

Weilmann  Der flächendeckende Glasfaserausbau, wie wir ihn in Wolfsburg
bereits umsetzen, wird die entscheidende Grundlage für die digitale Transformation in den Städten sein. Beim Thema Breitbandausbau sind wir schnell beim Mobilfunk, 5G. Eine Bundesministerin hat für ihre Aussage „5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig“ viel Prügel einstecken müssen. Können wir es denn realistisch gewährleisten, 5G flächen­deckend bundesweit hinzubekommen?

Muhle  Die Diskussion hat zwei Komponenten. Einerseits eine psychologische
– und da halte ich solche Aussagen für brandgefährlich, da sie Menschen, die nicht in
den urbanen Räumen leben, das Gefühl gibt, dass sie auf dem Land außen vor sind.
Und die Bruttowertschöpfung wird zu 65 Prozent im ländlichen Raum erwirtschaftet,
da findet das wirtschaftliche Leben statt. Daher kann es da gar keine Diskussion geben.
Die andere Komponente ist die technologische: Kennt man sich mit den Frequenzen
aus, sagt man, dass die falschen Frequenzen in der Versteigerung sind. Denn sie würden sich nicht für eine flächendeckende Versorgung eignen. In einer politischen Debatte ist das zuletzt zu kurz gekommen. Wir müssen uns da mehr sachlich orientieren und vor allem über andere Frequenzen mit größerer Reichweite sprechen. Denn wir wollen perspektivisch alle erreichen – das ist unsere Botschaft. Wir können nicht über 98 Prozent, sondern müssen über 100 Prozent sprechen.

Bredlow  An der Milchkanne wohnen Leute, die beispielsweise in Unternehmen aus dem urbanen Raum arbeiten und auch Projekte von zu Hause aus erledigen wollen. Oder denken wir an Arztpraxen und Bahnstrecken durch den ländlichen Raum. Da muss jetzt etwas getan werden.

Weilmann  Und es ist dabei ja auch ein Irrglaube, dass die Themen in der Stadt automatisch funktionieren. Mitunter holen ländliche Gebiete die Städte dabei schon ein – das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.

Bernschneider  Jetzt haben wir viel über Infrastrukturen gesprochen. Aber nach dem Glasfaserausbau fängt Digitalisierung ja erst an. Sprechen wir zu viel über Technik und zu wenig über die notwendige Kultur zur Digitalisierung?

Bredlow  Infrastruktur kann eine prima Ausrede sein. Denn solange sie nicht
in der Form gegeben ist – passiert nichts und ich kann weiter meckern. Ich allerdings gehe davon aus, dass das erledigt wird und kann mich nicht weiter beschweren.
Ich will mein Unternehmen nach vorne treiben und im Rahmen der Möglichkeiten meine Themen entwickeln. Die Ausrede Infrastruktur müssen wir beiseiteschieben und dürfen nicht aufhören, uns weiterzuentwickeln. Vorrangig müssen wir dann
über Recruiting, neue Arbeitswelten, Kulturwandel und andere wesentliche Aspekte diskutieren.

Weilmann  Wir machen an dieser Stelle einen Schwenk in Richtung Bildung. Wie sind wir dabei aufgestellt – und wie müssen wir aufgestellt sein, um zukunftsfähig zu sein? Werfe ich einen Blick in die Schulen in Wolfsburg, dann stellen wir teilweise schon eine gute Infrastruktur, gleichwohl Nachholbedarf bei der Lehrerausbildung fest…

Muhle  Bildungspolitik fängt aus meiner Sicht nicht beim Tablet im Klassenzimmer, sondern mit der Schultoilette an. Das sagt schon viel darüber aus, was uns unser Bildungssystem wert ist. Sicherlich nicht das, was es sein müsste. Selbst unser Digitalpakt ist heruntergerechnet nicht viel mehr als Infrastruktur. Das ist nicht
zeitgemäßes Lernen, da gehört viel mehr dazu.

Wir werden am Ende nicht darauf warten können, dass strukturelle Komplettlösungen für alle vorhanden sind, sondern es wird ganz wesentlich auch darum gehen, in den Schulen die Eigeninitiative zu unterstützen. Das ist für mich das wichtigste Anliegen, daher kümmern wir uns etwa ganz stark um die Berufsschulen, die aus meiner Sicht eine Art Rolle als Eisbrecher übernehmen. >

Bredlow  Es geht nicht um Hierarchie – sondern um das Vernetzen. Die Leute wollen nicht mehr warten und gründen stattdessen eigenständig Initiativen oder Bündnisse, wie etwa in Wolfsburg den DIGES-Verein. Etwas klappt nicht? Okay, dann lösen wir es eben selbst.

Bernschneider  Digitalisierung in der Breitenbildung ist das eine – die klügsten IT-Köpfe der Welt gewinnen wir damit aber noch nicht. Unter den weltweiten Top 20 IT-Unis befindet sich keine einzige deutsche. Die TU München schafft es gerade mal unter die Top 50. Brauchen wir in Niedersachsen nicht endlich eine IT-Spitzenuni?

Muhle  Ich habe nicht den Eindruck, dass wir im Bereich der Ausbildung nicht interessant sind. Da muss man etwa nur mal an die Leibniz-Universität gehen, da wird an den Fakultäten in den unterschiedlichsten Sprachen gesprochen. Die Frage ist aus meiner Sicht eher: Wie gehen wir mit den Studierenden um? Geben wir ihnen das Gefühl, dass sie hier willkommen sind und wir uns freuen würden, wenn sie nach dem Studium hier bleiben? Machen wir den Leuten gute Angebote?

Weilmann  Entscheidender Erfolgsfaktor wird sein, dass wir alle Menschen – gene­ra­tionsübergreifend – auf dem Weg mitnehmen. Wir haben in Wolfsburg im vergangenen
Jahr einen Digiday durchgeführt, bei dem die Menschen Digitalisierung hautnah erleben konnten. Noch in diesem Jahr werden wir mit der Markthalle in der Wolfsburger Innenstadt ein neues digitales Zentrum errichten. Wie müssten denn die weiteren Rahmenbedingungen sein?

Bredlow  Ich glaube, dass es nicht nur um IT-Jobs geht, sondern grundsätzlich darum: Wie machen wir uns als Land Niedersachsen so attraktiv, dass man gerne herkommt und auch gern hier bleibt. Da helfen Gründerfonds und Investorenkapital auch nur bedingt, denn nicht jeder will gleich Entrepreneur werden. Letztlich ist das Stadtmarketing: Warum gehen Leute gerne nach Berlin, Köln oder München. Die Angebote für die Zielgruppe müssen gefördert werden, seien es Mobilitätsthemen – komme ich überall ohne Auto gut voran? Dann geht es um bezahlbaren Wohnraum, der nicht groß und edel sein, sondern eher eine vernünftige Umgebung mit Supermärkten, Bars & Co. bieten muss. Ich kann nicht bewerten, ob das schon überall gegeben ist – sondern nur darauf hinweisen, dass das wirklich wichtig ist. Fragt doch mal die Studierenden: Möchten sie nach dem Studium hierbleiben? Da spielen auch so Schlagworte wie Heimat und Identität eine Rolle.

Bernschneider  In den USA fahren Autos autonom, hier streiten wir immer noch über rechtliche und ethische Fragen. Wie gehen wir mit diesen Diskussionen um? Wie finden wir einen gesellschaftlichen Konsens, damit rechtliche und ethische Fragen kein Bremsklotz der Digitalisierung werden?

Bredlow  Ich denke, dass da Aufklärungsarbeit und die Begeisterung für solche Themen ganz essenziell sind. Man muss es ausprobieren und selbst für sich bewerten können. Nur dann kann ich dazu eine vernünftige Meinung haben. Wenn ich mir meine Meinung zu neuen Mobilitätsthemen von einem brennenden Tesla, der stundenlang auf
der Autobahn gebrannt hat, ableite, dann wird das nicht ausreichen.

Muhle  Warum haben wir hier keine Teststrecke für autonomes Fahren, wo Niedersachsen das Thema selbst erleben können? Wir wollen Menschen für die Technologie begeistern, also haben wir da noch Nachholbedarf.

Falk-Martin Drescher

studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.

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