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Lifestyle

9. August 2023

Der zum Dauerbrenner gereifte Underdog

Ein Streifzug durch die Geschichte des Braunschweiger Bundesliga-Basketballs

(Fotografie: Florian Bonau)

Wenn es im Braunschweiger Basketball einen Urknall gab, dann ist er bereits 1978 mit dem Zusammenschluss der Basketballer des MTV und der Freien Turnerschaft zur Spielgemeinschaft FT/MTV Braunschweig erfolgt. Schritt für Schritt gelang ein Aufstieg, der nach genau zehn Jahren im ersten Gastspiel in der Basketball Bundesliga münden sollte. Zwar stieg die überforderte Mannschaft damals mit ernüchternder Sieglos-Bilanz direkt wieder ab, doch der erneute Aufstieg im Jahr 1991 läutete, mit Ausnahme eines Zweitliga-Jahres Mitte der 90er, die Dauerpräsenz der Löwenstadt im Basketball-Oberhaus ein.

Seit 2014 kämpft das Team, das von der Saison 1999/2000 an unter der Flagge wechselnder Namenssponsoren respektive Lizenznehmer agierte, als Basketball Löwen Braunschweig um Bundesligapunkte. Bis 1999 war die SG selbst in der ersten Bundesliga aktiv, gab die Lizenz dann aber an Metabox Braunschweig ab und zog sich in die 2. Bundesliga zurück, von wo aus sie als Unterbau dem Braunschweiger Erstligisten bis zum Rückzug am Ende der Saison 2014/15 als Kooperationspartner und Nachwuchsfördermannschaft diente.
 

Die Stein-Ära


Vom heutigen 3,8-Millionen-Euro-Etat – aus wirtschaftlicher Sicht wahrscheinlich das Minimum, mit dem man Basketball Bundesliga an einem Standort wie dem hiesigen überhaupt betreiben kann – war man zur Anfangszeit in Deutschlands höchster Spielklasse meilenweit entfernt. Mit minimalen Mitteln in Höhe von offiziell 100.000 D-Mark wurde die Premierensaison 1988 angegangen. Eng verknüpft mit der Entwicklung des Basketballsports in der Stadt und dem Abenteuer Bundesliga war der Name Stein. Der inzwischen verstorbene Eckhard Stein fungierte als Trainer, während seine Söhne Lothar (als Spielertrainer) und Harald feste Größen auf dem Parkett waren.

Harald Stein, der als Direktor und Jugendtrainer der ungarischen Basketballschule Vasas Akadémiá dem Sport weiterhin verbunden ist, in seiner aktiven Bundesliga-Karriere vier Mal zum erfolgreichsten deutschen Korbwerfer avancierte, sechs Nationalspiele absolvierte und in der vor acht Jahren erschienenen Chronik des Braunschweiger Bundesligabasketballs als „die Braunschweiger Basketball-Ikone schlechthin“ bezeichnet wurde, erinnert sich: „Im Prinzip war es so, dass die Anfänge der SG die Anfänge der Idee markierten, Bundesliga-Basketball nach Braunschweig zu bringen und zu eta-blieren. Mein Bruder Lothar, der die erste Mannschaft übernommen hat, sagte schon in der fünften Liga, dass perspektivisch die erste Liga das Ziel sein muss. Die beiden Initiatoren der SG, Jürgen Günther (Freie Turner) und mein Vater Ecki (MTV), haben das von Anfang an unterstützt. Es war natürlich wenig Geld da, wenn man über Profi-Basketball spricht, und es war immer klar, dass wir mit diesem Etat eigentlich nicht konkurrieren können. Aber wir sind schon damit aufgewachsen, dass es vor allem darum geht, rund um das rein Sportliche, Werte zu schaffen und dafür eine Wertschätzung zu bekommen. Es ist eine Sache der Perspektive. Jemand könnte sagen, die haben wenig Geld, die müssen das so machen. Da sage ich: Nein, wir wollten das auf diesem Weg. Es ging immer um den Akademie-Gedanken, darum früher oder später aus eigener Kraft in die erste Liga zu kommen, ohne zusätzliche ausländische Spieler, allein mit den von uns ausgebildeten Spielern aus der Region.“

Basketballkultur entsteht


Sportlich, finanziell und für das gesamte Umfeld sei die Bundesliga sicher zu früh gekommen. Nachdem sich Göttingen aus der ersten Liga zurückzog, sei man gefragt worden, ob man – als Aufsteiger in der zweiten Liga Nord soeben auf dem sechsten Platz gelandet – aufrücken wolle. „Die Liga wollte nicht mit einem Team weniger spielen und die Mannschaften, die vor uns platziert waren, wollten das Risiko nicht eingehen. Wir haben dann gesagt, dass wir das sportliche Risiko eingehen, wenn wir kein finanzielles auf uns nehmen. Das entscheidende Argument am Ende war: Wer weiß, ob wir jemals wieder die Chance haben werden. Das Schlimmste wäre doch gewesen, wenn wir später immer hätten sagen müssen: hätten wir es doch versucht. Dementsprechend ist das alles abgelaufen und dementsprechend war auch der Rahmen“, erzählt Stein aus der Retrospektive.

Vor dem Ausblick, Karriereperspektiven einzelner Spieler sicherzustellen, wurde aufgrund des Sieglos-Abstiegs und nicht erfolgten direkten Wiederaufstiegs ein passender ausländischer Unterschiedsspieler gesucht und gefunden: Stefan Svitek, der die SG FT/MTV Braunschweig in der Saison 92/93 erstmals in die Playoffs führen sollte. „Meine Eltern sind noch nach Kosice gefahren und haben mit ihm und seinen Eltern gesprochen. Wir kannten Stefan aus den tschechischen Nationalmannschaften. Er war ein Spieler, der heute direkt in die NBA gegangen wäre“, schwärmt Stein.

Damals wurde in der stets und ständig ausverkauften Sporthalle Alte Waage, dem ehemaligen Basketball-Wohnzimmer, bei frenetischer Stimmung der Samen für eine blühende Basketballkultur in der Stadt gestreut. „Wir waren immer ein Teil des Braunschweiger Lebens. Für viele in meiner Generation war es so, dass man am Samstagabend in die Alte Waage ging und danach zog man in die Stadt weiter. Am Anfang haben die Spiele ja gar keinen Eintritt gekostet. Da ging immer eine Frosch-Spardose rum, wo für die Jugendabteilung gespendet werden konnte. Später hat es dann eine D-Mark gekostet, weil wir wissen mussten, wie viele Leute in der Halle sind. Die Idee war, weil wir selbst alle sehr jung waren, Schüler oder Studenten zu begeistern, um potenziellen Sponsoren eine möglichst volle Halle zu präsentieren.“

Dass das vornehmlich auf den Faktor Begeisterung aufgebaute Basketball-Projekt irgendwann an einen Punkt kommen würde, wo es um größere wirtschaftliche Interessen, einen größeren wirtschaftlichen Rahmen geht, sei jedem klar gewesen, meint Harald Stein. Auch, dass eines Tages andere handelnde Personen mit ins Boot kommen. Dies war bereits im Sommer 1992 der Fall: Spediteur Richard Hartwig übernahm als alleiniger Gesellschafter die Führung des Lizenzinhabers des Erstligisten (SG Basketball GmbH). Nachdem die Mannschaft 1994 auf sportlichem Wege aus der Basketball-Bundesliga abstieg, erwarb der Fuhrunternehmer die Bundesligalizenz der BG Bramsche/Osnabrück, sodass Braunschweig ab der Saison 1995/96 wieder in der höchsten deutschen Spielklasse antrat.

Liviu Calin hebt Spielerentwicklung auf neues Niveau


„Wir waren mit einer Zweitligamannschaft in der ersten Liga und wollten irgendwie überleben. In einem Spiel hat Trainer Chet Kammerer eine volle Kiste Wasser gegen die Wand geworfen. Die Spieler sind dann energischer rausgegangen. Er kam dann lachend zu mir und fragte: Na, wie war das?“, berichtet Liviu Calin schmunzelnd. Acht Jahre war der Rumäne für den Basketball Verband in seinem Heimatland tätig, zuletzt als Cheftrainer, bevor ihn die SG FT/MTV Braunschweig auf Empfehlung eines in Braunschweig lebenden Freundes kontaktierte und zum 1. April 1992 fest engagierte. „Die Steins haben mich dann wie einen Verwandten aufgenommen, sich um alles gekümmert, in allen Bereichen geholfen, mich hier heimisch gemacht und als Teil der Familie behandelt. Ich habe hier bei null angefangen, aber gleich sehr viel Enthusiasmus und Leidenschaft gespürt. Die Atmosphäre in der Alten Waage ist sowieso legendär, das hat mich damals sehr beeindruckt. Irgendwann haben wir überlegt, wie wir die Bundesligamannschaft besser machen und gleichzeitig ein Farm-Team installieren können.“ Und so ist mit Liviu Calin das bis heute prägende Thema Spielerausbildung in einer neuen Qualität an den Standort Braunschweig gekommen. „Ich habe zu Richard Hartwig damals gesagt, wir können es uns finanziell nicht erlauben, bis zu 14 Profispieler zu bezahlen. Es war schwer ihn zu überzeugen, aber bei mir hat er immer zugehört. Ich habe mich also für eine Kooperation eingesetzt und damit begonnen, Spieler zu rekrutieren, die in der zweiten aber auch in der ersten Mannschaft auf dem Parkett standen, Nils (Mittmann) war einer von ihnen. Für uns bot das Modell mit Doppellizenzspielern damals die Chance, überhaupt einen kompletten Kader für die erste Bundesliga zu haben. Das funktioniert bis zum heutigen Tag. Auch aktuell haben wir drei oder sogar vier talentierte Spieler, die von dieser Philosophie profitieren.“

Damals avancierte Richard Hartwig zum alleinigen Macher der SG, bis er kurz nach der Lizenzübernahme im Jahr 2000 durch das alsbald insolvente Hildesheimer Unternehmen Metabox die Brocken hinwarf.

Der Wechsel in die Volkswagenhalle


„Dieses Metabox-Jahr war natürlich der größte Wahnsinn überhaupt! Ich war ja damals nochmal kurz in Braunschweig. Da gab es dann zwar die langersehnte Halle, auf die wir zehn Jahre lang gehofft hatten, aber leider war das insgesamt ein Puzzle, bei dem nichts passte“, fasst Harald Stein den damaligen Status quo zusammen: „Am Ende gab es mit John van Crombruggen, Brad Dean, zwischendurch Liviu, Hendrik Dettmann und in der zweiten Saisonhälfte Ken Scalabroni fünf verschiedene Coaches, dazu vier Manager und einen kompletten Wechsel des Kaders. Ob so etwas in der Form nochmal darstellbar wäre – ich wage es zu bezweifeln.“

Ende Januar 2001 übernahm die eigens gegründete Stadtsport GmbH mit dem Stadtsportbund als Alleingesellschafter als dritte (!) Gesellschaft innerhalb der laufenden Saison die Lizenz der Braunschweiger Bundesliga-Mannschaft, überzeugte regionale Sponsoren irgendwie immer noch rechtzeitig und entfachte insbesondere mit der Verpflichtung der Stars John Celestand und Robert Conley eine Aufbruchstimmung, die am Ende zu Platz sechs und damit noch zu einer nicht mehr für möglich gehaltenen Playoff-Teilnahme führte.

Unter dem Namen TXU Braunschweig wurde in der Folgesaison 2002/03 die bis heute beste Hauptrunde der Klubhistorie gespielt (Platz 3). Spieler wie „Pistol“ Pete Lisicky, Demond Mallet, Szymon Szewczyk und „Maestro“ Gordon Firic verzückten unter Coach Ken Scalabroni bis zu 7000 Fans in der ausverkauften Volkswagenhalle und unterlagen Alba Berlin im Playoff-Halbfinale denkbar knapp mit zwei zu drei.

Die anschließenden Jahre mit Namenssponsor BS Energy standen hingegen unter keinem guten Stern. Am Ende der Saison 2005/06 fand man sich auf einem Abstiegsplatz wieder und sicherte erst durch den Kauf einer Wildcard den Verbleib in der um zwei Plätze aufgestockten Bundesliga. Wechselhaft verliefen dann die Jahre in denen das Bundesligateam unter New Yorker Phantoms firmierte. Mit Trainer Sebastian Machowski allerdings erreichte die Mannschaft zwischen 2010 und 2012 gleich dreimal die Playoffs und zog 2011 (erstmals) und 2012 jeweils ins Endturnier um den BBL-Pokal ein – die bislang erfolgreichste Ära im Braunschweiger Basketball, an der auch der heutige Basketball-Löwen-Geschäftsführer Nils Mittmann als Forward auf dem Parkett entscheidenden Anteil hatte.

Schon mit der neuen Quote, nach der ab der Spielzeit 2010/11 fünf deutsche Spieler im Zwölferkader stehen mussten, spätestens aber mit dem Rückzug des Modeunternehmens New Yorker als Namens- und Geldgeber des Braunschweiger Teams zum Ende der Saison 2013/14 rückte die Nachwuchsarbeit wieder stärker in den Fokus.

#jungwildhungrig


Ein Thema, dass bei den Basketball Löwen – so heißt der Klub seit Juli 2014 – insbesondere in den vergangenen Jahren unter dem Claim #jungwildhungrig nochmals eine neue Dynamik erfahren hat. „Braunschweig hat keine Deutsche Meisterschaft gewonnen und keinen Pokalsieg geholt, aber die besten deutschen Basketballer hervorgebracht. Dieses Entwicklungsthema – für mich der Rote Faden an diesem Standort – ist sehr eng mit Liviu Calin verbunden“, sagt Mittmann. „Es ist eine Rückbesinnung auf die Wurzeln und eine Analyse des Standorts zugleich. Um diese Stärken herum haben wir diese Marke Basketball Löwen aufgebaut. Wir sind die jüngste Mannschaft, die Mannschaft mit den meisten Spielminuten für deutsche Spieler. Das Bekenntnis zu diesem Konzept gibt uns ein Alleinstellungsmerkmal, wobei der Aspekt Ausbildung natürlich für fast alle alternativlos ist, wenn man nicht gerade Alba Berlin oder Bayern München heißt.“

Das Ernten der Früchte dieser Arbeit hatte seinen vorläufigen Peak mit dem Wechsel von Dennis Schröder in die NBA. Dass ein Spieler, der hier ausgebildet wurde, in die NBA geht, am Ende Gesellschafter der Basketball Löwen Braunschweig wird, um sich zu engagieren und der Stadt und der Region auf diese Weise etwas zurückzugeben, so Geschäftsführer Mittmann, belege den funktionierenden Kreislaufgedanken: „Wir haben uns in den vergangenen drei Spielzeiten den Ruf erarbeitet, erfolgreich junge deutsche Spieler zu entwickeln. Aber auch diese Entwicklungsschritte sind gebunden an finanzielle Rahmenbedingungen, zu denen das erfolgreiche Behaupten in der Bundesliga ein Schlüssel ist, der Leuchtturm und Anker für das gesamte Konzept. Wir werden in den kommenden Jahren mehr Geld benötigen, um in der Bundesliga Schritt halten zu können.“

Gemeinsam mit den Kooperationspartnern habe man inzwischen die Region im Umkreis von 100 Kilometern im Blick – ein großes Einzugsgebiet mit mehreren Millionen Menschen, die für den Basketball und die Basketball Löwen begeistert werden könnten. Nicht zuletzt deshalb gebe es ein Interesse daran, Spieler, die hier ein großes Maß an Sozialisierung erfahren haben und die Rahmenbedingungen kennen, stärker an die Organisation zu binden. Die Identifikation mit dem Standort führe am Ende zu einer höheren intrinsischen Motivation. Und zu tun, gebe es im Grunde genug. „Wir setzten mit unserer Arbeit jetzt in den Grundschulen an, haben seit der letzten Saison fast 30 Schul-AGs, die wöchentlich stattfinden, wo wir mindestens eine Stunde Training anbieten und darüber das Ziel haben, diese Kinder in die Vereine und am Ende vielleicht zum Leistungssport zu bringen“, skizziert Nils Mittmann. „Ab der nächsten Saison werden wir sogar in Kindergärten gehen, um den Grundstein für eine Basketballaffinität zu legen, die Kinder früh mit Basketball vor allem aber mit Bewegung in Berührung zu bringen. Ein weiter Weg, aber es ist unsere Hoffnung und unser Anspruch, Kinder aus der Region in die Basketball-Bundesliga zu bringen.“

Für die nun kommende Saison haben mit Gian Aydinoglu, den Tischler-Zwillingen, Luc van Slooten, Jilson Bango und Sananda Fru noch sechs junge und talentierte Akteure Vertrag. Um sie herum soll nun wieder ein konkurrenzfähiger Kader aufgebaut werden. Ob es bald den nächsten Leistungsträger aus der Region in der Volkswagenhalle zu bewundern gibt, die intensive Nachwuchsarbeit die erhofften Früchte trägt und eine Braunschweiger Mannschaft womöglich – wie von Dennis Schröder ins Auge gefasst – eines Tages um die Deutsche Meisterschaft spielen wird? Wir werden es erleben…

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 27 / Sommer 2023.

 

 

André Pause

ist seit dem 01.03.2023 Head of Content der mediaworld GmbH sowie Chefredakteur des Magazins Stadtglanz. Nach seinem Studium an der FH Hannover schrieb und fotografierte der Diplom-Journalist freiberuflich für regionale Medien sowie die Deutsche Presseagentur (dpa) und Fachzeitschriften aus dem Bereich Kultur. Zuletzt verantwortete er als Chefredakteur der Industrie- und Handelskammer (IHK) Braunschweig sechs Jahre lang deren Mitgliederpublikation „IHK Wirtschaft“.

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