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Lifestyle

12. April 2023

Schöner Kaufrausch

Besuch im norditalienischen Leccio, im wohl exklusivsten Mode-Outlet Europas.

Von Klaus Buhlmann

(Fotografie: Klaus Buhlmann, Gudrun Zwilgmeyer)

Im weiten Bogen umspannen die sanften Hügel des Chianti das liebliche Tal von Leccio. Es ist früher Vormittag. Das sanfte Sonnenlicht fällt wie eine Decke über die Landschaft und färbt das Leben der hierher strebenden Tagesgäste für Stunden rosig warm. Quelle der überschwänglichen Gefühle ist allerdings nicht die Bilderbuchlandschaft. Vielmehr das Versprechen auf fette Beute bei der Jagd auf die Champions-League-Marken der Modewelt.

Wir sind angekommen bei„The Mall“, einem der angesagtesten Luxus-Outlets überhaupt. Internationaler Sehnsuchtsort für gut betuchte Fashionistas. Geboten werden nicht die üblichen Designermarken. Nur die wirklich Großen der Modezunft zählen hier zum Portfolio. Marken von besonderer Strahlkraft, nach denen sich die Szene verzehrt: GUCCI, VERSACE, TOM FORD, BALENCIAGA, ALEXANDER MCQUEEN, VALENTINO, um nur einige zu nennen, gelten als Zere­mo­nienmeister der eleganten Coolness. Sie genießen den Ruf magischer Verführung.

Keine Spur von hausbackener Galanterie. Kein Vergleich mit dem müden Abklatsch gewöhnlicher Outlets, bei denen es oft zugeht wie früher beim Schlussverkauf der Kaufhäuser. In Leccio wirkt alles frisch,
in schicken Salons exzellent präsentiert. Dementsprechend erscheint auch die Kundschaft ansehnlich gekleidet, legt Wert auf gutes Aussehen. Ich entdecke mehr grazile High Heels mit Höhenangstpotenzial als die zur Uniform verkommenen Turnschuhe. Hier ist man eher unter sich. Moralisierende Kritiker sind fern. Mit etwas Glück findet sich ein schönes Teil. Wer will und über die Mittel verfügt, kann sich auch ungestört narzisstischen Orgien hingeben. Kann prassen, was die ­Kreditkarte hergibt.

Zurückhaltung und Bescheidenheit sind hier keine angesagten Tugenden. Und genau da liegt die Gefahr. Kunden kaufen oft wahllos, weil vermeintlich günstig. Sie investieren viel Geld und Zeit und tappen mitten in die Konsumfalle hinein. Danach ist der Kick weg und die Tüte voller Dinge, die man eigentlich nicht braucht. Da trösten am Ende auch keine klangvollen Marken.

Modeinteressierte folgen Signalen, an denen ­sie sich erkennen. Diese Codes befeuern Illusionen: Wir sind wohlhabend, ästhetisch interessiert, jung, kosmopolitisch – und wir zeigen das auch. Alles Übertriebene, wie mit Labeln übersäte ­Kleidung als Ausdruck eines um sich greifenden Markenfetischismus, wird in der obersten Fashion-­Liga als ordinär wahrgenommen. Wahrer Luxus kommt dezenter daher, der Dresscode wirkt ­deutlich subtiler. Dafür, so lerne ich, werden die übergroße Sonnenbrillen auch in abgedunkelten Räumen gern aufbehalten.

Luxusmode und Outlet, geht das überhaupt zusammen?

Ein Blick auf die langen Schlangen vor den Kassen der weitläufigen Shops reicht, um zu erkennen: Das Konzept geht auf – und ist doch ein schmaler Grat. Wird Luxus, oder was man dafür hält, in Massen konsumiert, wandelt sich das Edle schnell zum Selbstverständlichen. Und das legt die Axt an die Wurzeln von Marken, die eben noch für Exklusivität stehen. Was sich jeder leisten kann, ­verkommt in der Weltanschauung der Insider zum Gewöhn­lichen. Dabei ist es kein Widerspruch, dass auch vermögende Kunden gern zugreifen, wenn die wirklich angesagten Marken mit Schnäppchen locken.

Also funktioniert das Prinzip der Verknappung – wichtigste ­Zutat aller Begehrlichkeiten – nur, indem es der einzige Ort Norditaliens ist, der derart viele Top-Labels vereint. Entsprechend strömt das amüsierwillige Publikum ins Nirgendwo, nach Leccio.

Schon im ersten Geschäft laufe ich Gefahr, in die Luxusfalle zu tappen. Bei BOTTEGA VENETA steuere ­ ich auf einen traumschönen Anzug zu. Der letzte seiner Art, daher mehrfach reduziert. Von vormals 3600 Euro auf „nur“ noch 980 Euro. Dazu genau meine Größe, einschmeichelndes Kaschmir, tolle Farbe – und erst das schillernde Innenfutter! „Der hat auf sie gewartet“, flötet der reizende Verkäufer und ist, nachdem ich mich in das eng geschneiderte Modell gezwängt habe, restlos begeistert. „Perfekt, genau so muss er sitzen!“ Schon beinahe überzeugt, zucke ich im letzten Moment zurück. Das Sakko fällt, der italienischen Mode entsprechend, sehr kurz aus und spannt dramatisch am Bauch. „Das ‚Must-have‘ der Saison“, belehrt mich der Verkäufer. Auch die Hosenbeine geraten auf­fallend kurz. Was jetzt angeblich „hip“ ist, hieß bei uns früher „Hochwasser“. Der extrem scharfe Schnitt wirkt auf mich pseudo-­jungenhaft. Vielleicht bin ich einfach noch nicht so weit.

Also weiter zu PRADA. Habe ich diese fabelhafen Sneakers nicht neulich noch für das Doppelte in einem Hamburger Schaufenster gesehen? Da schlägt man gerne zu. Wenn nicht jetzt ...

Vor den Kassen lange Schlangen. Neben mir eine drogerieblond toupierte, stark parfümierte Dame. Ihre Hände zeugen von der hohen Kunst des Nagellackauftragens, auf Lippen und Oberweite scheint mehr Druck als auf Reifen der Formel 1. Mit bereits drei übergroßen Gucci-Tragetaschen in der Ellenbeuge schwebt vor mir eine zierliche Japanerin elfengleich in zerfetzten Jeans der Bezahlstation entgegen. Einen hohen vierstelligen Betrag begleicht sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich ahne, viele hier führen wohl ein Leben außerhalb von Bausparverträgen und Jahresurlaubsplanungen. Andere hauen heute die Urlaubskasse auf den Kopf – alles für diesen Moment.

Jetzt schnell noch zu GIORGIO ARMANI. Seit Jahrzehnten im Geschäft gilt die Marke als Kultlabel. Bereits seit den 1980er-Jahren hat der italienische Modeschöpfer Textilien von tragbarer Eleganz kreiert und damit der selbstmitleidigen Tristesse und lässigen Kleiderordnung der Hippiekultur den Garaus gemacht. Auffallend auch hier: das perfekt frisierte, stilsicher gekleidete Personal. Weiße Zähne, frische Gesichter. Höflich ­und aufmerksam dirigieren sie das Treiben vor den Regalen.

Nicht verpassen wollen wir das GUCCI CAFÉ. Die Dach­terrasse wirkt wie eine Oase inmitten dieser selbsternannten Stil- und Geschmackswelt. Farbenfrohe Salate, viel Obst, kunstvoll belegte Häppchen, feine Pastisserien. Alles sehr gesund, selbstverständlich auch leicht. So können sich die Gäste nach angenehmer Rast wieder unbeschwert dem Kaufrausch hingeben.

Kunden, die außerhalb der EU wohnen, sind von der Umsatzsteuer befreit. Sie treffen sich am Ende der Shoppingtour zur Erstattung beim „Tax Refund“. Die fröhliche Versammlung der alles dominierenden Asiaten erinnert an ein großes Halali. Stolze Jäger präsentieren Freunden und Wildfremden ihre Beute. Flinke Finger weisen immer wieder auf die Differenz von regulärem und dem Outlet-Special-Price. Ihre Augen funkeln begeistert, die Botschaft ist klar: Wieder richtig was gespart!

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 02 / Dezember 2016.

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