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Wirtschaft

12. Dezember 2024

Moderne Arbeitswelten

Wandel der Arbeitswelt – von festen Büros zu flexiblen Arbeitsmodellen

Von Bernd Fels

„Erst prägt der Mensch das Gebäude, dann prägt das Gebäude den Menschen“, bemerkte Winston Churchill einst. Doch in der heutigen Arbeitswelt scheint diese Aussage eine neue Dimension zu erhalten: Arbeitsorte und -räume haben sich von starren Konzepten hin zu flexiblen, hybriden Modellen entwickelt. Diese Veränderung ist nicht nur eine Folge der Corona-Pandemie, sondern auch Ausdruck eines tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels.

Während das Büro lange Zeit als der zentrale Ort für produktive Arbeit galt, hat sich diese Rolle zunehmend verändert. Remote-Arbeit und Homeoffice gehören inzwischen zum Alltag vieler Menschen, auch wenn in unserer Region die Nutzung von Homeoffice-Tagen laut einer aktuellen Umfrage des Arbeitgeber Verbandes Braunschweig Wolfsburg, Altmeppen und if5 wieder von durchschnittlich zwei auf einen Tag pro Woche gesunken ist. Doch diese Entwicklung sollte nicht als Rückschritt betrachtet werden. Vielmehr zeigt sie, dass Unternehmen und Mitarbeitende beginnen, die richtige Balance zwischen Flexibilität und persönlicher Zusammenarbeit zu finden.

Das Büro als Ort der Begegnung und Innovation

Die Diskussion um die Rolle des Büros polarisiert: Während Unternehmen wie Amazon in den USA oder SAP, Deutsche Bank, Otto ihre Mitarbeitenden vermehrt zurück ins Büro holen, stehen zahlreiche Studien gegenüber, die zeigen, dass die Produktivität im Homeoffice nicht gesunken ist. Doch worum geht es wirklich? Nicht allein um Produktivität, sondern darum, was ein Büro leisten kann: Begegnung fördern, Kreativität inspirieren und Unternehmenskultur stärken werden oftmals und zurecht genannt, wenn es um die neue Rolle des Büros geht.

Dabei wird immer deutlicher, dass ein Büro, das lediglich der Anwesenheitspflicht dient, seine Relevanz verliert.

Vielmehr muss es ein Ort werden, der Innovation ermöglicht. Zufällige Begegnungen, sei es in der Teeküche oder auf Netzwerkflächen, wo man abteilungsübergreifend zusammenkommt, sind entscheidend – 85 Prozent aller Innovationen entstehen durch solche ungeplanten Interaktionen. Gut durchdachte Büroflächen, die Zusammenarbeit und Austausch fördern, sind keine Kostenstelle, sondern eine Investition in die Zukunft. Der Blick auf die Region zeigt jedoch auch, dass Veränderungen im Büro im Vergleich zu der letzten Studie abgenommen haben.

Neue Anforderungen an Arbeit und Raum

Um die Arbeitswelt der Zukunft zu verstehen, lohnt es sich, die unterschiedlichen Arten von Arbeit zu betrachten. Prozess-, Projekt- und Pionierarbeit haben unterschiedliche Anforderungen an Räume und Nähe:

Prozessarbeit: Sie erfordert häufig hohe Konzentration und lässt sich gut im Homeoffice oder an ruhigen Orten erledigen. Das kann und muss selbstverständlich auch das Büro ermöglichen, aber in einer anderen Körnung als früher. Der Bürobesuch dient hier vor allem dem sozialen Zusammenhalt und der Zusammenarbeit, die bei Prozessarbeit jedoch gering ausfällt, wenn alles geregelt ist.

Projektarbeit: lebt von intensiver, schneller Kommunikation und Zusammenarbeit, weshalb räumliche Nähe wichtig ist. Zwischen stabilen und agilen Projektteams sollte unterschieden werden, den Teams, die sich kennen und Vertrauen bereits aufgebaut haben, funktionieren auch hybrid, also im richtigen Mix von virtueller und der Zusammenarbeit vor Ort. Die agilen Projektteams müssen sich erst finden und hier kann Raum seine Stärken ausspielen.

Pionierarbeit: Innovation und schöpferische Prozesse profitieren auch von kreativ gestalteten Umgebungen, die spontane Ideen und Experimente fördern. Entscheidend sind aber hier die Menschen und Methoden, mit denen diese Art der Arbeit, unterstützt wird.

Es zeigt sich die Notwendigkeit, Räume neu zu denken. Viele Büros sind immer noch auf Hierarchie und feste Arbeitsplätze ausgelegt – „mein Raum“ dominiert über „unsere Räume“. Doch ein Wandel ist unvermeidlich.

Flächen müssen flexibler und effizienter werden. Ein Prinzip wie „halbe Fläche, doppelt so inspirierend“ könnte eine Lösung sein, um die oft schlechte Auslastung von Büros – gerade montags und freitags – zu verbessern. Die Bereitschaft, Büros in der Region zu verkleinern, ist jedoch rückläufig, so die Umfrage in der Region. Läuft auch hier die Region gegen den Trend, fehlt es an Aufklärung oder ist der Veränderungswille nicht da? Die fortschreitende Demografie und  Digitalisierung wird den Büroflächenbedarf vermutlich dennoch reduzieren, da die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten 5-10 Jahren in den Ruhestand gehen und zunächst wiederkehrende, einfache Prozessarbeit durch Künstliche Intelligenz substituiert wird. Auch komplexe Prozessarbeit sowie kreative Arbeiten, die vermehrt in der Projekt- und Pionierarbeit nötig sind, werden mittels künstlicher Intelligenz unterstützt. Aber es kommt vermutlich nicht so schnell zu einer Verdrängung Maschine zu Mensch, sondern zu einem Miteinander. Das Zukunftsinstitut spricht von der technosozialen Arbeitswelt.

Fakt bleibt, aufgrund des demografischen Wandels und dem hiermit einhergehenden Fachkräftemangels, dass wir Mitarbeitende befähigen müssen, diese neuen Jobs zu erlernen.

Raum wird somit auch immer mehr ein Lernort, in dem neben Schulungen und „Training on the Job“ der Wissensaustausch untereinander im Vordergrund steht. Von alten zu neuen Mitarbeitenden und andersherum, von digital Interessierten zu digital affinen Mitarbeitenden. Es muss aber nicht immer der eigene Ort, das Büro, sein, denn dieser hat das Monopol auf Büroarbeit verloren.

Die fünf Arbeitsorte der Zukunft

Die Arbeitsorte der Zukunft werden vielfältiger, die Auslastung hierdurch noch geringer. Schon heute zeichnet sich ein Modell mit fünf Arbeitsorten ab, die keine Priorität haben, sondern der Theorie der Third Places nach Ray Oldenburg folgen.

  1.  Das Homeoffice, das Flexibilität und Individualität ermöglicht.
  2.  Das Büro, das als zentraler Ort für Begegnung und Kultur dient.
  3.  Third Places, wie Cafés oder Co-Working-Spaces, die kreative Freiheit bieten.
  4.  Der Arbeitsort unterwegs, beispielsweise im Auto, Zug oder Boot.
  5.  Virtuelle Räume, die durch Technologien wie das Metaverse weiter an Bedeutung gewinnen.

Ich lege mich fest: Trotz aller Vielfalt bleibt der 2. Arbeitsort, das Büro, der Nukleus von Organisationen – nur anders. Kommunikation, Kollaboration und Kultur stehen im Vordergrund. Zentrale Lagen mit einer top Anbindung sowie nachhaltige Gebäude und eine nachhaltige Büroorganisation verdrängen in der Regel alte Bürostandorte in der Peripherie. Das bietet Chancen für Innenstädte und Chancen Arbeit neu zu denken und zu organisieren, z.B. auf dem Weg von A nach B.

Mobilität als Arbeitszeit: Ein Mehrwert für die Region
Gerade in unserer mobilitätsgeprägten Region bietet der vierte Arbeitsort enormes Potenzial. Unter der Initiative spaces4future, die mit ihrem Ansatz „#malangenommen“ kreative Ideen für die Region entwickelt, entstehen zukunftsweisende Visionen:

  • Selbstfahrende (Werks)Autos auf der A39, der iBAB (innovative Autobahn) zwischen Salzgitter und Wolfsburg könnten Fahrzeiten produktiv machen. Angerechnet als Arbeitszeit, bieten diese Fahrzeuge die Möglichkeit, effektiv zu arbeiten – nur noch sechs bis sieben Stunden im Büro, dafür ein bis zwei Stunden produktiv im Auto.
  • Wasserstoffbetriebene (Werks)boote als schwimmende Co-Working-Spaces eröffnen neue Möglichkeiten. Eine Fahrt von Wolfsburg nach Salzgitter über den Mittelland- und den Stichkanal dauert mehrere Stunden – hier zählt weniger die Geschwindigkeit als vielmehr das Erlebnis und die Möglichkeit, produktiv zu sein.
  • Wasserstoffbetriebene (Werks-)Züge könnten die Bahnstadt in Braunschweig mit neuen Büroarbeitsplätzen direkt in Halle 1 des VW-Werks in Wolfsburg (Wissenswerkstadt) verbinden. Hier könnten ehemalige Produktionshallen zu Innovationszentren für firmenübergreifende Zusammenarbeit und Forschung umgestaltet werden – vom Automobil der Zukunft zur Mobilität der Zukunft.

Solche Visionen sind mehr als nur technologische Spielereien. Sie adressieren zentrale Herausforderungen unserer Zeit: Fachkräftemangel, nachhaltige Mobilität und die Attraktivität der Region für die besten Köpfe.

Räume als Treiber der Transformation

Die Gestaltung von Räumen hat eine direkte Auswirkung auf die Innovationsfähigkeit und Attraktivität eines Unternehmens. Attraktive Arbeitsumgebungen steigern nicht nur die Kreativität, sondern auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Ein attraktives Büro kann Talente anziehen und binden – ein entscheidender Faktor in Zeiten des Fachkräftemangels.

Gleichzeitig sind nachhaltige und energieeffiziente Büros ein Beitrag zur Dekarbonisierung und Kostenreduktion.


Ressourcenverschwendung in Form schlecht genutzter Büroflächen wird zunehmend hinterfragt. Die Digitalisierung spielt hier eine Schlüsselrolle: Fortschritte in Cloud-Technologie, virtuellen Kollaborationsplattformen und KI ermöglichen es, Räume flexibler zu nutzen und hybride Modelle effektiv umzusetzen.

Visionen für die Region: Vorreiter in neuen Arbeitswelten

Unsere Region hat das Potenzial, eine Vorreiterrolle in der Gestaltung der neuen Arbeitswelt einzunehmen. Mit beispielsweise Konzepten von spaces4future, wie dem WorkLifeCommunityHub (WLCH) in Braunschweig, im ehemaligen Galeria Kaufhof, werden bereits jetzt zukunftsweisende Modelle gedacht. Der WLCH kombiniert flexible Arbeitsflächen mit Bildungs- und Eventräumen und wird so zu einem zentralen Ort für die gesamte Stadtgesellschaft. Ergänzende Flächen, wie beispielsweise ein Welcome-Center, in dem alle Services für Neubürger:innen der Region gebündelt werden. Eine Markthalle oder ein Spiel-/Eventplatz für Jung und Alt im Erdgeschoss breitet sich über das Objekt in die Umgebung aus. Der ehemalige Klotz wird durchlässiger sowie von außen und innen grüner, genauso wie der umgebende Raum, der durch ein neues Mobilitätskonzept aufgewertet wird. Auch wiederum Flächen, die für neues Arbeiten einladen. Ein Workcafé inkl. Dachterrasse und ein kleines Konferenzcenter in den oberen Bestandsetagen sowie zwei neue, aufgesetzte terrassenartige Etagen in Leichtbauweise mit Servicewohnungen für die Gäste des WLCH runden das Angebot ab. Mobilitäts- und Logistikdienste im Untergeschoss sowie der angrenzenden Magnitiefgarage führen dazu, dass der Weg zu „Hort10“, so der Name des WLCH, zeitgemäß ist.

Dieses Konzept zeigt, wie multifunktionale Objekte einen Mehrwert für alle schaffen können: Morgens ein temporärer Arbeitsort für Individuen, für Organisationen, nachmittags ein Lernzentrum mit zukunftsorientierten Programmen, kuratiert durch beispielsweise die Schule42 oder LifeBraunschweig (Vorbild LifeHamburg) und abends ein Ort für kulturelle Veranstaltungen. 7 statt 5 Tage und von 6 bis 22 Uhr geöffnet – das belebt das ganze Quartier.

Solche Ideen könnten nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die Lebensqualität in der Stadt und der ganzen Region nachhaltig verbessern. Bereits 2022 sagte nicht nur Dr. Thomas Sattelberger, ehemals Sprecher der FDP-Fraktion für Innovation, Bildung und Forschung: „Ich empfehle Bund, Ländern und Kommunen, die Chance von WLCHs zu prüfen.“ Jetzt mit Start des städtebaulichen Wettbewerbs, den die Stadt Braunschweig und die Volksbank BraWo ausloben, besteht die Möglichkeit, diese Ideen wieder mit in den Findungs- und Entscheidungsprozess aufzunehmen. Braunschweig hab Mut, möchte ich den teilnehmenden Architekturbüros und insbesondere den Preisrichter:innen zurufen, denn daran fehlt es häufig. Der Status quo ist doch keine Option und 0815 auch nicht.

Fazit: Raum als Schlüssel für die Zukunft der Arbeit

Die Arbeitswelt steht vor einem Paradigmenwechsel. Büros werden weniger als reine Arbeitsorte wahrgenommen, sondern zunehmend als Orte der Begegnung, Kreativität und Innovation. Unternehmen, die diese Entwicklung aktiv gestalten, sichern sich langfristig einen Wettbewerbsvorteil.

 

Bernd Fels,  Mitgründer von „if5 anders arbeiten“ aus Wolfsburg, lebt seit 6 Jahren in Braunschweig. Er begleitet seit 25 Jahren Firmen bei der Umsetzung und Planung neuer Arbeitswelten von 50 - 5.000 Arbeitsplätzen in der DACH-Region. Er war maßgeblich beteiligt bei der Entwicklung und Einführung für das beste Büro Deutschlands im Jahr 2019 und der Welt im Jahr 2012. Er berichtet über seine Erfahrungen rund um Neue Arbeitswelten sowie Hybrid Work und blickt als Initiator von spaces4future unter #malangenommen in die Zukunft unserer Region.

 

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