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Wirtschaft

16. März 2022

Wir brauchen Macher

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den lokalen Handel

Von Falk-Martin Drescher

(Fotografie: Linna Hensel)

Seit vielen Jahren ist Michael Ernst bereits Teil der hiesigen Handelsszene: Als Center Manager der Designer Outlets Wolfsburg (DOW), als Vorstands­mitglied der City Marketing und Tourismus Wolfsburg e. V. (CMT) sowie Mitglied im Handelsbeirat der Wolfsburg Wirtschaft und Marketing GmbH (WMG).

Im Interview mit Stadtglanz-Redakteur Falk-Martin Drescher spricht Ernst über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den lokalen Handel – und darüber, was seitens der Konsumenten und Geschäfte nun zu tun ist.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf den hiesigen Handel?

Die Pandemie hat das gesamte Kaufverhalten verändert. Es sind Marken viel stärker in den Fokus gerückt, die vorher gar nicht so gefragt waren. Seien es Home-, Living-, Beauty- oder auch Sport- beziehungsweise Outdoor-Themen. Das sind vor allem Dinge, die man nicht zwangsläufig irgendwo anprobieren muss – und die man sich trotzdem gut gönnen konnte. Der Kunde kommt jetzt erst langsam wieder in die Geschäfte zurück, durch die Pandemie wurde ihm der stationäre Handel ein wenig abtrainiert. Es war und ist natürlich auch bequem: Die ganzen Amazon- oder auch Zalando-Pakete sind oft am nächsten Tag zu Hause. Die Pandemie hat die damit verbundene Bequemlichkeit schon sehr verstärkt. Man darf indes nicht vergessen: Zeit ist Geld. Und wenn man mal eben etwas schnell vom Sofa aus bestellen kann, ist das auch in der Hinsicht betrachtet praktisch. Daher stehen wir jetzt vor der großen Herausforderung, die Menschen – wieder – für die Innenstadt und den lokalen Handel zu begeistern.

Wie lässt es sich denn gegen die Bequemlichkeit ankommen?

Was der Online-Shop oder der Postbote nicht kann: Dir ein Erlebnis bieten. Was wir müssen, ist es besondere Erlebnisse zu kreieren. Wir sitzen hier im neuen Five Guys Restaurant in den Designer Outlets – das, was Restaurant und Marke hier aufbieten, das kannst Du nicht zu Hause erleben. Das bekommst Du nur hier. Der soziale Charakter spielt zudem eine wesentliche Rolle, sprich gemeinsam in Geschäften unterwegs zu sein, gemeinsam neue Gastronomien zu genießen und spannende Store-Konzepte zu erkunden. Die Innenstadt als dritter Ort.

Die Bedeutung des – neuen – Einkaufserlebnisses wird ja schon länger hervorgehoben. Was bedeutet das denn in Maßnahmen ausgedrückt?

Das mag pragmatisch klingen, aber Themen wie Sicherheit und Sauberkeit spielen hierbei keine unwesentliche Rolle. Oder auch Spielmöglichkeiten für Kids. Es muss nicht immer das Lady Gaga-Konzert sein, wie es etwa das Centro Oberhausen angegangen ist. Vielmehr sind es ein umfassender Servicegedanke sowie eine gute Kundenbeziehung. Es geht um stete Erlebnisse, und dabei um Konsequenz und Verlässlichkeit.

Die Händler haben sehr unterschiedlich auf die Pandemie reagiert: Lieferdienste, Livestreams, neue Online-Shops, Videoberatung und mehr. Oder andere: mehr oder weniger gar nicht. Was sind für neue Ideen in der Corona-Pandemie entstanden?

Wichtig ist es erst einmal festzuhalten: Man sollte keine Angst vor „dem Internet“ oder „dem Online-Handel“ haben. Vielmehr gilt es zu schauen, was man sich davon abschauen oder dazulernen kann. So sind in den vergangenen Monaten neue, digitale Shopping-Konzepte entstanden. Viele waren ja der Meinung, dass das nur eine Momentaufnahme der Pandemie ist. Aber: das ist ein zusätzlicher Service, den Kunden zu schätzen wissen und der bleiben sollte. Auch solche Formate zahlen darauf ein, die Beziehung zum jeweiligen Geschäft, oder anders herum formuliert zum jeweiligen Kunden, zu intensivieren. In diesem Rahmen sind auch serviceorientierte Ideen wie beispielsweise ein „early pick up“ entstanden, sodass Kunden ihre gekauften Produkte vor der Arbeit – also auch vor der eigentlichen Ladenöffnung – kurz abholen können.

Nun gibt es ja unbestritten auch Geschäfte, die mit Eintritt der Pandemie gefühlt mehr oder weniger den Kopf in den Sand gesteckt haben …

… auch die gibt es. Das sind mitunter Läden, die vielleicht auch vorher schon ein wenig den Anschluss verpasst haben. Und die Pandemie hat das dann noch einmal verdeutlicht. An der Stelle ist es mir ein Anliegen zu sagen: nicht jeder benötigt einen Online-Shop. Trotzdem muss jeder seinen Weg finden – und dafür muss er eben tätig werden. Gerade während der Pandemie haben es doch einem die Kunden nicht übel genommen, wenn mal ein Instagram-Kanal nur semi-professionell gepflegt wurde, ein Livestream nicht so richtig funktionierte oder ein Service noch nicht ausgereift war. Wichtiger war doch, dass überhaupt etwas passierte und man als Händler Engagement gezeigt und sich an Ideen ausprobiert hat. Ein hervorzuhebendes Beispiel ist da der Hey Store aus Braunschweig, der trotz Lockdown durch umfangreiche Social-Media-Aktivitäten, Livestreams und mehr eine beeindruckende Nähe zum Kunden erzeugt hat. Und: ihre Formate laufen auch jetzt erfolgreich weiter. Bei mir und meinem Bekanntenkreis hat das Eindruck hinterlassen. So kenne ich nicht wenige, die Produkte direkt per Direktnachricht oder WhatsApp gekauft haben, weil sie sie beim Hey Store in der Instagram-Story gesehen haben. Ganz ohne Online-Shop. Jeder will eine Lovebrand sein. Der Hey Store hat das geschafft.

Was habt Ihr in den Designer Outlets Wolfsburg gemacht?

Zunächst haben wir uns eine kleine Kommunikationspause gegönnt und darüber nachgedacht: Wie gehen wir jetzt weiter vor? Und dann haben wir an Bestehendes angeknüpft – und einfach mal einiges ausprobiert. So haben wir etwa Ayke Witt und Fabian Riaz für ein digitales Konzert begrüßt, die derweil schonmal bei uns vor Ort aufgetreten sind. Wir haben nicht irgendetwas aus dem Nichts erfunden, sondern überlegt, wie wir bestehende Formate virtuell realisieren können. Und da lief einiges erfolgreicher, anderes weniger gut. So haben wir in jedem Fall viel dazugelernt. Der Stream mit Sven Elverfeld lief beispielsweise unglaublich gut, da könnte man sofort mit weiteren Formaten dran anknüpfen.

Wie würdest Du denn den Status quo des Handels der Wolfsburger Innenstadt beschreiben?

Wolfsburg hat mit der Innenstadt eine ganz große Chance, weil so viel in Bewegung ist. So wie die Porschestraße jetzt aussieht, wird sie es in zehn Jahren definitiv nicht mehr tun – auch nicht in fünf. Es darf jetzt allerdings nicht eine Lethargie entstehen, dass alle genau darauf warten: dass etwas passiert. Es gilt die Flucht nach vorne. Mit seinen Geschäften und Maßnahmen ist es beispielsweise Ehme de Riese gelungen, ein kleines Quartier zu entwickeln, rund um den Bereich vor der Kaufhof-Passage. Er hat Initiative ergriffen, das ist es, was zählt. Und genau jenes fehlt derzeit noch ein wenig: spannende Nischen-Konzepte, urbane Formate. In der jetzigen Zeit kann man meiner Meinung nach wenig falsch machen – aber man muss eben aktiv werden. Wir brauchen Macher. Einfach nur die Tür aufzumachen, wird in Zukunft jedenfalls nicht mehr ausreichen. Und wir brauchen noch mehr Vernetzung und Zusammenhalt untereinander, auch zwischen den Städten der Region.

Blicken wir in die Nachbarschaft: Wie ergeht es Braunschweig?

Braunschweig hat seine eigenen Herausforderungen. Etwa die großen Ketten, die die A- und B-Lagen beziehungsweise die Innenstadt generell verlassen und damit viel Ladenfläche freimachen. Da ist eine Neuaufstellung notwendig. Ansonsten profitiert die Stadt von – wie ich finde – vielen individuellen Store-Konzepten auch in Quartieren wie dem Magniviertel oder Kultviertel. Da kommt Braunschweig meinem Eindruck nach auch das junge Klientel durch die Universitäten zugute.

Was man nicht vergessen darf: Wie es der Innenstadt geht, entscheidet auch jeder Einzelne durch sein Handeln mit.

So ist es. Diese Haltung und dieses Gemeinschaftsgefühl, das durch die zahlreichen „Buy local“-Initiativen entstanden ist, muss auch „nach Corona“ weiter bestehen. Wenn ich alles bei Amazon, Zalando & Co bestelle, wird es der hiesige Einzelhandel immer schwerer haben. Oft wird da verkannt, wie viel Service viele Geschäfte jetzt schon bieten. Es ist vielleicht nicht immer alles verfügbar, aber viele Händler geben sich viel Mühe, etwa bestimmte Produkte zu organisieren. Da müssen wir als Kunden noch dazulernen, aber auch wir als Händlerschaft.

Falk-Martin Drescher

studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.

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