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Wirtschaft

23. Oktober 2023

Das Braunschweig Wolfsburg Sofa

Health & Beauty

(Fotografie: Marc Stantien, Räumlichkeiten: BUCHMANN PERMANENT | KOSMETIK)

Gesundheit ist das höchste Gut des Lebens, befand der Philosoph Arthur Schopenhauer. Wenn es stimmt, und davon gehen wir jetzt einmal aus, was sein Berufskollege David Hume konstatierte, dass unsere eigene Schönheit uns Freude bereitet und Hässlichkeit uns leiden lässt, dann kommt man nicht umhin, festzustellen, dass die Konzepte „Gesundheit“ und „Schönheit“ grundsätzlich miteinander zusammenhängen müssen. Makellose Schönheit – das symbolisiert wohl kaum jemand so sehr wie Barbie, deren Kosmos Regisseurin Greta Gerwig gerade feinhumorig und ikonisch verfilmt hat. Es gab Zeiten, in denen Millionen von Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt die irreale Projektionsfläche vor Augen dem unerreichbaren Ideal hinterherrannten. Gewinner waren nicht selten die Psychotherapeuten. Was ist von diesem Status quo geblieben, was hat sich geändert, was sagt der Zeitgeist in Sachen Health & Beauty? Wir haben mit der Medizinischen Direktorin des Klinikums Wolfsburg, Dr. Alina Dahmen, und dem Geschäftsführer des Krankenhaus Marienstift in Braunschweig, Dr. Jan Wolff, darüber gesprochen.

Frau Dr. Dahmen, Herr Dr. Wolff, gepusht durch den Barbie-Hype rückt das Streben nach Schönheit, das wohl so alt wie die Menschen selbst, wieder stärker in den Blickpunkt. Jeder möchte irgendwie schön sein, und tut etwas dafür. Sie auch?

JW: Ich persönlich bin hier eher Pflicht als Kür. Das Konzept und die Vorstellung von Schönheit ist aber ohne Frage ein tief verwurzeltes Konzept in der menschlichen Gesellschaft und beeinflusst wesentlich unser Zusammenleben. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch wieder im aktuellen Barbie-Film.

AD: Jeder hat sein eigenes Konzept von Schönheit und tut entsprechend Dinge dafür, um schön zu sein oder um sich schön zu fühlen. Schönheit unterliegt aber auch dem Wandel der Zeit und liegt letztlich immer im Auge des Betrachters. Cleopatra badete in Eselsmilch, weil das die Haut jung halten sollte, in Renaissance und Barockzeit mussten Korsetts geschnürt werden, um die „Wespentaille“ zu schaffen, während Rubens kurvige Frauen liebte – die Maßnahmen zur Schönheitsoptimierung waren und sind vielfältig. Und zu meiner Person: Ich fühle mich wohl (lacht).

Inwiefern brauchen und bedingen sich die Konzepte „Gesundheit“ und „Schönheit“? Welche Effekte hat das eine auf das jeweils andere?

AD: Einer Reihe von sogenannten Zivilisationserkrankungen, zu denen beispielsweise Übergewicht, Diabetes, aber auch bestimmte Krebserkrankungen gezählt werden können, kann durch körperliche Aktivität vorgebeugt werden oder durch sie in der Therapie unterstützt werden. Somit kann körperliche Aktivität als wesentliche Voraussetzung für Gesundheit bezeichnet werden. Weiterhin wissen wir aus Studien, dass Menschen sich eher körperlich betätigen, wenn sie sich wohl in ihrem Körper fühlen und dass dieser Effekt auch umgekehrt wirkt. Möglicherweise ist dieses „Sich-wohl-in-seinem-Körper-Fühlen“ auch damit verbunden, sich „schön“ zu fühlen, sodass ein Zusammenhang zwischen Gesundheit und Schönheit besteht.

JW: Schönheit ist nach meinem Verständnis nicht nur ein physisches Konzept, sondern sie hat auch viel mit Selbstbewusstsein,
Auftreten und Charakter zu tun. Ich finde es gut, dass sich dieses Thema auch in dem Barbie-Film wiederfindet. Ich glaube, dass nicht nur Schönheit, sondern auch Gesundheit mindestens teilweise subjektive Ideale sind, die unterschiedlich interpretiert werden können. Unser Verständnis von Schönheit wird unter anderem durch Eigenschaften beeinflusst, die wir mit körperlicher Fitness und Erfolg verbinden. In diesem Sinne kann Gesundheit eine Grundlage für das Potenzial zur äußeren Schönheit bieten.

Inwiefern befindet sich das Schönheitsideal im Wandel und ab wann wird das Streben nach makelloser Schönheit – das jetzt durch den Barbie-Film in den Mittelpunkt einer breiten Öffentlichkeit gerückt wurde – gefährlich für die Gesundheit?

AD: Schönheitsideale sind nicht nur dem zeitlichen Wandel unterworfen, sondern auch davon abhängig, in welchem Kulturkreis die Menschen leben. Gefährlich für die Gesundheit eines Menschen wird es immer dann, wenn Organfunktionen beeinträchtigt werden oder psychische Schäden als Ursache oder Folgen des individuellen Schönheitsideals auftreten.

JW: Das Schönheitsideal von heute weicht von dem vor 100 Jahren ab. Es wird sich auch in der Zukunft verändern, ganz einfach so, wie sich unsere Lebensumstände und die Dinge, die wir als Gesellschaft für erstrebenswert halten, auch ständig verändern.

Die am häufigsten vorgenommenen Eingriffe waren zuletzt wiederholt Lidstraffung, Fettabsaugung und Brustvergrößerung. Eine auffällige Steigerung gibt es im Bereich Intimkorrektur. Welche Trends lassen sich sonst beobachten?

JW: Die Tatsache, dass Intimkorrekturen auffällig zugenommen haben, könnte auf eine zunehmende Offenheit hindeuten, solche Themen anzusprechen und sich solcher Eingriffe zu unterziehen. Außerdem nimmt das Thema der weiblichen Genitalverstümmelung und deren Rekonstruktion in Deutschland in den letzten Jahren auch durch Migration und Flucht deutlich mehr Raum ein. Hier sind wir als Marienstift Teil der städtischen Projektgruppe zu diesem Thema und versuchen, mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu gewinnen und Fachkräfte weiterzubilden. In Deutschland ist der allgemeine Trend zur Schönheitschirurgie nicht so deutlich wie in anderen Ländern. In den USA und in Südamerika ist dieses Thema wesentlich präsenter.

AD: Weitere Trends sind minimalinvasive Eingriffe, zum Beispiel Lippenkorrektur, die Unterspritzung von Hyaluronsäure und bei Männern häufig Haartransplantationen. Die Aufpolsterung des Gesäßes mit Eigenfett oder durch Implantate war anscheinend nur ein kurzzeitiger Trend.

Insgesamt hat sich die Zahl der Schönheitsoperationen in Deutschland nach Angaben der International Society of Plastic Surgery in den vergangenen zehn Jahren auf knapp eine halbe Million pro Jahr verdoppelt. Woran liegt das?

AD: Die Ursachen hierfür sind sicherlich multifaktoriell. Schönheitsoperationen sind mittlerweile nicht mehr selten, sondern schon fast normal, sodass die individuelle Hemmschwelle herabgesetzt wird. Und auf Seite der Leistungserbringer gibt es ein quantitativ und qualitativ wachsendes Angebot, das dann eben gerne wahrgenommen wird. Durch Anbieter im Ausland werden Schönheitseingriffe zu geringen Preisen angeboten, sodass auch der finanzielle Rahmen deutlich attraktiver geworden ist.

JW: Die Medizin entwickelt sich weiter und die Eingriffe werden risikoärmer. Außerdem spielt unsere subjektiv empfundene Wichtigkeit der Schönheit für das eigene Lebensglück eine Rolle. Die moderne Gesellschaft ist stärker von Medien und sozialen Plattformen geprägt, die oft idealisierte Bilder von Schönheit und Körperbildern präsentieren. Das prägt insbesondere junge Menschen und zeigt Ihnen ein verzerrtes Bild davon, was in Zukunft für ihr eigenes Leben wichtig sein wird.

Der Frauenanteil im Jahr 2022 lag dabei laut Statista bei rund 88,3 Prozent, der Männeranteil bei 10,2 Prozent. Wie interpretieren Sie dieses schon lange bestehende Ungleichgewicht?

JW: Ich glaube, dass insbesondere in den älteren Generationen die Schönheit für Frauen ein wichtigeres Thema war als für Männer. Das hat sich in den letzten Jahren stark geändert und wird sich auch in Zukunft weiter verändern. Die Zahlen werden deshalb in Zukunft dichter zusammenkommen.

AD: Es gibt mit Sicherheit viele mögliche Gründe für diesen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Aus meiner Sicht müssen wir jedoch abseits der individuellen Vorstellungen von Schönheit und Selbstoptimierungsbedürfnis an ganz anderer Stelle ansetzen: Studien sagen aus, dass körperliche Betätigung mit einem positiveren Körper-Selbstbild verbunden ist – und da müssen wir beginnen. Wir müssen schon Kindern beibringen, wie wichtig körperliche Aktivität ist und dass damit nicht nur Freude im Sinne eines Freizeitverhaltens verbunden ist, sondern dass durch sportliche Betätigung sehr vielen Zivilisationskrankheiten vorgebeugt werden kann. Das Ergebnis wären gesündere Kinder, die zu gesünderen Erwachsenen werden, und gleichzeitig nicht die ohnehin schon knappen Ressourcen in der medizinischen Versorgung wahrnehmen müssen. Und das kommt uns allen zugute.

Es gibt auch Eingriffe, die die Menschheit braucht. Wird im Bereich Public Health Ihrer Ansicht nach genug unternommen?

AD: Sie beziehen sich damit auf Eingriffe, die medizinisch notwendig sind, wie beispielsweise die Versorgung von Schwerstbrandverletzten, von Patienten nach Unfällen oder auch Brustrekonstruktionen nach onkologischen Erkrankungen. Diese werden als Leistung der gesetzlichen und privaten Krankenkassen erbracht und entsprechend vergütet.

JW: Es gibt verschiedene Bereiche des Gesundheitswesens, in denen bisher zu wenig passiert. Das klassische Beispiel ist die psychiatrisch- psychotherapeutische Versorgung. Die Patienten zögern häufig viel zu lange, bevor sie sich Hilfe suchen. Wenn Sie diesen Schritt endlich gegangen sind, treffen sie oft wegen knapper Ressourcen auf große Probleme, zeitnah eine gute Versorgung zu bekommen. Versorgungsforscher gehen davon aus, dass man durch eine deutliche Ausweitung der Versorgungskapazitäten insgesamt sogar Geld sparen könnte, da die Chronifizierung der Leiden vermieden wird und die Patienten schneller wieder arbeitsfähig werden. Das gleiche gilt für Gesundheitsprävention. Hier wird noch deutlich zu wenig im Bereich der Primär- und Sekundärprävention gemacht. Hier fehlt es an Anreizsystemen bei Patienten und Leistungserbringern.

Wie sieht es Ihrer Ansicht nach mit den politischen Rahmenbedingungen aus?

AD: Das Gesundheitssystem befindet sich postpandemisch in einer Situation, die von Preissteigerungen in allen Bereichen, Insolvenzrisiken und erheblichem Fachkräftemangel geprägt ist. Alle Akteure wissen, dass es zügig einer umfassenden Krankenhausreform bedarf, die – richtig umgesetzt – eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung im Sinne einer Daseinsvorsorge nachhaltig sicherstellen kann.

JW: Die Krankenhäuser in Deutschland stehen im wirtschaftlichen Kreuzfeuer, können die Kosten aber nicht, wie in anderen Branchen üblich, durch eigene Preiserhöhung kompensieren. Diese Kompensation muss politisch erfolgen. Hier passiert aber fast nichts. Laut Deutschen Krankenhausinstitut können fast alle Krankenhäuser in Deutschland (96 Prozent) die gestiegenen Kosten nicht mehr aus den laufenden Einnahmen bezahlen.

Während der Pandemie wurden diese Missstände besonders deutlich. Zu wenig Personal, schlechte Bezahlung und zu viel Druck für die meisten, die im Gesundheitswesen arbeitenden. Die Politik wollte Abhilfe schaffen und die Arbeitsbedingungen wesentlich verbessern. Was wurde davon tatsächlich umgesetzt, wo muss noch nachgebessert werden und wo bestehen ansonsten die größten Herausforderungen für das hiesige Gesundheitssystem?

AD: In der Sicherstellung einer flächendeckenden medizinische Versorgung, die für alle Bürgerinnen und Bürger erreichbar ist und in der ausreichenden Refinanzierung dieser Versorgung. Es bedarf der Kompensation des Fachkräftemangels durch einen sinnvollen und konsequenten Einsatz aller Möglichkeiten der Digitalisierung zur Unterstützung administrativer und therapeutischer Prozesse sowie in der Beseitigung des Fachkräftemangels durch Steigerung der Attraktivität eines Arbeitsplatzes mit Rahmenbedingungen, die auch die jüngere Generation ansprechen, durch Optimierung von Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten sowie durch entbürokratisierte Prozesse. Medizinische Leistungserbringer müssen im Umgang mit allen digitalen Optionen geschult werden, sodass ihre zeitlichen Ressourcen auf die Aspekte im Versorgungsprozess reduziert werden, die eines direkten Arzt-Patienten-Kontaktes bedürfen.

JW: Es gibt bei weitem nicht ausreichend Ärzte, Pflegefachkräfte und Technische Assistenten. Die Bezahlung sollte in manchen Berufen steigen, um diese attraktiver zu machen und damit langfristig mehr Menschen für eine Tätigkeit im Krankenhaus gewinnen zu können. Das braucht jedoch seine Zeit und ist nur mit politischem Willen und ausreichender Gegenfinanzierung möglich. Da es klar ist, dass sich diese Situation in Zukunft deutlich verschärfen wird, muss zügig deutlich mehr an Universitäten und Fachschulen ausgebildet werden. Die Interessentenzahlen sind dort oft wesentlich höher als die verfügbaren Plätze. In der Altenhilfe ist die Situation oft sogar noch angespannter. Während der Pandemie gab es einen breiten und öffentlich immer wieder beschworenen Konsens, dass eine qualitativ hochwertige und ausreichende Krankenhausversorgung sichergestellt werden muss. Davon ist auf Bundesebene nur wenig übriggeblieben. Die aktuelle Situation ist vor allem durch die eklatante Unterfinanzierung des deutschen Krankenhauswesens dominiert. Leider weigert sich die Bundespolitik, hier gegenzusteuern. Das setzt viele Krankenhäuser politisch gewollt unter großen wirtschaftlichen Druck und das hat natürlich negative Auswirkungen auf die Versorgung. Diese Unzufriedenheit liegt nicht nur im Krankenhausbereich vor, sondern betrifft weite Teile des Gesundheitswesens. Kürzlich habe zum Beispiel die Apotheken zu einem bundesweiten Protesttag aufgerufen, an dem sich auch in der Region Braunschweig-Wolfsburg sehr viele Apotheken beteiligt haben. Auch hier ist der Frust über die politischen Rahmenbedingungen groß.

Trotz dieser widrigen Bedingungen gibt es dennoch gute Gründe sich für das Arbeiten im Gesundheitswesen zu entscheiden, welche gehören dazu?

AD: Im Gesundheitswesen geht es zentral um Menschen und deren Gesundheit. Hier arbeiten wir mit unterschiedlichen Professionen und damit unterschiedlichen Perspektiven an einem Ziel: der hochwertigen Patientenversorgung. Jede und jeder ist wichtig, damit wir gemeinsam das erreichen, wofür wir da sind: Menschen zu helfen.

JW: Absolut! Das Gesundheitswesen ist ein wichtiger Pfeiler unserer Gesellschaft. Unsere Mitarbeitenden tragen zur Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität der Menschen bei. Heutzutage wird es den Fachkräften immer wichtiger, etwas Gutes mit der eigenen Arbeit zu bewirken. Das kann man nirgends besser als in einem Krankenhaus oder anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen. Außerdem ist das Gesundheitswesen eine Branche, die stetig wächst und eine hohe Nachfrage nach Fachkräften hat. Unabhängig von wirtschaftlichen Schwankungen wird der Bedarf an medizinischer Versorgung steigen. Das bedeutet, dass Arbeitsplätze im Gesundheitswesen sehr sicher sind.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 28 / Herbst 2023.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

André Pause

ist seit dem 01.03.2023 Head of Content der mediaworld GmbH sowie Chefredakteur des Magazins Stadtglanz. Nach seinem Studium an der FH Hannover schrieb und fotografierte der Diplom-Journalist freiberuflich für regionale Medien sowie die Deutsche Presseagentur (dpa) und Fachzeitschriften aus dem Bereich Kultur. Zuletzt verantwortete er als Chefredakteur der Industrie- und Handelskammer (IHK) Braunschweig sechs Jahre lang deren Mitgliederpublikation „IHK Wirtschaft“.

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