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Wirtschaft

3. April 2023

Attraktive Arbeitgeber

"Was ist Arbeit, die Du eigentlich wirklich, wirklich willst?" – Frithjof Bergmann

Von Florian Bernschneider

Fotografie: Marc Stantien

Lassen Sie uns über Attraktivität sprechen. Wer ist aus Ihrer Sicht der attraktivste Mann oder die attraktivste Frau der Welt?

Ich habe für Sie gegoogelt: Im letzten Herbst kürte der britische Schönheitschirurg Dr. Julian De Silva nach seinen Attraktivitäts-Berechnungen Robert Pattinson zum schönsten Promi-Mann der Welt. Das Männermagazin „Maxim“ erklärte mit einem wohl etwas einfacheren Rechenmodell die Golferin Paige Spiranac zuletzt zur Sexiest Woman Alive.

Wenn die beiden nicht Ihrem Schönheitsideal entsprechen, finden Sie beim griechischen Philosoph Thukydides Trost. Ihm wird jedenfalls das bekannte Zitat „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ zugeschrieben. Das werden Sie erst recht feststellen, wenn Sie Ihre Schönheitsideale mit anderen diskutieren. „Über Geschmäcker lässt sich nicht streiten“, heißt es dann gern. Und überhaupt: Selbst wenn Sie mit Pattinson und Spiranac liebäugeln, war die Grundauswahl eigentlich komplett? Schließlich werden hier nur Stars und Sternchen gereiht…

Gleiches lässt sich im Grunde auch über die unzähligen Attraktivitätsrankings von Arbeitgebern sagen, in denen derzeit zum Beispiel Porsche als attraktivster Arbeitgeber Deutschlands und der Google-Mutterkonzern Alphabet als gar der attraktivste Arbeitgeber der Welt platziert werden. Schaut man sich die Untersuchungen genauer an, fällt auf, dass es sich eher um ein Ranking von Marke und Image handelt als der eigentlichen Arbeitgeberattraktivität.

So manches Herz mag höherschlagen, wenn Robert Pattinson oder Paige Spiranac im Porsche vorfahren. Ob es sich aber wirklich um den Traumpartner oder die Traumpartnerin handelt und man in den Werkshallen von Porsche den Traumjob findet, daran sollte man angesichts der Datengrundlage und der offensichtlichen kognitiven Verzerrung ein Fragezeichen setzen.

Lernen kann man aber schon mal eines: Ohne Marke wird es schwierig, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Unternehmen mit weltweit fünf Kunden haben Recht: Man braucht keine Homepage und Social-Media-Kanäle, um von den Kunden wahrgenommen zu werden. Aber man braucht sie, um von möglichen Mitarbeitenden wahrgenommen zu werden.

Den „Starke-Marken-Trick“ nutzen übrigens viele der Anbieter von Attraktivitätssiegeln. Man muss das Unternehmen nicht kennen, wenn es von einem großen Verlagsnamen präsentiert wird – so die Logik. Da wird der gute Name des renommierten Wirtschaftsmagazins doch zum perfekten Hebel, wenn man selbst zwar so schön, aber nicht so bekannt ist wie Robert Pattinson.

Das haben Verlage und Beratungsgesellschaften längst erkannt und ein spannendes Geschäftsmodell rings um die Attraktivitätsbescheinigung für Arbeitgeber aufgebaut. Zuhauf erhalten Unternehmen die frohe Botschaft, dass sie zu einem der attraktivsten Arbeitgeber der Branche oder gar des ganzen Landes gehören. Nutzen dürfen sie die starke Marke des Boten dieser Nachricht aber nur gegen Bezahlung. Nun sollte man nicht gleich alle Siegel und Auszeichnungen in den Papierkorb werfen. Hinter mancher steckt die harte Arbeit einer Zertifizierung oder der unabhängige Blick einer kritischen Jury.

Mit dem Zukunftgeber haben wir in der Region Braunschweig-Wolfsburg selbst ein Siegel etabliert, das ganz transparent macht, welche Versprechen hinter der ausgezeichneten Attraktivität stehen, und ein anspruchsvolles Zertifizierungsverfahren entwickelt, das nicht nur offenlegt, was vorhanden ist, sondern Unternehmen auch Potenziale für die Zukunft zeigt.   

Fehlt noch der Arbeitgeber-Attraktivitätsguru des World Wide Webs: Kununu. Geben Sie einen beliebigen Firmennamen eines mittelständischen Unternehmens oder großen Konzerns bei Google mit dem ergänzenden Suchbegriff „Gehalt“ oder „Urlaubstage“ ein, ist Kununu in vielen Fällen sogar vor der eigenen Firmenwebsite zu finden. Hier gilt, was auch bei jedem Hotelbewertungsportal gilt: Bewertungen werden meist von den Unzufriedenen und selten von den Zufriedenen abgegeben.

Jedes Unternehmen tut gut daran, zufriedene Mitarbeitende zu motivieren, sich bei Kununu zu äußern und negative Bewertungen mit einem wertschätzenden Kommentar und dem eigenen Blick zu relativieren. Auf der Suche nach dem attraktiven Arbeitgeber gilt bis dahin aber auch nicht mehr als: Wer nur schlechte Bewertungen bei Kununu hat, muss kein schlechter Arbeitgeber sein, sondern hat eventuell nur eine unaufmerksame HR-Abteilung oder einfach Frust über die geschriebenen Unwahrheiten. Arbeitgeber mit besonders guten Bewertungen scheinen vieles richtig zu machen. Doch zur Erinnerung: Geschmäcker sind verschieden und jeder bewertet anders.  

Zukunftgeber und Kununu können also Orientierung bieten, aber man kommt nicht umhin zu fragen: Wie sieht eigentlich der Arbeitgeber aus, den ich mir wirklich, wirklich wünsche? Die Anlehnung an das doppelte Wirklich vom Begründer des Begriffs „New Work“, Frithjof Bergmann, wähle ich ganz bewusst. Er fragte von Arbeitslosigkeit bedrohte Industriearbeiter in den frühen 1960er-Jahren in Michigan: Was ist Arbeit, die Du eigentlich wirklich, wirklich willst?

Wann immer ich diese Frage mit etwas Ruhe und Abstand typischer Musterantworten mit Menschen diskutiert habe, antwortet fast niemand mehr, dass es bei der Auswahl des Arbeitgebers vornehmlich um Gehalt gehen sollte. Viel häufiger geht es in den Gesprächen zum Beispiel um die Frage von Selbstwirksamkeit: Kann ich mit meiner Arbeit etwas bewegen, das wirklich sinnvoll ist?

Nicht von ungefähr hat die HR-Szene in den letzten Jahren intensiv über den Begriff „Purpose“ diskutiert. Mit der Frage nach dem „Purpose“ eines Unternehmens können Sie im Bewerbungsgespräch HR-Abteilungen aber immer noch ganz schön auf die Probe stellen.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn die Antwort darauf allzu durchgestylt und blumig ausfällt. Dann lässt sich erkennen, dass der Purpose wie wahrscheinlich auch die Unternehmensvision und das Leitbild eher von Werbeagenturen erstellt als aus dem Inneren des Unternehmens heraus entwickelt wurden. Da ist es fast besser, wenn ein Mittelständler Ihnen antwortet: Was ist denn bitte Purpose? Denn dann können Sie gemeinsam auf die Suche danach gehen und haben noch die Chance, eine authentische Antwort zu erhalten.

"Was ist Arbeit, die Du eigentlich wirklich, wirklich willst?" – Frithjof Bergmann

Überhaupt brauchen Mittelständler sich nach unserer Erfahrung nicht verstecken, wenn es um Arbeitgeberattraktivität geht. Ein Hund im Büro? Den Firmenwagen für den eigenen Umzug am Wochenende? Das private Paket aus dem Onlineshop zum Unternehmen bestellen? Fragen, an denen HR-Abteilungen in Konzernen verzweifeln und Mittelständler häufig als selbstverständlich hinnehmen. Und weil all das eben so charmant unbürokratisch möglich ist, können viele Mittelständler auch viel einfacher Räume zur Selbstwirksamkeit schaffen als große Konzerne. In ihnen lassen sich Dinge vom Einzelnen viel leichter bewegen und gestalten.

Seien wir Konzernen also nicht böse, wenn Sie mit globalen Karrieren, attraktiven Gehältern und ausgefeilten Qualifizierungsprogrammen werben. Sie betonen nur ihre inhärenten Stärken und das sollten Mittelständler auch mehr tun.

Der Aufbau einer Arbeitgebermarke ist also harte Arbeit. Sich dabei von erfolgreichen Unternehmen inspirieren zu lassen, ist super. Aber ein Erfolgsrezept, das man mit „copy and paste“ anwenden kann, gibt es nicht. Und das ist auch gut so. Antworten Unternehmen auf typische Fragen alle mit der gleichen typischen Antwort, verliert die eigene Marke an Unterscheidbarkeit.

Eine ganz typische Antwort des Mittelstands auf die Frage nach der Unternehmenskultur ist beispielsweise: „Bei uns gibt es ein sehr familiäres Klima.“ Doch was heißt das eigentlich? Nicht jeder kommt aus einem glücklichen Familienleben und der Gründer von Netflix, Reed Hastings, schreibt in seinem lesenswerten Buch „No Rules“, dass er das Familienbild für Unternehmen völlig unpassend findet. Denn in seiner Familie wird natürlich niemand zurückgelassen, das schwächste Glied gibt im Zweifel das Tempo an. Doch soll für Netflix gelten, wie er mit seiner Familie umgeht? Auf keinen Fall. Er meint: Netflix ist eher eine perfekte Profisportmannschaft. Werte wie Loyalität, Teamgeist und Kooperationsbereitschaft stecken tief in der DNA, aber die Schwächsten geben niemals das Tempo vor und verlieren ihren Platz im Team, wenn die Leistung nachlässt – mit einer Professionalität und ohne Groll wie es in den besten Profimannschaften der Welt auch funktioniert.

Man muss dieses Bild nicht teilen, aber wer zwischen solchen Extremen nie eine Diskussion im Unternehmen geführt hat, wird keine starke und unterscheidbare Arbeitgebermarke aufbauen können. Und das zeigt nicht zuletzt, dass Arbeitgeberattraktivität nie eine Aufgabe ist, die man bei der Personal- und Marketingabteilung abladen darf, sondern der man sich gemeinsam als Unternehmensführung sehr intensiv immer wieder stellen muss.    

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 26 / Frühling 2023.

 

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