Kultur
Der Ruf der Stillen
Musik verbindet
Von Falk-Martin Drescher
In den kulturellen Seitenstraßen sind sie zu finden: Alternativszenen, Under-ground – Subkultur. Oft fehlt es ihren Orten und Akteuren an medialer Sichtbarkeit, die mit der Corona-Pandemie verbundenen Umstände hat sie indes noch härter getroffen als manch anderen Akteur des „Mainstreams“. Wobei sich unser Redakteur auch die Frage gestellt hat: Ab wann ist man Subkultur, ab wann Mainstream? Falk-Martin Drescher hat jedenfalls einige spannende Macher der hiesigen Kulturszene besucht.
Passend zur Überschrift startet unsere Reise im Laut Klub, auf den ersten Blick ein Domizil für Fans von Techno, House und Goa, einem Stück Berlin auf der Hamburger Straße. Aber eben auch viel mehr. „Über den Laut Klub zu schreiben, ist, wie über Musik zu philosophieren: kann man machen, aber am Ende reicht das nicht aus. Irgendwann muss man einfach reingehen und mitgehen und hören und fühlen“, erläutert Michelle Arth, Schriftführerin des Kunst- und Kulturvereins KuK-BS, der den Laut Klub betreibt. In einer ehemaligen Tiefgarage ist hier nicht einfach „nur“ ein Club, sondern echte Gemeinschaftskunst entstanden. In kollektivem Engagement wird hier auf- und ausgebaut. „Hier tanzt, schwitzt und stampft stolz und laut der Underground“, so Arth. Selbst, wenn es nicht laut ist, ist es indes definitiv nicht leise um den Ort: Während der Pandemie konnte in den Räumlichkeiten beispielsweise eine Kunstausstellung stattfinden, das Staatstheater Braunschweig hatte hier eine Aufführung und auch Kleidertauschpartys standen in Kooperation mit dem B58 auf der Agenda. In den Sommermonaten wurden zudem liebevolle Open-Air-Welten mit vielfältigen Kulturprogrammen auf die Beine gestellt – „savoir vivre“ und „savoir faire“ im Garten der Städtischen Musikschule. „Die Corona-Pandemie konnten wir mit der Hilfe von freiwilligen Helfern und Helferinnen sowie einer Vielzahl an Unterstützern und Unterstützerinnen überstehen“, erklärt die Schriftführerin. Und auch wenn seit Anfang März wieder „regulär“ – soweit man das in der aktuellen Zeit sagen kann – gefeiert wird: Die Lage ist ernst. Arth: „Wir sind aufgrund der Unterstützung in einer guten Position, bei vielen anderen Betreibern ist das aber nicht der Fall.“ Der gegen-seitige Support sei daher umso wichtiger.
Die reale Begegnung
Ein geschätzter Ort für Jugendkultur ist auch das bereits angesprochene B58. Ganz gleich, ob Punkrock, Indie und Alternative, Hardcore und Metal – das Jugendzentrum gilt als etablierte Adresse in Braunschweig. Regelmäßig sind hier Bands aus aller Welt zu Gast, wenn nicht gerade die Pandemie einen Strich durch die Rechnung macht. „Wir hatten sehr viele Planungsunsicherheiten“, skizziert Julian Tschirch, Vorstandsvorsitzender des Vereins zur Förderung von Jugendkultur und Musik im B58. Sicherlich: Teilweise waren Open-Air-Formate möglich, auch habe man einige Onlineprojekte wie etwa Livestreams durchgeführt. „Ohne die regelmäßigen Konzerte in Präsenz ist aber trotzdem eine riesige Lücke deutlich geworden. Das B58 lebt von einem bestimmten Zusammengehörigkeitsgefühl“, schildert Tschirch. Die Menschen liefen sich nicht mehr im Flur über den Weg, konnten sich nichtmal eben kurz im Proberaum gegenüber besuchen. Dabei habe gerade die Pandemie deutlich gemacht, wie groß das Interesse an der Musik und am kulturellen Miteinander sei. Der Vorstandsvorsitzende führt aus: „Die vergangenen Monate vermitteln natürlich immer wieder den Eindruck, dass jetzt dauerhaft nichts mehr geht. Wir haben aber den Eindruck, dass die Szene nicht an sich geschrumpft oder kleiner geworden ist, sondern dass sie für eine lange Zeit viel weniger sichtbar war und nun erstmal wieder regelmäßige, konstante Begegnungsmöglichkeiten braucht.“ Auch das sei eine Lehre der Pandemie: Die gegenseitige Unterstützung sei immens gewesen. Zudem seien völlig neue Kooperationen entstanden. Ebenso hätten sich in den vergangenen Monaten einige neue Bands gegründet. „Einige junge Menschen haben offenbar mit Kreativität auf die ungewohnte Situation rea-giert.“ Unabhängig davon spielen gemeinschaftliche Orte wie das B58 weiterhin eine essenzielle Rolle. Es braucht Räume, in denen Jugendliche und junge Erwachsene sich ausleben können. „Das Gefühl zu haben, etwas auf die Beine stellen zu können, selbst das Szeneleben mitgestalten zu können, ist ein ganz wesentlicher Faktor für eine funktionierende Szene.“
„Wichtig ist, das Vertrauen nicht zu verlieren.“
Apropos etwas auf die Beine stellen. Wahrlich ein Vorzeigeort für Partizipation ist das Summertime Festival in Wolfenbüttel, das alljährlich von einem Team aus Freiwilligen geplant und durchgeführt wird. „Eine vielfältige Mischung an Menschen trifft im Seeliger Park aufeinander und verbringt ein Wochenende voller Musik und Freude zusammen. Musik verbindet – und das tut sie auch auf dem Summertime Festival“, erklärt Marie Orban aus dem Presseteam. Bereits seit 2011 ist das Festival als Förderer der regionalen Kunst- und Musikszene aktiv. Das Ziel: Der jungen Popkultur der Region eine Alternative zu herkömmlichen, kommerziell organisierten Großveranstaltungen bieten. Zur Freude des Teams musste das Festival in den vergangenen Corona-Jahren trotz Einfluss der Pandemie nie abgesagt werden. Der Arbeitsaufwand allerdings stieg umfassend. „Mit großer Mühe und hohem Arbeitseinsatz der Freiwilligen konnten in den vergangenen zwei Jahren das Festival in verschiedenen Versionen stattfinden“, blickt Orban zurück. In 2020 wurde schließlich zu einem Autokino-Konzert auf den Exer in Wolfenbüttel geladen, in 2021 kehrte das Summertime mit umfangreichen Auflagen zurück in den Seeliger Park. Festival auf Picknickdecken. Für die Zukunft wünscht sich Orban vor allem eines: Zuversicht. „Dass es wieder bergauf geht und die Kultur wieder zum Leben erwachen wird. Wichtig ist, das Vertrauen nicht zu verlieren.“
Mehr Öffentlichkeit, mehr Vernetzung
Der kleinste Kulturraum im Landkreis Wolfenbüttel ist unterdessen in Abbenrode zu finden – das ARTmen. Die Initiatoren Angelika und Andreas Soluk sind selbst Kulturschaffende, sie wollen mit ihrem Ort Kunst erlebbar machen und den künstlerischen Austausch fördern. Dörflich gelegen schafft der Raum sofort eine familiäre Atmosphäre, ermöglicht einen nahen Austausch mit Künstlern sowie gibt Anstoß für Inspiration. Das gilt übrigens auch für die Zeit der Pandemie. Sie beschreiben dazu: „Wir glauben, dass die Pandemie neben allen negativen Auswirkungen teilweise große Kräfte freigesetzt hat. Aus der Not ist eine neue Kreativität geboren, die durchaus bemerkenswert und spannend war.“ Mit Blick nach vorn formulieren die ARTmen-Gründer einen Wunsch: Die Akteure, die noch da sind, sollten ein Zeichen setzen. „Die Region bietet eine breite, spannende Palette an Kultur und Subkultur, die aber oft gar nicht gesehen wird. Es wäre schön, wenn die Szene einfach etwas mehr Öffentlichkeit bekäme.“
Ein Start mit Freude und Optimismus
Aus der Gifhorner Szene wiederum nicht wegzudenken, ist der Musiker und KultBahn–hof-Host Volker Schlag. Blues, Rock, Folk und vieles mehr findet hier eine Bühne – ehrliche, handgemachte Musik. Von regionalen Acts über nationale bis internationale Größen kommen hier zusammen, und das in besonderem Ambiente des historischen Bahnhofs. „Wir haben einen hohen musikalischen Anspruch, ohne dabei das Publikum zu überfordern“, so Schlag. Die vergangenen Monate seien sehr schwer gewesen, „unglaublich viele Veranstaltungen mussten verschoben werden“. Wäre der Club nur von den Veranstaltungen abhängig, wäre es schwer, den Club überhaupt zu halten. Dennoch fasst Schlag zusammen: „Wir starten jetzt einfach neu, und zwar mit großer Freude und Optimismus.“ Mit Tatendrang geht es auch für Holger Schürbusch und sein Team in die kommenden Monate – und das trotz harter Monate. „Der letzte Lockdown-Winter war eine Katastrophe. Wir standen mit dem Spunk kurz vor dem Aus, weil die Hilfe vom Land erst viel zu gering und dann sehr spät kam.“ Ohne den Support von Gästen würde es die Mischung aus Café und Bar am Westbahnhof schon gar nicht mehr geben. Dabei ist auch dieser Ort eine wichtige Plattform: Mehrmals wöchentlich schafft die Lokalität eine Bühne für Bands, Kleinkünstler und Autoren aus der Region. „Das Spunk is bunt, ungezwungen, international und frei“, fasst Schürbusch zusammen.
Wo ist der Stellenwert von Kultur?
Kunst außerhalb der gängigen, etablierten Kulturproduktionsstätten bietet die Initiative bskunst. Rund 30 Mitglieder setzen sich an unterschiedlichen Orten – etwa in der Ausstellungsfläche in der Jahnstraße oder den Kultfenstern in der Friedrich-Wilhelm-Straße – dafür ein Kulturschaffenden einen Raum zu bieten und gleichzeitig das Stadtbild aufzuwerten. Dabei kommen Kulturschaffende aus den Bereichen Malerei, Grafik, Zeichnung, Skulptur, Installation, Fotografie, Illustration, Performance und Literatur zusammen. Die Vorsitzende Astrid Brandt dazu: „Wir wollen kulturelle Lücken mit neuen, interessanten Projekten schließen.“ Die Kultur dürfe dabei nicht nur als Nebenschauplatz, sondern müsse als wirtschaftlicher Hauptschauplatz gesehen werden, betont Brandt. Übrigens: bskunst plant derzeit an dem Projekt „Trau dich“. Hier sollen Menschen, die bisher nur wenig Bezug zu Kreativität oder Kunst hatten, die Möglichkeit erhalten, sich in unterschiedlichen Bereichen dem Thema zu nähern. Vielleicht ist auch genau das die Tonalität für die Szene: Trau dich, habe Mut, bleibe optimistisch. Die vielen engagierten Akteure beweisen jedenfalls, dass Kunst und Kultur sehr kreativ und innovativ auf große Herausforderungen reagieren können – und es gewiss auch in der Zukunft tun werden.
Falk-Martin Drescher
studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.
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