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Mission Impossible – Reichen „Feuer und Leidenschaft“ für den Klassenerhalt?
Stadtglanz hat es bereits Anfang des Jahres prognostiziert.
Von Florian Kula
Die Braunschweiger Eintracht steht vor einem Umbruch während der Saison, um den „Worst Case: Dritte Liga“ noch abzuwenden.Der nicht zu entkräftende Vorwurf, dass erst vor dieser Saison falsche Weichenstellungen durchgeführt und Entscheidungen auch zu falschen Zeitpunkten getroffen worden sind, beherrschte die Diskussionen rund um die Löwen. Spätestens nach dem schwachen Saisonstart unter Jens Härtel geriet auch Sport-Geschäftsführer Peter Vollmann so sehr unter Druck, dass er auf dieser Position nicht mehr zu halten war. Durch die frühzeitige Verantwortungsübernahme von Benjamin Kessel als „Sportdirektor mit erweiterten Kompetenzen“ und auch durch die Verpflichtung von „EisenErmin“ Bicakcic versuchen die Blau-Gelben nun innerhalb und außerhalb des Teams an elementaren „Schrauben“ zu drehen, damit das Saisonziel „der Klassenerhalt“ doch noch erreicht werden kann.
Dabei sollen die „Emotionen der Fans“ unbedingt angesprochen und die Stimmungslage rund um die Eintracht wieder verbessert werden, damit der berühmte „Funke“ in dieser schwierigen Phase des Vereins auch auf die Zuschauer überspringt und die Atmosphäre im EINTRACHT-Stadion auf die Spieler übertragen werden kann. Nur wie kann das gelingen? Was muss passieren? Im Stadtglanz-Interview spricht Ermin Bicakcic, der mit seiner Mentalität auf die Hierarchie direkt in der Mannschaft einwirken soll, über die besondere Herausforderung bei der Eintracht und warum er sich nach seiner Zeit bei der TSG 1899 Hoffenheim als „gestandener Bundesligaspieler“ wieder für die Eintracht entschieden hat.
Ermin, herzlich willkommen zurück in Braunschweig! Welche Emotionen und Erinnerungen verbindest Du mit der Löwenstadt?
EB: Erst einmal vielen Dank für die vielen Willkommensgrüße. Die Entwicklung der Eintracht habe ich nach meinem Wechsel immer verfolgt. Es war für mich jetzt wie ein Déjà-vu als ich durch die Straßen fuhr, vorbei an meiner alten Wohnung. Ich habe noch einmal alles Revue passieren lassen. Es ist ein überragendes Gefühl wieder hier zu sein. Es fühlt sich an wie eine Heimkehr.
Kaum jemand – und damit sind nicht nur die Menschen aus Braunschweig und Region gemeint – traut der Eintracht noch den Klassenerhalt zu. Sind mit Deiner Ankunft und Rückkehr in Braunschweig auch ein Maß an „Leadership“ und Emotionalität zurück bei der Eintracht? Warum ist der Klassenerhalt doch noch möglich und welche Rolle nimmst Du selbst dabei ein?
EB: Ich gehe gerne auch als „Leader“ voran, doch Erfolg werden wir nur gemeinsam haben, wenn alle gemeinsam am gleichen Ziel arbeiten. Extrem wichtig ist, dass der Teamspirit positiv ist. Das ist hier bei der Eintracht ganz besonders, wie in einer Familie. Jeder muss ins Boot geholt werden. Dazu gehört aber auch, dass man sich im Sinne des Vereins die Meinung sagen darf. Alle sollten kritikfähig sein, damit sich die Gruppe positiv entwickelt. Grundlegende Eigenschaften müssen eingefordert werden, auch wenn ein Zwischenschritt erfolgreich verlaufen sein sollte. Jeder Einzelne ist da in der Verantwortung, immer weiter das Maximum aus sich herauszuholen. Untereinander sollte der Aufforderungscharakter bestehen, sich zu Bestleistungen anzuspornen, damit wir als Gruppe erfolgreich sein können. Wir sollten uns kleine Teilziele setzen und von Spiel zu Spiel besser werden.
Nach Deiner Zeit bei der Eintracht und Deiner Teilnahme an der WM 2014 bist Du zur TSG 1899 Hoffenheim gewechselt und hast es dort zum Legenden-Status gebracht. Wie hast Du die Nähe und Verbindung zu den Fans hergestellt?
EB: Diese Wertschätzung erfährt man nur über einen längeren Zeitraum, wenn der sportliche Einsatz mit voller Leidenschaft stimmt. Wir hatten bei der TSG auch verschiedene Konstellationen. Von der Champions League bis hin zum Abstiegskampf habe ich dort alles erlebt und gelebt. Ich denke, es ist immer eine Verbindung aus sportlich konstanter Leistung, Charakter und gelebten Emotionen. Die Menschen schätzen den maximalen Einsatz für den Verein. Ich bin ein offener und kommunikativer Typ und stelle mich auch schwierigen Situationen. Und natürlich auch dann, wenn es einmal nicht so gut läuft. Die Kommunikation und der Austausch mit den Fans ist Teil unseres Berufs und sehr wichtig, denn Fußball ohne Zuschauer ist für mich nicht vorstellbar.
Auch in schwierigen Zeiten haben die Menschen in Hoffenheim zu Dir und dem Verein gestanden, sodass eine gegenseitige, große Wertschätzung entstand. Welche Attribute zeichnen Dich explizit aus und was erwartest Du von Deinen Teamkollegen und Vereinsverantwortlichen?
EB: Ja, es gab dort lange Gespräche über meine Zukunft. Aber ich spüre immer noch dieses „Feuer“ in mir. Wir hatten auf sportlicher Ebene unterschiedliche Visionen, sodass ich nach neun Jahren noch einmal eine neue sportliche Herausforderung gesucht habe. Dabei musste ich Geduld bewahren. Es war eine völlig neue Situation für mich, denn ich wollte eine Aufgabe finden, die zu mir passt. Klar ist aber auch, dass Ermin Bicakcic keine Spiele allein gewinnen kann. Die Eintracht ist für mich eine „Herzensangelegenheit“ und ich versuche mit maximaler Leidenschaft und stetig besseren Leistungen plus meiner Erfahrung, einen wichtigen Input für das Erreichen der Ziele beizusteuern. Aber jeder muss gleichermaßen seinen Beitrag leisten. Es wird nur gemeinsam gelingen. Jeder muss sich seiner Aufgabe bewusst sein, sowohl sportlich als auch neben dem Platz.
Mit der sportlichen Führung um Benjamin Kessel, Dennis Kruppke und Marc Pfitzner hast Du damals zusammen auf dem Platz gestanden. Ist das für Dich ein wichtiger Faktor für die zukünftige Zusammenarbeit?
EB: Es zeigt auch einen gewissen Weg der Eintracht, jeder Einzelne von ihnen lebt den Verein. Wir haben schon gemeinsam auf dem Platz gestanden, jetzt haben sie andere Funktionen. Das ist natürlich auch für mich eine interessante Geschichte. Benjamin Kessel war sicherlich auch einer der Faktoren, die zu meinem Wechsel beigetragen hat.
Das neue Trainerteam um Daniel Scherning hat nach der Niederlage in Hannover seine Arbeit aufgenommen. Wie ist die Stimmung aktuell auf dem Trainingsplatz? (Interview vor dem Spiel beim HSV)
EB: Vor dem Osnabrück-Spiel war natürlich nicht viel Zeit. Die Aufgaben wurden klar definiert und vor allem die Grundprinzipien taktisch unabhängig angesprochen. Es gibt einen klaren Plan mit eindeutigen Aufgabenverteilungen. Jetzt liegt es an uns Spielern, diese Abläufe und Automatismen immer besser umzusetzen. Dafür benötigen wir Zeit, die wir aktuell aufgrund der Situation nicht unbedingt haben. Dennoch ist es unser Auftrag, die Hinweise und Informationen wie ein Schwamm aufzusaugen. Jeder sollte seine Aufgaben zu 100% erfüllen. In der Dreierkette können wir vom Positionsprofil flexibel so agieren, wie es für die Mannschaft am zuträglichsten ist. Aber schon in Hoffenheim habe ich mehr auf den „Halbspuren“ agiert als im Zentrum, weil es für mein Zweikampfverhalten wichtig ist, noch einen Spieler als Absicherung neben mir zu wissen.
Welche Faktoren sind für Dich ausschlaggebend, um die sportlichen Ziele mit dem „Klassenerhalt“ in dieser Saison noch zu erreichen? Du hast den Glauben angesprochen. Wie erreichst Du diese „innere“ Stärke für Dich persönlich?
EB: Ich denke, jeder hat seine Methoden und Rituale. Die Situation noch dazu in einer Gruppe ist viel komplexer. Es ist nicht alles immer so simpel, es beeinflusst auch das private Umfeld. Ohne intensive, harte Arbeit und die Einstellung zum „Job“ wird es nicht funktionieren. Die Bereitschaft, im Training alles zu geben, muss absolut vorhanden sein. Ich vergleiche es immer mit der Tour de France. Wir müssen etappenweise denken, damit wir den Fokus nicht verlieren. Über das Erreichen von kleineren Zielen können wir gemeinsam erfolgreich sein. Das war bisher auch immer meine persönliche Herangehensweise.
Welche Perspektiven wünscht Du Dir mit der Eintracht?
EB: Ich denke aktuell nicht langfristig. Für mich zählt derzeit nur die „Mission Klassenerhalt“ und ich möchte dazu meinen maximalen Input geben. Alles darüber hinaus liegt in der Zukunft und würde mich von meinem Fokus ablenken und für die maximale Bereitschaft möchte ich nicht einmal einen Prozentpunkt hergeben.
Stadtlganz denkt: Die Eintracht hat noch einen harten und steinigen Weg vor sich verfügt aber – wenn alle zusammenhalten – über den Hauch einer Chance. Es sind einige Sofortmaßnahmen eingeleitet, die sicher in der Winterpause ihre Fortsetzung finden, damit der Umbruch vollzogen und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rückrunde geschaffen werden. Dafür benötigt die Eintracht die Unterstützung des gesamten Umfeldes und vor allem die ihrer Fans, die auch bei Rückschlägen – ebenso wenig wie die Spieler – die Hoffnung verlieren dürfen. Denn ohne deren Unterstützung und positiven Zuspruch wäre es ansonsten tatsächlich eine „Mission impossible“.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 29 / Winter 2023.
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