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Kultur

3. März 2022

Moderne Kunst in Nordkorea

In der Kunst Gesellschaft gibt es Trends

Von Katerina Belkina

Stellen Sie sich vor, es sei ein Wunder geschehen und es würde in Nordkorea eine Artfair für westliche moderne Kunst stattfinden. Diese Aktion selbst wäre bereits an und für sich eine spannende Performance. Zugleich wäre dies aber auch eine die Grenzen des Üblichen sprengende Herausforderung für die Aussteller und Galeristen, die Einzigartigkeit und Schönheit der Kunstwerke unter derartigen Umständen zu präsentieren.

Eine solche Kunstausstellung wäre für Nordkoreaner etwas absolut Neuartiges. In einem solchen Kontext würde es nicht auf Namen, wie die der vielen zeitgenössischen „Star-Künstler“ ankommen: Diese würden das Publikum weder als Berühmtheiten interessieren, noch hätten ihre Kunstwerke allein durch ihren Namen bereits einen bestimmten Reiz. Käme jemand auf die Idee, ein Werk eines der bekanntesten deutschen modernen Maler Georg Baselitz bei einer solchen Ausstellung mit einem sechsstelligen Preisschild zu versehen, so wären Nordkoreaner entweder maßlos über die Schönheit dieser Gemälde schockiert oder würden sich darüber totlachen. Die Galeristen wären für die Nordkoreaner bloß ein äußerst komisches Völkchen, welches dazu in der Lage ist, selbst unbeholfene Zeichnungen von Kindern als Kunst zu bezeichnen.

Nordkoreaner würden sich sofort trauen zu sagen: „Der König ist nackt!“, da sie die spekulative westliche Art-Szene nicht kennen. Ein Galerist würde es hier mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht schaffen, einen Besucher davon zu überzeugen, sich für ein Bild mit drei Klecksen zu entscheiden.

Heutzutage traut sich kaum jemand, bei einer Ausstellung die Wahrheit zu sagen. Die meisten Kunstinteressenten laufen mit einem Glas Wein durch die Räume und versuchen, nicht allzu lange sich vor einem Bild aufzuhalten, um nicht öffentlich ihr Interesse an Werken von Künstlern zu zeigen, die in den Augen der „Kunstexperten“ nicht kompetent genug sind. Die Nordkoreaner hingegen kennen weder die Atmosphäre eines Openings, noch kennen sie die Hierarchie im Art-Business – sie wären nicht beeinflusst von Schablonen der Kunstmode. In der westlichen Gesellschaft steht in der Kommunikation zwischen dem Künstler und dem Betrachter stets der verwöhnende und irritierende Kunstmarkt. In unserer Gesellschaft gibt es Trends in der Kunst und Künstler, die gerade sehr gefragt sind. Aber ist es denn Kunst, wenn sie lediglich modisch ist? Ist es für eine Kaufentscheidung überhaupt ausschlaggebend, den Trend zu kennen? Die nordkoreanischen Besucher unserer Artfair würden solche Fragen überhaupt nicht interessieren. Für sie wäre der zentrale Punkt nicht sich einer gesellschaftlichen Norm entsprechend zu verhalten, sondern ihr Blick wäre noch ungetrübt darauf ausgerichtet, ob denn ein Funke beim Betrachten eines bestimmten Kunstwerkes überspringt. Letzteres ist nämlich das tatsächlich wichtigste Kriterium für den Zuschauer und auch bei der Entscheidung zum Kauf.

Doch lassen sie uns die – zugegebener­maßen – etwas hypothetische Funktion der nordkoreanischen Gesellschaft als Betrachterstandpunkt verlassen: Dies war lediglich eine hypothetische Position, um eine vorurteilslose Wahrnehmung des westlichen modernen Kunstmarkts von außen zu simulieren. Denn beim Kauf eines Kunstwerks sollten wir uns primär auf unsere Gefühle ver­lassen, wir sollten uns selbst in der Schönheit des Kunstwerkes erkennen und uns mit ihm identifizieren können – nur dies sind die ausschlag­gebenden Gründe. Wenn man heute über die alten Meister der Renaissance spricht, dann denkt man noch an eine zeitgenössische Künstlerin. Sie ist mittlerweile weltweit sehr bekannt, in der Kunstszene vergleicht man sie mit Lucas Cranach. Das ist die russische Fotografin Katerina Belkina.

Fotografie als zeitgenössische Kunst.

Ja, ja, eine Fotografin. Heutzutage besitzt fast jeder eine teure Fotokamera und behauptet, er schieße fantastische Bilder, die dann zahlreich im Internet gepostet werden. So ist es besonders schwierig, sich als ein professioneller Fotograf durchzusetzen. Aber nicht bei Katerinas Bildern. Ihre Bilder sind eine Symbiose zwischen Malerei und Foto­grafie. Der Betrachter versteht auf den ersten Blick oft nicht, dass es sich um Fotografien handelt. Man könnte denken, es sind alte Ölgemälde aus dem Mittel­alter. Dabei sind dies die Fotografien einer Künstlerin, die 1974 in einer Provinzstadt Russlands Samara geboren ist. Samara ist eine Stadt der sowjetischen Epoche und kriminelle Hauptstadt im Südosten des europäischen Teils Russlands in den 1990er-Jahren.

Aber nicht nur alte Meister der Renaissance sind ihre Vorbilder. Katerina beschäftigt sich auch mit den Impressionisten, Kubisten und Expressionisten. Ihre Serie „Paint“ ist ein Beweis dafür. Sie imitiert verschiedene Kunstrichtungen, man sieht in ihren Bildern die groben Pinselstriche von Van Gogh, die frechen und sehr erotischen Zeichnungen von Egon Schiele oder die romantischen und zarten Farben von Gustav Klimt. Ihre Bilder sind spannende Illusionen, zeitlose Poesie. Die Allegorien, die man sehr oft in ihren Arbeiten findet, erschaffen eine geistige Tiefe und wirken auf einer metaphysischen Ebene.

Auf die Frage, wie sie eine Künstlerin geworden ist, antwortet Katerina: In der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, zu dem Zeitpunkt, als ich mich entschlossen hatte, Fotografie zu erlernen, gab es keine einzige Fotografin. Ich meine, keine einzige professionelle Fotografin.

Es gab nur ernste Fotografen, die eifersüchtig ihre Zitadelle bewachten. Arroganz ist leider charakteristisch für Kunstschaffende. Eigentlich bin ich keine Fotografin geworden. Und eine Künstlerin wurde ich nicht. Ich bin schon als Künstlerin geboren, indem ich mir die passende Familie aussuchte. Um Künstler zu werden, braucht man gar nichts. Und um berühmt zu werden, muss man sogar kein guter Künstler sein. Man kann auch ohne Talent auskommen, man braucht aber unbedingt Zeit. Die Künstler reifen nicht schnell aus.

Katerina Belkina inszeniert ihre Portraits und lichtet sich dafür selber ab: „Solange ich mich erinnern kann, wollte ich immer jemand anderes sein. Genauer gesagt, etwas tun oder handeln als jemand anderes. Deswegen spiele ich in meinen Arbeiten alle diese Rollen und Charaktere so gern. Die häufigste Frage, die ich beantworten soll, ist: Warum fotografierst Du Dich selbst? Diese Frage finde ich albern. Wer möchte denn nicht garantiert eine ständige Muse für den Künstler, eine Primaballerina oder immer wieder das Kampagnen-Gesicht sein?“

„Sogar in den weltberühmten Museen gibt es schlechte und langweilige Kunst. Das betrifft vor allem die moderne Kunst, die noch nicht bewährt ist. Deswegen empfindet der Betrachter in den Ausstellungen sehr oft, dass er irregeführt wird. Die Faulheit ist eine tolle Eigenschaft, die die Welt von Millionen Tonnen der nicht geschaffenen Kunst gerettet hat“, ironisiert Belkina über die moderne Kunst.

Katerina Belkina

Die 1974 in Samara geborene russische Fotografin und Malerin lebt und arbeitet seit 2013 in Berlin und erhielt unter anderem im vorherigen Jahr den internationalen Lucas-Cranach-Preis für ihr Werk ‚Die Sünderin‘, das neben weiteren Arbeiten von ihr bei ARTGESCHOSS 2016 in der WelfenAkademie Braunschweig ausgestellt wurde.

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