Kultur
Moderne Zeiten
Krise war schon immer
Von Dr. Christian Lechelt
Kaum etwas beflügelt die menschliche Fantasie mehr als die Vorstellung von Zukunft. Aus den Widrigkeiten eines Gegenwartsalltags denkt man sich nur zu gerne fort in eine rosige Zukunft. Die Utopie ist der schönste, manchmal fiebrige Traum von einem Morgen, das so freilich niemals kommt.
Denn die Utopie formuliert ein Ideal, das nie erreichbar ist, aber mit seinen Verlockungen einen Weg weist. Nur wer vom Morgen träumen kann, wird laufen lernen. Allerdings geht es auch andersherum: mit der Dystopie wird das Morgen zur Hölle, zum Abgrund, an dessen Rand man nicht stehen bleibt, sondern in den man hineinfällt. Aktuell stehen Sorge und Angst um die Zukunft höher im Kurs als freudiger Optimismus. Es ist ja auch kaum verwunderlich. Woher soll bei den vielen gegenwärtigen Krisen auch die positive Stimmung kommen, möchte man meinen. Das scheint verständlich – und ist zugleich sehr bequem. Nur allzu leicht landet man bei einer Schuldzuweisung an äußere Umstände oder gar ‚die Anderen‘, dass die eigenen Blütenträume nicht in Erfüllung gingen. In der Folge wird eine Vergangenheit nostalgisch glorifiziert und gegen ‚die Anderen‘ Ressentiments kultiviert. Im harmlosesten Fall erfolgt dann ein Rückzug ins Private (Biedermeier lässt grüßen!). Das Abfeiern von Caspar David Friedrich in diesem Jahr, der 250. Wiederkehr seines Geburtstages, lässt sich darunter verbuchen. All die Sonnenauf- und untergänge über friedlichen Landschaften, die aus den Rahmen schreiende Verinnerlichung – ach, wie schön war’s früher! Selbst die Tagesschau verstieg sich dazu, Friedrich als den „Maler der deutschen Seele“ zu titulieren. Ab da wird es gefährlich. Denn Nostalgie ist ein fieses und extrem wirksames Gift. Nicht nur verstellt es den Blick auf die Gegenwart, sondern es biegt eine Vergangenheit zurecht zu etwas, das niemals war.
Nostalgieverseucht sind daher heutige Beschwörungen einer alten, schmiedeeisernen BRD der Achtziger Jahre. Wohin will man da zurück? Zu Kaltem Krieg, Tschnerobyl, saurem Regen, AIDS, Golfkrieg, Tian’anmen-Massaker, Terroranschlägen – wer erinnert sich ans Oktoberfestattentat und an Lockerbie? Und das waren nur die „Highlights“…
Man sieht sehr leicht: irgendwie ist immer Krise.
Und tatsächlich ist doch die Entwicklung der Menschheit gar nicht anders denkbar. Denn Krisen fordern heraus, zwingen dazu, neu zu denken, zu erfinden, kreativ zu sein. Und darin ist der Mensch schon immer am besten gewesen: Herausforderungen bewältigen. Es ist besser, nicht der Nostalgie zu verfallen beim Blick zurück, sondern sich anzuschauen, was in früheren Zeiten getan wurde, um mit Krisen fertig zu werden. Unsere Museen sind voll davon. Jedes dort gesammelte Gebrauchsobjekt, Artefakt oder Kunstwerk erzählt eine Geschichte darüber. Es lohnt sich, diesen Geschichten zu lauschen!
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