Lifestyle
Wurzellos? Heimatlos?
Es heißt, Kinder brauchen Wurzeln und Flügel, um zu einer gesunden und stabilen Persönlichkeit heranzuwachsen.
Von Ann Wöste
An Gelegenheiten, Flügel auszubilden, mangelt es Kindern, die aufgrund der beruflichen Tätigkeit ihrer Eltern an verschiedenen Auslandsstandorten aufwachsen, meist nicht. Expat-Kinder, auch Third Culture Kids (TCK) genannt, da sie weder in ihrer eigenen noch in der jeweiligen Gastkultur, sondern in einer neu geschaffenen dritten Kultur, einem gemeinsamen Lebensstil mobiler Familien groß werden, genießen oft viele Privilegien. Sie haben die Möglichkeit, mehrsprachig aufzuwachsen, lernen unterschiedliche Kulturen kennen, haben einen internationalen Freundeskreis, die Möglichkeit, eine internationale Schule zu besuchen und sind in einer immer globaler werdenden Welt attraktive Mitarbeiter weltweit operierender Unternehmen.
Nur eins haben sie nicht. Die Möglichkeit, Wurzeln zu bilden und damit geografisch einen Ort in der Welt als ihre Heimat zu bezeichnen.
Wenn Erwachsene, die ihre Kinder- und Jugendjahre an ein und demselben Ort verbracht haben, für mehrere Jahre ins Ausland gehen, ist ihr Konzept von Heimat bereits verinnerlicht. Es ist ein Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlen, an dem sie ein Beziehungsnetz haben, an dem sie sich instinktiv richtig verhalten und dessen Werte ihren eigenen größtenteils entsprechen.
Daher kommen sie oft gar nicht auf die Idee, dass bei einer „Rückkehr“ aus dem Ausland das gleiche nicht zwangsläufig für ihre Kinder gilt. Viele dieser Kinder haben den Großteil ihres Lebens gar nicht an diesem Ort, der für ihre Eltern Heimat bedeutet, verbracht. Sie kehren „zurück“ an einen Ort, den sie gar nicht richtig kennen, geschweige denn, mit dem Gefühl von Heimat verbinden. Sie fühlen sich wie Fremde im eigenen Land und wissen oft gar nicht warum. In ihrer Selbstwahrnehmung gehören sie doch dorthin, spüren aber sehr oft, dass das innere Erleben anders ist als erwartet. Auch die Tatsache, das es sich um ein inneres Erleben handelt, dass nach außen hin nicht sichtbar ist, macht die Reintegration für diese Kinder oft so schwierig. Sie finden keine Worte dafür und fühlen sich oft unverstanden. Die Erkenntnis, dass dieses Gefühl mit ihrem Lebensstil zusammenhängt und dass es Menschen gibt, nämlich andere Third Culture Kids, die dieses Empfinden teilen und in deren Gesellschaft sich sogar oft eine Art Heimatgefühl einstellt, entlastet sehr.
Fragt man diese jungen Menschen, wie sie Heimat für sich definieren, kommen oft Antworten wie: „Überall und nirgends“, „ich bin in der Welt zu Hause“, „Heimat ist ein Gefühl und kein Ort“.
Als Erwachsene zeigen sich bei TCK oft zwei Phänomene. Die einen wollen nie wieder weg, um doch noch Wurzeln ausbilden zu können und an einem Ort heimisch zu werden. Die meisten jedoch fühlen eine gewisse Rastlosigkeit und ein inneres Getrieben werden und entscheiden sich für ein Leben, das örtlich nicht gebunden ist und werden oft selbst wieder zu Expats. Das Umziehen fällt ihnen leicht. Sie sind es gewohnt, sich neu zu integrieren, neu anzupassen und haben eine große Neugierde für fremde Orte. Was ihnen jedoch nicht leicht fällt, ist Stillstand, Innehalten und Sesshaftigkeit.
Auch das Gefühl, außerhalb der Expat-Gemeinschaft nicht wirklich dazuzugehören, irgendwie anders zu sein und natürlich die vielen unvermeidlichen Beziehungsabbrüche und Verlusterfahrungen, wenn wieder ein Umzug ansteht, gehören neben den vielen positiven Möglichkeiten zu den großen Herausforderungen der mitreisenden Kinder.
Damit Kinder mit diesem Lebensstil emotional gesund bleiben, ist es wichtig, über die sensiblen Phasen einer Auslandsentsendung Bescheid zu wissen und sich die Zusammenhänge mit den nicht immer offensichtlichen Gefühlen von Fremdsein, Nichtzugehörigkeit und Trauer bewusst zu machen.
In der Region Braunschweig / Wolfsburg gibt es viele Familien, die das Nomadenleben gut kennen. Große hier ansässige Firmen und Zulieferbetriebe versenden regelmäßig Mitarbeiter an unterschiedliche Auslandsstandorte.
Das Standartwerk „Third Culture Kids – Aufwachsen in mehreren Kulturen“ von David E. Pollock und Ruth Van Reken lädt ein, das Thema weiter zu vertiefen.
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