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Wirtschaft

26. Januar 2023

Ist Print wirklich tot? – Transformation der Tageszeitungen

Beständig fallen die Auflagen gedruckter Tageszeitungen – seit Jahren. Und die Verlage? Verwalten den Untergang nur noch, könnte man meinen.

Von Timo Grän

( Foto: Marc Stantien )

Immer mehr Menschen, insbesondere jüngere LeserInnen, informieren sich auf digitalem Weg und das am liebsten kostenlos. Eine gefährliche Entwicklung, weiß man doch um den seit Jahren zunehmend missbräuchlichem Einsatz von Fake News. Doch wie kann diese Zielgruppe abgeholt und auf qualifizierten Journalismus sensibilisiert werden? Welche Wege und Formate eignen sich überhaupt dafür, welche insbesondere für Print?

Im Gespräch von Timo Grän, Herausgeber des Stadtglanz und der Service-Seiten und Tatjana Biallas, der Geschäftsführerin der FUNKE Medien Niedersachsen – und zugleich Repräsentantin einer neuen (Zeitungs-)Generation – zusammengefasst von Lina Tauscher, geht es darum, was die Verlagshäuser bei der Transformation verschlafen haben und wie der Turnaround doch noch klappen kann.

 

Wollen wir uns duzen?

begrüßte uns Medienexpertin und FeMentor-Mentorin Tatjana Biallas, die bereits unter anderem bei CNBC International, Taboola sowie gofeminin tätig war, und gab uns somit einen ersten Einblick in ihre Vorstellung von Unternehmenskultur: Nämlich nahbar, selbstbestimmt und tolerant. Denn damit Medien ihrer gesellschaftlichen Funktion der Meinungsvielfalt gerecht werden können, muss diese auch hinter den Kulissen stattfinden.

Tatjana, Du bist sozusagen als „Zeitungsfremde“ nach Braunschweig gekommen und seit April 2022 als „neue Leiterin mit Digitalstrategie“ im Einsatz. Was genau hat sich im Unternehmen seither verändert?
Tatjana: Zum einen geht es bei der digitalen Transformation um moderne Technologien, neue Systeme und dateninformiertes Arbeiten. Zum anderen ist aber auch der kulturelle Wandel eine Voraussetzung dafür, die Leute mitzunehmen. Ich sehe die größte Entwicklung der letzten sechs Monate darin, dass Barrieren zu Führungskräften und der Geschäftsleitung abgebaut wurden, viel Wert auf Eigenverantwortlichkeit und Mitsprache gelegt wird und die Strategien gemeinsam mit den Teams entwickelt werden. Um Verantwortung abzugeben, ist natürlich auch eine positive Fehlerkultur wichtig, weil nicht alles auf Anhieb funktionieren kann. Dazu gehört auch die Freiheit, sich auszuprobieren, wie beispielsweise der Launch eines TikTok-Kanals – von der Redaktion aus angetrieben.

Fehler- und Streitkultur sind in Deutschland sehr sensible Themen, aber es gibt auch kleine Fortschritte. Wie geht ihr innerhalb der FUNKE Mediengruppe mit diesen Punkten um?
Tatjana: Wir möchten viel offener damit umgehen. Unsere Verlegerin Julia Becker hat beispielsweise in Wien auf einem Kongress mitgeteilt, dass am falschen Ende, nämlich der Lokalredaktion, gespart wurde. Für uns ist es wichtig und inspirierend, dass sich eine Leitfigur des Unternehmens für unsere Mission einsetzt, öffentlich einen Fehler eingesteht und dafür plädiert, diesen wieder rückgängig zu machen.

Nachdem zuletzt ein Teil der Chefredaktion weiblich wurde, ist es nun auch die Geschäftsführung. Ein Zeichen?
Tatjana: Ich hoffe doch, ein schönes Zeichen (lacht). Wir versuchen, Diversität zu schaffen, weil uns unterschiedliche Perspektiven nur besser machen können. Da sind wir noch auf dem Weg, aber Fakt ist, dass die Welt über die Geschlechter hinausgehend vielfältiger und diverser wird – und so auch Braunschweig. Um diese Entwicklung abbilden zu können, wollen wir Personen unterschiedlicher kultureller Backgrounds und Communitys abbilden und zu Wort kommen lassen.

Wie kann man sich eine digitale Strategie im Alltagsgeschäft vorstellen?
Tatjana: Da wir die ‚Digital-First-Strategie‘ fokussieren, schreiben bei uns alle ReporterInnen für digitale Formate. Priorität hat in erster Linie die Geschichte und die Audience, unabhängig vom Ausspielungskanal. Am Produktionsdesk wird von einem anderen Team aus dem Material eine Zeitung zusammengestellt. So wird übrigens auch in Skandinavien gearbeitet: In Norwegen beispielsweise haben aktuell 45 Prozent der Bevölkerung ein Bezahlabo abgeschlossen, was vor einigen Jahren noch nicht der Fall war. Durch die neue Fokussierung wird auch Print für die LeserInnen besser. Digital first, Print later better!

Besteht bei dieser Strategie nicht die Gefahr, andere LeserInnen zu verlieren?
Tatjana: Darin besteht der größte Spagat für uns. Wir müssen Prioritäten setzen und wollen gleichzeitig für unsere aktuellen PrintleserInnen ein gutes Produkt mit relevanten Themen bieten. Einige Nischenthemen, die zu spezifisch sind und gar keine Reichweite bringen, müssen wir ausklammern.

Spielen Tageszeitungen in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels und (digitaler) Transformation vielleicht gar keine so große Rolle mehr?
Tatjana: Nein, meiner Meinung nach sind diese Formate immer noch unfassbar wichtig. Wir brauchen eine Medienvielfalt abseits der Öffentlich-Rechtlichen, abseits der privaten Nischenmedien und es gibt auch bei Tageszeitungen einige Erfolgsbeispiele wie ‚die ZEIT‘, ‚DER SPIEGEL‘, DIE WELT‘, die alle eine wichtige Rolle im Medienkonsum spielen. Und natürlich auch lokaler Journalismus.

Was entgegnest Du Menschen, die sagen: „Auf eine Tageszeitung kann ich persönlich gut verzichten“?
Tatjana: Das macht mich total neugierig und ich frage erstmal: Wie konsumiert ihr Nachrichten? Diese Menschen konsumieren oft nicht auf klassischem Wege, sondern auf digitalen Kanälen wie Instagram oder anderen Social Networks. Es gibt aber auch Personen, die sich total abwenden, was vor allem während der Pandemie extrem geworden ist. Ihnen stelle ich meistens die Frage, welche Themen sie vermissen und sehe den Dialog als Chance zu erfahren, was wir besser machen können.

Ich finde es wichtig,dass wir die Rolle der Meinungsvielfalt beibehalten und unterschiedliche Stimmen sichtbar machen.

Wie unterschiedlich äußern sich die Generationen zu diesem Thema?
Tatjana: Man merkt schon, dass in älteren Generationen das Pflichtgefühl vorherrscht, dass Nachrichten konsumiert werden MÜSSEN. Bei jüngeren Menschen, die mit einem Informationsüberfluss aufgewachsen sind, macht sich teilweise eine Überlastung bemerkbar. Was eben auch einen wesentlichen Unterschied zwischen Print und Digital ausmacht: Ein Printprodukt hat einen Anfang und ein Ende, digital hören die Informationsflut und vor allem die negativen Schlagzeilen nie auf.

Wie gefährlich ist die Entwicklung der Mediennutzung im Hinblick auf Fake News und einseitige Berichterstattung?
Tatjana: Die Mediennutzung, vor allem bei jüngeren Menschen, findet zunehmend auf Social-Media-Plattformen statt. Das Publizieren von Content ist dort stark geprägt von InfluencerInnen, die abseits einer journalistischen Ausbildung Content erstellen. Die Algorithmen der sozialen Medien fokussieren sich darauf, die Verweildauer ihrer NutzerInnen zu steigern und so lange wie möglich in den Apps zu halten. Als Konsequenz werden immer wieder ähnliche Inhalte angezeigt. Dadurch kann schnell der Eindruck entstehen, dass nur noch bestimmte Themen und Ansichten präsent sind.
Unabhängiger Journalismus dagegen ist kein Selbstzweck sondern hat als vierte Gewalt eine wichtige Aufgabe zur Erhaltung unserer Demokratie. Fake News haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass Mächte in Politik und Wirtschaft Menschen beeinflussen und für ihre Zwecke manipulieren. Social Media kann hierzu als Werkzeug missbraucht werden. Die große Gefahr liegt darin, dass extreme Ansichten eine Mehrheit und Stimme bekommen und am Ende die Demokratie und unsere Freiheit leidet.

Erfüllen die Medien ihre Aufgabe noch?
Tatjana: Die Aufgabe der Medien ist es, unterschiedliche Blickwinkel und Perspektiven zuzulassen. Am Beispiel Pandemie haben wir gesehen, dass es nur noch eine Ansicht geben durfte, genauso wie bei der aktuellen Diskussion um den Klimawandel und den Krieg. Ich finde es wichtig, dass wir die Rolle der Meinungsvielfalt beibehalten und unterschiedliche Stimmen sichtbar machen.

Worauf sollten digitale NachrichtenkonsumentInnen achten, um sich vor Fake News zu schützen?
Tatjana: Um sich vor Fake News zu schützen, empfehle ich, Nachrichten von Medienunternehmen zu konsumieren, die für unabhängigen Journalismus stehen. Das kann beispielsweise die regionale Tageszeitung wie die Braunschweiger Zeitung sein. Es macht Sinn, die Berichterstattung von verschiedenen Verlagen zu verfolgen und auch mit anderen Ländern zu vergleichen. Besonders bei globalen Themen mache ich das gerne. Auf Social Media sollte man darauf achten, wer der Absender ist und ob es sich um eine Nachricht oder Meinung handelt.

Wie können jüngere Generationen auf digitalem Weg mit seriösem Journalismus erreicht werden?
Tatjana: Um auch jüngere Zielgruppen mit seriösem Journalismus zu erreichen, müssen wir Verlage und Medienhäuser dort präsent sein, wo junge Menschen Nachrichten konsumieren. Das können zum Beispiel Podcasts, Videos auf YouTube oder TikTok sein.

Welche Beispiele gibt es für neue Formate der FUNKE Medien?
Tatjana: Eine reine Social Media-Marke rund um Lifestyle-Themen in Braunschweig, die erst kürzlich gelauncht wurde, ist zum Beispiel ‚yesbs‘. Außerdem haben wir unsere Magazinsparte kürzlich um ein neues Frauen- und Lifestyle-Magazin in Kooperation mit der ‚myself‘ erweitert. Gemeinsam mit der LinkedIn-Business-Influencerin Kira Marie Cremer produzieren wir jetzt auch den Podcast ‚New Work Now‘, in dem es um neue Arbeitswelten, die Generation Z und weitere Themen geht. Erst kürzlich habe ich mit ihr in einer Folge über Journalismus und Arbeitskultur gesprochen. Der Podcast wird vom Team aus Braunschweig national produziert und zählt zu den 50 Top Business-Podcasts deutschlandweit. Kooperationen sind bei uns also ein wichtiges Thema: Es gibt so viele Medienschaffende in Deutschland, die tollen Content kreieren und es macht häufig Sinn, sich zusammenzuschließen.

Was war für diese Entwicklung nötig und was kann in der Branche und der FUNKE Mediengruppe künftig noch besser gemacht werden?
Tatjana: Im ersten Schritt müssen die Redaktionen verjüngt werden. Dafür haben wir unser Volontariatsprogramm verändert und wollen auch danach als attraktiver Arbeitgeber für junge JournalistInnen fungieren. Wir legen großen Wert auf eine multimediale Ausbildung, wozu neben Print auch Audio, also Podcasts und eine Videostrategie gehört. Wir müssen nahbar werden und herausfinden, was unsere LeserInnen brauchen und welche Themen ihnen fehlen. Das geht nur, wenn wir mit der Generation Z, den Millennials, Frauen, der LGBT+-Community und weiteren, aktuell noch unterrepräsentierten Gruppen, ins Gespräch kommen. Abseits einer Verjüngung im Newsroom, verfolgen wir ebenfalls das Ziel insgesamt diverser aufgestellt zu sein.

Also reicht es nicht nur, die Redaktion neu aufzustellen, sondern auch in Bezug auf die Themenauswahl andere Ansätze zu finden. Wie stellt ihr sicher, dass die Themen ausgewogen bleiben?
Tatjana: Wir denken nicht mehr nur in Ressorts, sondern strukturieren die Redaktion in Audiences und Thementeams. Eine Audience kann zum Beispiel eine junge Familie mit Kleinkindern sein, die sich wahrscheinlich unter anderem für Kitaplätze und Betreuungsmöglichkeiten interessiert und ganz andere Informationen braucht, als jemand, der zum Studieren nach Braunschweig kommt. In der jeweiligen Nische liegt auch eine Antwort für uns.

Hand aufs Herz: Wie siehst Du die Zukunft von Printerzeugnissen, auch mit zeitlichem Horizont?
Tatjana: Wir müssen innovativer denken. Ich glaube, es wird immer eine Nische für Printprodukte geben – das Buch ist ja auch nicht verschwunden. Wir machen uns aber auch nicht die Illusion, die Welt zu bekehren, jeden Tag eine Tageszeitung zu lesen. Es gibt aber einen Markt für Wochenzeitungen und für tolle Nischenmagazine. Erst kürzlich hat die bekannte Content Creatorin ‚carmushka‘ ihr eigenes Print-Magazin ‚Things We Write’ veröffentlicht, was sehr gut angenommen wurde. Und auch ich bekenne mich zur Käuferin (lacht). Wir müssen also überlegen: Zu welchen Zielgruppen und zu welchen Themen passt Print? Schon allein wegen der Bildsprache eignen sich Lifestyle-Themen wie Gastronomie, Wohnen und Reisen perfekt für analoge Formate. Ein Polizeibericht hingegen wird eher online gelesen. Für unsere Arbeit als Tageszeitung kann Print jedenfalls nicht mehr der Fokus sein und das wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch deutlicher herauskristallisieren.

Noch ein Wort zum Thema Paid Content: Wie steht es um das gesellschaftliche Bewusstsein für den finanziellen Wert von Journalismus in einer Zeit, in der viele Informationen kostenfrei abrufbar sind? Welche Erfahrungen hast Du mit Paid Content Online gemacht und wie wird sich der Markt in Zukunft verändern?
Tatjana: In den letzten Jahren ist die Zahlungsbereitschaft für digitale Produkte glücklicherweise gestiegen. Neben ‚Spotify‘, ‚Amazon Prime‘ und ‚Netflix‘ haben auch große Titel wie ‚die BILD‘ oder ‚DER SPIEGEL‘ digitale Abos eingeführt, viel früher als regionale Zeitungen. Um die Bereitschaft weiterhin zu steigern, muss der Mehrwert klar ersichtlich sein: Der Content muss exklusiv sein, sonst wird niemand dafür bezahlen. Mit Extras wie einem Zugang hinter die Kulissen oder einem weiteren, kostenfreien Produkt im Zuge eines Abonnements, kann der Mehrwert gesteigert werden.

Kurzes Fazit: Was wurde in den letzten Jahren bei der FUNKE Mediengruppe verschlafen und welche Chancen gibt es?
Tatjana: Im Zuge der Veränderung der Mediennutzung, vor allem durch mobiles Internet, ging Auflage verloren. Darauf folgte eine Kosteneinsparung und somit die Reduzierung von Redaktionsjobs, womit aber auch die Diversität im Newsroom und gleichzeitig der Bezug zur jüngeren Generation verloren ging. Zusätzlich wurde viel zu spät angefangen, moderne Technologien in den Arbeitsalltag zu integrieren. Jetzt ist es wichtig, nicht noch mal die gleichen Fehler zu machen: Noch können wir Content auf TikTok und LinkedIn spielen, Podcasts publizieren, uns mit anderen Medienschaffenden vernetzen und in neue Projekte investieren, die sich in Zukunft rentieren werden. Wir sind mittlerweile auf einem guten Weg und haben auch schon einiges erreicht.

Vielen Dank für das Gespräch

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 25 / Winter 2022.

Timo Grän

Herausgeber des Stadtglanz und der Service-Seiten. Verbrachte seine ersten Lebensjahre in Sambia und Botswana, bevor er Kind dieser Region wurde. Seitdem ein Förderer des Regionspatriotismus.

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