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Lifestyle

20. Mai 2022

Fankultur neu interpretiert

Der VfL Wolfsburg ist nicht wie andere Fußballklubs

Von Tobias Bosse

Fotografie: VfL Wolfsburg

Tatsächlich unterscheidet sich auch die Vereinskultur massiv von sogenannten Traditionsvereinen. Aber wie sieht es mit der Fankultur aus? Was die VfL-Fans auszeichnet und wie der Verein aus der Autostadt versucht, mehr Begeisterung in der Region für die Grün-Weißen zu entfachen, wollte Stadtglanz im Gespräch mit Michael Meeske, Geschäftsführer VfL Wolfsburg, und Gunnar Clauß, Leiter Fanservice beim VfL, erfahren.

Wenn es um das Thema Fankultur geht, wird der VfL Wolfsburg nicht selten belächelt. Dabei wird unterstellt, der Verein sei nicht mehr als ein besseres Marketinginstrument für den Automobil-Konzern Volkswagen. Das wird der Wahrheit allerdings nicht gerecht. Selbst wenn die Geschichte zwischen dem VfL und VW irgendwann mal mit dieser Intention begonnen haben mag, hat sich längst eine eigene Fanszene und regionale Begeisterung für den Verein entwickelt, die es auch zu respektieren gilt. Denn selbst wenn man das Konstrukt VfL Wolfsburg an sich nicht toleriert, sollte man zumindest den Anhängern ihre Liebe zum Verein zugestehen.

In Zahlen ausgedrückt hat der Verein 20.000 Mitglieder, die in den VfL-Clubs aktiv sind sowie knapp 120 Fanklubs, in denen zusätzlich mehr als 10.000 Fans organisiert sind. In der letzten Spielzeit vor Corona 2018/19 verzeichnete die Volkswagen-Arena eine Auslastung von 80 Prozent und eine durchschnittliche Besucherzahl von gut 24.000.

Partnerprogramm soll helfen

Der Verein selbst weiß am besten um die Wichtigkeit seiner Anhänger, wie Michael Meeske, Geschäftsführer des VfL Wolfsburg, im Gespräch bestätigt: „Für uns sind die Fans elementar. Das ist auch nicht nur so daher gesagt; Sie sind der Nukleus, der diesen Verein zusammenhält.“ Die VfL-Fanszene beschreibt er als eine gute Mischung aus Unterhaltungsinteressierten Menschen und klassischen Fußballfans. In der ehrlicherweise oftmals ausbaufähigen Stadionauslastung sieht er eine der größten Herausforderungen beim VfL: „Die Frage, wie wir wieder mehr Menschen aus der Region für den VfL und einen Stadionbesuch begeistern können, beschäftigt uns natürlich stark.“

Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Klub ein Konzept entwickelt. Dabei sei unter anderem ein Partner- programm ins Leben gerufen worden, mit dem Amateurvereine aus der Region näher an den VfL gebunden werden sollen. Bei diesem Programm geht es vor allem darum, die Partnervereine bei den vielfältigen Heraus- forderungen zu unterstützen, damit es weiterhin viele aktive Fußballer/innen in der Region gibt. Konkret gebe es Schulungsprogramme für Trainer/innen sowie Fußballcamps und Festivals für die Kinder.

Darüber hinaus erhalten Partnervereine Ticketkontingente für Heimspiele des VfL, Angebote über den Ausrüster vergünstigt Sportbekleidung zu bestellen, und Trainingsmöglichkeiten im VfL-Bolzwerk. Mehr als 200 solcher Partnervereine sind es in der Zwischenzeit. Tendenz steigend. Auch die Fußballschule für Kinder aus der Region wurde in den zurückliegenden zwei Jahren sukzessive ausgebaut – von anfangs 1.800 auf heute mehr als 6.000 Teilnehmer. „Bislang ist das Feedback, das wir von den Partnervereinen und den Teilnehmern erhalten, ausschließlich positiv“, sagt Gunnar Clauß, Leiter Fanservice beim VfL.

Clauß ist selbst gebürtiger Wolfsburger sowie leidenschaftlicher Anhänger des Bundesligavereins. Für ihn hebt sich die eigene Fanszene besonders durch ihre enge Verbundenheit und Gemeinschaft von anderen ab. Zudem seien die Fans sehr aktiv und würden immer wieder durch Initiativen und positive Aktionen auf sich aufmerksam machen. „Als die Coronakrise begann hat die Fanszene beispielsweise gemeinsam mit der Stadt eine Essensausgabe auf die Beine gestellt und Menschen unterstützt, die zu dieser Zeit auf Hilfe angewiesen waren.“

Stadionauslastung relativiert sich

Leider, sagt Meeske, werde dem VfL immer zum Nachteil ausgelegt, dass das Stadion ja selten voll wäre und es generell nicht viele Menschen mit den Wolfsburger halten: „Wenn man berücksichtigt, dass Wolfsburg lediglich 120.000 Einwohner hat, relativiert sich das mit der Stadionauslastung aber. Bei einer Stadt dieser Größe kann man nicht erwarten, dass jeden Spieltag 30.000 Hardcore-Fans auf den Rängen unterstützen.“ Mit zur Wahrheit gehöre auch, dass der VfL bis in die Neunziger Jahre nur in der zweiten oder dritten Liga spielte, wodurch sich die regionale Anziehungskraft daher lange eher in Grenzen hielt.

Seit dem Bundesligaaufstieg sehe man jedoch eine stetige Entwicklung. Vereine, die deutlich früher im Oberhaus gespielt haben, seien dahingehend im Vorteil, meint Meeske: „Es ist wertvoller, wenn du vor 30 oder 40 Jahren in der Bundesliga gespielt hast. Dann hast du die vorige Generation abgeholt. Die geben ihre Begeisterung an ihre Kinder weiter und die wiederum an ihre und so weiter. Somit gibt es immer einen natürlichen Zulauf von Fans.

Bei uns ist das halt erst seit 25 Jahren der Fall.“ Damit spielt Meeske auch auf die regionale Konkurrenz an. Denn im Gegensatz zum VfL haben die anderen beiden Fußballvereine in der Region – Eintracht Braunschweig und Hannover 96 – bereits in den Sechziger beziehungsweise Siebziger Jahren in der höchsten deutschen Spielklasse gespielt und das sogar ziemlich erfolgreich.

Meeske findet es auch durchaus zulässig zu sagen, dass der VfL nicht dieselbe Vereinskultur hat wie andere Vereine, wenn es beispielsweise um eine obligatorische Jahreshauptversammlung und das aktive Einbringen von Vereinsmitgliedern geht. Er persönlich glaube aber, dass es sich dabei ein wenig um ein Pauschalurteil handele und diese Form der Mitbestimmung darüber hinaus perspektivisch immer mehr an Bedeutung verlieren werde. „Ich glaube, dass sich Mitbestimmung in Zukunft anders vollziehen wird. Es geht um Dialogbereitschaft und stetigen Austausch. Wir sehen die Teilhabe eher als einen dynamischen Prozess und wollen nicht nur den Fans ein offenes Ohr schenken, die sich den Mitgliedsbeitrag leisten können, sondern allen“, erklärt Meeske. Deshalb gebe es verschiedene Formate für unterschiedliche Teile der Fanszene, an denen sich auch die Geschäftsführung beteiligt. In diesen Runden werde auch kontrovers und lebhaft diskutiert.

Fankultur im Wandel

Am Ende sei den VfL Fans, wie wahrscheinlich den meisten Fußballfans in Deutschland, der sportliche Erfolg am Wichtigsten bei ihrem Verein. Die Frage des Wie sei allerdings nicht ganz unerheblich, wie Clauß sagt: „Unsere Ultras

in der höchsten deutschen Spielklasse gespielt und das sogar ziemlich erfolgreich.
Meeske findet es auch durchaus zulässig zu sagen, dass der VfL nicht dieselbe Vereinskultur hat wie andere Vereine, wenn es beispielsweise um eine obligatorische Jahreshauptversammlung und das aktive Einbringen von Vereinsmitgliedern geht. Er persönlich glaube aber, dass es sich dabei ein wenig um ein Pauschalurteil handele und diese Form der Mitbestimmung darüber hinaus perspektivisch immer mehr an Bedeutung verlieren werde. „Ich glaube, dass sich Mitbestimmung in Zukunft anders vollziehen wird. Es geht um Dialogbereitschaft und stetigen Austausch." Wir sehen die Teilhabe eher als einen dynamischen Prozess und wollen nicht nur den Fans ein offenes Ohr schenken, die sich den Mitgliedsbeitrag leisten können, wollen sehen, dass die Spieler Fußball arbeiten und um jeden Ball kämpfen. Ganz nach dem Motto Arbeit, Fußball, Leidenschaft. Dann verzeihen sie auch mal eine Niederlage.“ Das verhalte sich allerdings bei Fans, die sich weniger stark einbringen ganz anders. „Je geringer das persönliche Involvement des Stadionbesuchers ist, desto wichtiger ist der sportliche Erfolg“, sagt Meeske.

Generell befinde sich die Fankultur im Fußball im Wandel. Tradition rücke dabei immer mehr in den Hintergrund. Das zeige das Beispiel Paris Saint Germain, die trotz fehlender Historie weltweit Begeisterung erzeugen. Clauß: „Heute sind immer mehr Menschen ja eher Fans von Spielern als von Vereinen. Wenn Ronaldo oder Messi den Klub wechseln, sind die dann plötzlich Fan einer anderen Mannschaft. Das war früher undenkbar. Als ein Lothar Matthäus von Gladbach zu Bayern gewechselt ist, würde ich darauf wetten, dass damals kein Gladbacher auf einmal München-Fan geworden ist. Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert.“

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