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Lifestyle

26. Mai 2022

Wissen ist Macht

macht mehr daraus

Von Christine Grän

(Foto: Sergey Nivens)

Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt,

Deutschland wird in der Hauptschule verteidigt.

Das Zitat stammt von Volker Pispers, einem der scharfsinnigsten Kabarettisten Deutschlands. Denn bei aller berechtigten Kritik am deutschen Schulwesen:

Bildung ist ein Maß für die Entfaltung der Persönlichkeit. Sie soll im Idealfall Intelligenz und Charakter, Empathie und Toleranz fördern. Aus dem Spiegel der Seele ein Fenster zur Welt machen. Um es mit Nelson Mandela zu sagen:

Kein Land kann sich wirklich entwickeln, so lange seine Bürger ungebildet sind.

Bürger im Zustand relativer Bildungsferne lassen sich jedoch viel leichter regieren und manipulieren. Wissen ist Macht. Das wussten schon die Altvorderen, weshalb die Kirche lange Zeit das Monopol für Bildung inne hatte und ganz cool die fake-news von der Erde als Scheibe verbreiten konnte.

Neben der Kirche war Bildung nur Adeligen und ein paar Genies vorbehalten, erst die Aufklärung und Erstarkung des Bürgertums brachte die Sache ins Rollen. 1717 führte Friedrich Wilhelm I. in Preussen die allgemeine Schulpflicht ein: alle Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren sollten die Volksschule besuchen und Lesen und  Schreiben lernen.

In der Praxis funktionierte es nicht ganz so demokratisch, und Mädchen waren nach wie vor für Haus und Herd vorgesehen. Es gab Ausnahmen: Dorothea Erxleben wird 1754 auf Befehl des Preußischen Königs als erste Frau in Deutschland zum Medizinstudium an der Universität Halle zugelassen. Erst 155 Jahre später öffnen sich alle deutschen Universitäten für Studentinnen.

Wissen ist Macht. Das wussten Kardinäle und Könige, Despoten und Philosophen, Bürgerbewegungen und Revolutionäre, Feministinnen und politische Parteien. Wenn deutsche Schülerinnen und Schüler die Sache nicht ganz so positiv sehen, muss es an unseren antiquierten und unflexiblen Bildungskonzepten liegen. Stichwort: Anpassungslernen. Bei zu vielen Einser-Abiturienten in unserem Lande werden die Universitäten noch voller, und die Akademiker noch arbeitsloser,  während es bei Handwerk und Dienstleistung dramatisch an Nachwuchs fehlt. ‚In Bildung investieren‘ ist ein politischer Gassenhauer geworden, doch wie er im digitalen Zeitalter umzusetzen wäre, weiß anscheinend keiner.

Anders in Ländern der Dritten Welt. Dort gelten Grundbildung und Ausbildung immer noch als Zauberformel für Fortschritt und Entwicklung. Das gilt insbesondere für Mädchen und Frauen, deren Wissen die Welt verändern könnte.  Doch die Zahlen (UN-Weltbildungsbericht 2019) sprechen dagegen: 64 Millionen Kinder im Grundschulalter haben keine Chance, zur Schule zu gehen, mehr als die Hälfte davon leben in Afrika. 102 Millionen Jugendliche und 750 Millionen Erwachsene können weder schreiben noch lesen - und zwei Drittel davon sind Frauen!

Dazu könnte einem einfallen, dass unsere Bildungsmisere ein Luxusproblem ist. Aber können sich unsere Demokratien den Luxus wirklich leisten, das Feld bildungskampflos den fake news, den Ibizza-Hauptdarstellern, den Hasspredigern und Rechtspopulisten zu überlassen? Ich glaube nicht.

Christine Grän

wurde in Graz geboren und lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong, bevor sie nach München zog. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt, die auch verfilmt wurden. Sie veröffentlichte unter anderem die Romane „Die Hochstaplerin“, „Hurenkind“ und „Heldensterben“. Zuletzt erschienen „Amerikaner schießen nicht auf Golfer“, „Sternstraße 24“ und „Glück am Wörthersee“ im ars vivendi Verlag.

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