Wirtschaft
Von Praktikern für Praktiker
Die lernende Region 38 – made in 38
Von Petra Martin
„Wir haben gehört, dass Sie viel zu Leadership machen… können Sie uns helfen?“ Eine Mail im Postfach von Michael Gensicke war der Auslöser für eine Initiative: „Lernende Region38“.
Unsere Lernkonzepte für externe Firmen anzubieten, das hatten wir zwar noch nie gemacht, noch nicht mal drüber nachgedacht, aber … warum eigentlich nicht? Zwei Gründe sprachen unmittelbar dafür: Zum einen das Vertrauen, dass der Bosch-Leadershipcampus gut ist, denn bereits 2.000 Führungskräfte hatten ihn sehr zufrieden durchlaufen, zum anderen war es der positive Kick, den diese Idee bei den beteiligten „Vor-Denkern“ auslöste.
Wer sind wir: Michael Gensicke, Geschäftsführer der Robert Bosch Elektronik GmbH in Salzgitter, 1. Teilnehmer im ersten Leadershipcampus, Florian Bernschneider, Hauptgeschäftsführer AGV, Teilnehmer im ersten Campus 38, und ich, Petra Martin (die von den Gedankenspaziergängen hier im Heft) und Leiterin des Kompetenzzentrum Leadership, Bosch Salzgitter und Herz und Hirn des Campuskonzepts – im Gespräch.
Drei unterschiedliche 38er-Netzwerker, eine Passion: Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Wenn wir wissen, was an Erfahrung und Ideen alles da ist, und wir diesen Schatz gemeinsam teilen und nutzen, dann entsteht etwas Größeres. Das ist die Idee der lernenden Region38.
Florian, du sprichst vor großem Publikum über die neue Arbeitswelt und den Spagat zwischen Tradition und Moderne. „Unsere Region gilt als Herz der good old economy in Norddeutschland. Das klingt dann immer so, als wäre all das für die Ewigkeit gebaut. Dabei ist die eigentliche Tradition unserer Wirtschaftsregion die Anpassungsfähigkeit an eine sich verändernde Welt. Wichtiger als ein einzelner Betrieb sind im langen Blick vor allem Wertschöpfungsketten und Ökosysteme, die wir hier immer wieder aufs Neue aufbauen konnten. Manche Betriebe schaffen es so seit Generationen sich neu zu erfinden und Teil des Ganzen zu sein. Wenn wir uns heute also für die Zukunft aufstellen wollen und müssen, geht das wieder nur im Zusammenspiel vieler Einzelteile. Und wieder wird neue Technologie Hand in Hand mit neuer Kultur gehen müssen. Deswegen bin ich so überzeugt davon, dass wir gerade jetzt Austausch und Netzwerk brauchen.“
Michael, du wirst nicht müde, die lernende Region zu bewerben und zum Mitmachen einzuladen, notfalls sogar im Bademantel. „Wenn wir zur Inspirationsdusche einladen, wie sollte ich mich sonst anziehen ?
Im Ernst: als Teil der Big 5 in Salzgitter sind mir natürlich die Themen dieser Akteure bestens bekannt, aber mir war klar, dass in unserer Region viel mehr los ist. Innovative kleine und mittlere Unternehmen, Wissenschaft und Institutionen, die meisten kannte ich nur vom Namen. Alle mit Erfahrungen, Herausforderungen und spannenden Menschen. Das hat mich gereizt mehr von dem kennenzulernen. Meine bis dahin gemachte Erfahrung in Netzwerken zeigte mir, dass es Themen gibt, über die alle problemlos reden, jedoch auch fast belanglos. Es gibt andere Themen, die kommen stärker zur Sache und das ist z. B. Leadership – und das nicht im Allgemeinen, sondern wie ich es mache, wie du es machst. Da kommt man zu Themen wie Haltung oder Mindset und da fangen die Hände schon mal etwas an zu schwitzen – und dann wird es erst interessant.“ Wir drei waren von Anfang an überzeugt und angezündet von der Idee, dass Netzwerken eine neue Qualität bekommen könnte. Wir stellten uns vor, wie es wäre, Führungskräfte in der Region firmenübergreifend zusammenzubringen und miteinander lernen zu lassen. Menschen aus unterschiedlichsten Branchen, Firmengrößen, Altersgruppen, Erfahrungsgraden, kultureller Prägung.
Aus einer im Vorfeld durchgeführten Lernkulturstudie wussten wir, dass wir bei Bosch einen Aspekt stärker in den Fokus nehmen sollten, und das ist der Blick nach außen. „Mit über 400.000 Mitarbeitenden weltweit sind wir so groß, dass wir uns hervorragend mit uns selbst beschäftigen können, aber jenseits des Zaunes passieren auch gute Sachen. Und wir sind neugierig und ehrlich genug mit uns selbst, dass wir manches gut können, aber nicht alles.“, so Michael Gensicke.
Die „lernende Region38“ sollte demnach fortan dem Motto folgen: Von Praktikern für Praktiker.
Und das erste Projekt sollte eine Runde des „Leadershipcampus38“ werden. Ein von Bosch konzipiertes und tausendfach bewährtes Konzept. Führungskräfte aus interessierten Firmen unserer Region38, Menschen die Lust haben, sich mit sich selbst und ihrem Business konstruktiv und hinterfragend zu beschäftigen. Der erste Prüfstein war, ob das Interesse bei anderen überhaupt vorhanden war. Eine gemeinsame Infoveranstaltung im Februar 2020 brachte die Antwort: die Resonanz war so erfreulich, dass sofort zwei parallele Runden beschlossen werden konnten.
Und dann kam CORONA… und alles war anders… Erfreulicherweise waren alle Teilnehmenden so motiviert, dass sie sich für die virtuelle Variante entschieden und der Campus, der Pandemie zum Trotz, stattfand. Was haben wir nicht alles ausprobiert: digital drinking (ja, jede*r Teilnehmende bekam ein Päckchen nach Hause geschickt, um dann gemeinsam an der virtuellen Bar den Tag ausklingen zu lassen) … Wir haben Flugtickets und Reiseunterlagen für die gemeinsame Lernreise verschickt, so richtig zum Anfassen. Wir haben virtuell meditiert und applaudiert. Wir haben uns auf alle Fälle Mühe gegeben, Verbindung und Verbundenheit zu fördern. Unsere ersten beiden Campusse fanden ganz am Anfang der Pandemie statt und die technischen Möglichkeiten waren noch nicht auf dem Stand von heute. Es war erfreulich, was trotz fehlender Präsenz möglich war, aber es war für alle auch anstrengend. Lernen ist eben auch ein sozialer Prozess und der echte Austausch untereinander ist so wichtig.
Seit Anfang 2022 laufen die Campusrunden, wie vorgesehen und von allen gewünscht, wieder in Präsenz. Im Juni startet die 7. Runde – ja, wirklich, die (in Worten!) siebte Runde! Nicht selten entstehen dabei neue Freundschaften.
Das Bemerkenswerteste in den Trainings ist, dass wirklich alle Teilnehmenden die gleichen Themen bewegen. Unter dem Strich geht es immer um den Umgang mit Menschen – egal, ob die Firma etwas produziert, Brücken plant oder Patente begleitet … Bei einer Veranstaltung einer Firma aus der Region 38 wurde ich neulich von einem Geschäftsführer gefragt, was meiner Meinung nach „starke Führung“ sei. Meine Antwort lautete ungefähr: Wer es als Führungskraft schafft, andere groß und stark werden zu lassen, der oder die führt stark. „Heutzutage geht es also weniger darum, als Chef gut dazustehen, sondern das Beste aus der eigenen Mannschaft zu befördern. Das erfordert jedoch auch eigene Größe und die Fähigkeit sich zurückzunehmen. Und es erfordert etwas, was mir als besonders wichtig erscheint und mir wirklich sehr am Herzen liegt: Das Interesse an Menschen! Führen kann nur jemand, der Beziehungen aufbaut. Und Beziehung braucht echtes Interesse.“, betont Michael Gensicke.
Wir arbeiten seit wirklich langer Zeit an Konzepten zu Führung und Zusammenarbeit. Erst mit unserem Campus ist uns etwas gelungen, das tatsächlich handlungsleitend ist und etwas verändern kann. Wir bringen unseren Teilnehmenden nichts bei, wir laden sie ein, ihre Haltung (neudeutsch Mindset) zu entwickeln und auszuprobieren. Viel wichtiger als Tools und Theorie ist das eigene Denken. Kennen und Können – ein feiner Unterschied. „Mit erprobten Modellen optimieren wir den Bestand. Dass wir Perfektion können, haben wir bewiesen. Die aktuellen Megatrends erfordern aber keine Weiterentwicklung, sondern eine Neuerfindung. Deswegen hilft uns auch keine Seminarreihe bewährter Führungstechniken, sondern schafft der Campus Raum, um gänzlich neue Ansätze im Leadership und in Unternehmenskulturen zu entwickeln.“, ergänzt Florian Bernschneider.
Wir sind unperfekt, und das ist gut so. Wir sind nie fertig und immer neugierig auf Menschen und was diese Menschen mitbringen. Mal sind es begnadete Sportler, die uns im Campus in Bewegung bringen, oder Redner, die auf humorvoll-ernsthafte Weise („Für Beißer – nicht für Lutscher“ – sorry von einer Schokowerbung entliehen ) eigene Projektvorhaben teilen. Von Praktikern für Praktiker – miteinander und voneinander lernen.
Made in 38 for 38.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 27 / Sommer 2023.
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