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Kultur

4. Mai 2022

Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht

Was Kultur ausmacht

Von Christine Grän

„Kultur ist ein sehr dünner Firnis, der sich leicht in Alkohol auflöst“: Aldous Huxley war ein britischer Dichter, der über 50 Bücher schrieb, das berühmteste sein Zukunftsroman „Schöne neue Welt.“ Darin beschreibt er die Dystopie einer Gesellschaft, die in Kasten unterteilt ist und das ungleiche System durch Konsum, Drogen und Sex festigt. Brot und Spiele für die Ausgebeuteten. Was schon irgendwie an Mark Zuckerbergs Metaverse-Pläne erinnert, oder etwa nicht?

„Kultur" hat erstaunlich viele Deutungsmöglichkeiten: Beginnend mit dem Kulturbeutel. Was nur Sinn macht, wenn man bedenkt, dass das lateinische Cultura auch Pflege bedeutet. Wer einen Kulturbeutel besitzt, ist aber noch lang kein kultivierter Mensch. Was immer das ist: Opernfan? Vielleser? Kunstbeflissener? Kunstmäzen? Es gibt ja auch noch die Koch- und Esskultur, Wohnkultur, Popkultur, die Alltagskultur, Debattenkultur…ein Wort mit Inflationscharakter.

Erinnern wir uns an die Deutsche Leitkultur: Von Friedrich Merz nicht erfunden, aber neu in den Ring geworfen, als es im Wahlkampf um die Zuwanderung ging. 2017 veröffentlichte der damalige Innenminister Thomas de Maiziere seine zehn Thesen zur Leitkultur – nicht ans Kirchentor genagelt, sondern in der ‚Bild am Sonntag‘. Darin beschreibt er mit einfachen Worten, was die deutsche Kultur ausmacht. Wie den bewußten Leistungsgedanken, Freiheit, Respekt, Toleranz, Patriotismus und … typisch Deutsches wie das Händeschütteln zur Begrüßung und das öffentliche Vermummungsverbot.

Wir leben in neuen Wirklichkeiten, weshalb diese zwei Merkmale deutscher Leitkultur inzwischen ganz schön out sind. Aber auch die Debattenkultur hat stark gelitten.

Es scheint, dass sich Impfbefürworter und Impfverweigerer immer weniger zu sagen haben.

Ein Virus mutiert und spaltet die Gesellschaft. Und zieht der Politik auch noch die Maske vom Gesicht. Denn Kultur, diese Gesamtheit der geistigen, künstlerischen und gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft, spielte in Corona-Zeiten so gut wie keine Rolle mehr. Museen, Theater, Kinos und Buchhandlungen wurden als erste geschlossen, Musikveranstaltungen untersagt, und die Künstlerinnen und Künstler, die ließ man so ziemlich im Regen stehen. Weil nicht systemrelevant.

Im Gegensatz zu Fußballern – und Spielen in voll besetzten Stadien. Klar kann man auf Kultur verzichten und auf dem Altar der Infektionsabwehr opfern. Aber zu welchem Preis? Inzwischen können Theater und Konzerthäuser und Kinos mit 25-prozentiger Auslastung wieder arbeiten. Aber nur die großen, nicht die kleinen. Die gehen pleite. Und kein Politikerhahn kräht danach.

„Die Kultur endet, indem die barbaren aus ihr ausbrechen“. Schrieb Karl Kraus kurz bevor die Nazis in Wien einmarschierten. Aber das ist Geschichte. Wir leben in der schönen neuen Welt.

Christine Grän

wurde in Graz geboren und lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong, bevor sie nach München zog. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt, die auch verfilmt wurden. Sie veröffentlichte unter anderem die Romane „Die Hochstaplerin“, „Hurenkind“ und „Heldensterben“. Zuletzt erschienen „Amerikaner schießen nicht auf Golfer“, „Sternstraße 24“ und „Glück am Wörthersee“ im ars vivendi Verlag.

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