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Lifestyle

22. November 2022

Was ist Glück?

Sex oder Kaiserschmarrn?

Von Christine Grän

(Fotografie: Adobe Stock/sirawut)

Im Jahr 1972 erklärte der König von Bhutan Glück zum obersten Ziel nationaler Politik. Es ist das einzige Land der Welt, in dem Glück in der Verfassung steht, und in dem ein Glücksminister über die Gefühlswelt
der Untertanen wacht.

Nur: Was ist Glück?

Der britische Forscher Pete Cohen entwickelte dazu eine Glücksformel:
P+(5xE)+(3xH)

P bedeutet persönliche Eigenschaften,
E die Existenz (Finanzen, Freundschaften, Gesundheit)
H höhere Ziele und Erwartungen

Na? Sind Sie jetzt glücklich? Oder warten Sie noch auf die Ausschüttung von Endorphin, Oxytacin, Dopamin oder Serotonin? Jene Botenträger, die uns in den vorübergehenden Zustand freudiger Erregung versetzen. Zum Beispiel beim Sex. Wenn man verliebt ist. Im Lotto gewonnen hat. Oder den Nobelpreis. Ein Kind im Arm hält. Einen streunenden Hund rettet. Wunderbaren Wein trinkt. Den besten Kaiserschmarrn der Welt isst …

Ich werde glücklich sein, wenn Corona vorbei ist, und ich wieder reisen darf. Meine Tochter wiedersehen, die in Irland lebt. Meine Freunde in Washington, Wien und Beirut. Wenn Trump endlich von der Bildfläche verschwindet. Die EU dem Elend der Flüchtlinge in Griechenland und der Türkei ein Ende setzt. Wenn ich den letzten Satz meines aktuellen Buches geschrieben habe.

Doch, wie Oscar Wilde schon wusste: Nichts altert so schnell wie das Glück. Es ist ein Gefühl mit beschränkter Wirkung. Es wäre aber auch ein unerträglicher Zustand, immer nur glücklich zu sein. Man stelle sich Filme oder Bücher vor, in denen nur glückliche Menschen agieren. Sterbenslangweilig! Wir brauchen einfach dieses Quantum Unglück oder zumindest die Abwesenheit von Glück, um das Hochgefühl würdigen zu können.

Glück ist Liebe, nichts anderes, schrieb Hermann Hesse. Und lange vor ihm Sokrates: Das wahre Glück ist, Gutes zu tun. Beides habe ich verstanden, als ich vor langer Zeit in Indien Brother James Kimpton begegnete. Seine Berufung war, weibliche Babys vor der Tötung durch ihre Familien zu retten und ihnen in seinem Waisenhaus eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu geben. James war ein fröhlicher Mann, der abends mit Besuchern Whisky trank und gut Witze erzählen konnte. Ich glaube, er war ein glücklicher Mensch. Zu seinem Begräbnis kamen tausende Menschen, darunter viele junge Mädchen und Frauen.

Geld, so haben Forscher festgestellt, ist kein Glücksfaktor, solange das Grundeinkommen gesichert ist. Laut aktuellen Glücksumfragen spielen die sozialen Bindungen die größte Rolle: Familie und Freunde. Glück, so die Forscher, werde zu 50 Prozent von den Genen und zu zehn Prozent von den Lebensumständen bestimmt. Den Rest haben wir selbst in der Hand.

Auf Flüchtlinge in Lagern wird das eher nicht zutreffen. Oder auf Menschen, die in Krisen- und Kriegsgebieten leben. Das spiegelt auch der letzte „World Happiness Report“, in dem von 155 Staaten Finnland, Norwegen, Dänemark, Island und die Schweiz am besten abschnitten, wider – Deutschland kam auf Platz 15, Bhutan auf Rang 84. Man kann es wohl nicht verordnen, das Glück.

Aber bald messen: Forscher entwickeln gerade eine App, mit der man den Grad von Happiness checken kann. Ein Blick genügt und …

… dazu fällt mir nur noch die „Tante Jolesch“ von Friedrich Torberg ein: Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.

Christine Grän

wurde in Graz geboren und lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong, bevor sie nach München zog. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt, die auch verfilmt wurden. Sie veröffentlichte unter anderem die Romane „Die Hochstaplerin“, „Hurenkind“ und „Heldensterben“. Zuletzt erschienen „Amerikaner schießen nicht auf Golfer“, „Sternstraße 24“ und „Glück am Wörthersee“ im ars vivendi Verlag.

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