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Wirtschaft

8. August 2022

Das Braunschweig- Wolfsburg-Sofa

Entwicklung der Gesundheits- und Mobilitätsbranche

Von Lina Tauscher

(Fotografie: Marc Stantien)

Melanie Brinkmann und Thomas Krause über die Entwicklung der Gesundheits- und Mobilitätsbranche auf dem BS-WOB-Sofa. Während sich einige Menschen mittlerweile wieder per Handschlag begrüßen, hielten sich Virologin Prof. Melanie Brinkmann und Dr. Dirk Tenzer, Geschäftsführer des Klinikums Peine, stattdessen ihre Fäuste hin. Trotz der Lockerungen im Zuge der derzeitigen Entwicklung, stellt sich die Frage, wie wir uns im Alltag richtig verhalten. Welche gesellschaftlichen Rituale sollten wir überdenken und sind Viren eigentlich schlauer als Menschen? Können wir uns in der Öffentlichkeit sowie im öffentlichen Nahverkehr wieder sorglos bewegen und wie wird sich die Mobilität zukünftig an die individualisierte Gesellschaft anpassen? Über diese und weitere Themen tauschten sich Professorin Melanie Brinkmann und Mobilitätsexperte sowie Vorstandsmitglied der Wolfsburg AG Thomas Krause im Gespräch mit den Geschäftsführern Dr. Dirk Tenzer und Timo Grän am Forschungsflughafen Braunschweigs, dem Zentrum für moderne Mobilität, aus.

Wir haben uns heute hier am Flughafen getroffen. Wie sieht ihr momentanes Reiseverhalten aus, nachdem viele Einschränkungen aufgehoben worden sind?

Prof. Brinkmann: Mein Reiseverhalten ist allgemein sehr ökologisch, innerhalb Deutschlands bin ich häufig mit dem Zug unterwegs. Ich würde nie auf die Idee kommen, für so kurze Strecken einen Flug zu buchen. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie wäre es dennoch schön, gemeinsam mit den Kindern mal etwas weiter weg zu fliegen.

Krause: Bei mir ist das ähnlich. Mit dem Flugzeug war und bin ich selten unterwegs. Durch Corona ist klar geworden, dass viele Dienstreisen verzichtbar und stattdessen Meetings auf digitalem Weg möglich und sogar effizienter sind.

Meinen Sie, dass die Mobilität sich jetzt nachhaltig ändern wird?

Krause: Ja und nein – Die Mobilität hat bereits vor der Pandemie angefangen, sich zu verändern. Sie wird sich weiterhin in die gleiche Richtung entwickeln, nur schneller. Corona kann als Katalysator für neue Mobilitätsformen angesehen werden, vor allem was individuelle Fortbewegungsmöglichkeiten abseits des eigenen Autos angeht. Die technische Komponente der Elektrifizierung sowie die damit einhergehende, fortschreitende Digitalisierung werden dazu führen, zukünftig vom eigenen Auto abzusehen und alternative Mobilitätslösungen zu nutzen.

Wie könnten diese Lösungen aussehen?

Krause: Der Kostenaufwand steht oft nicht im Verhältnis zu den wenigen Kilometern, die VerbraucherInnen mit dem Auto zurücklegen, jedoch bestehen abgesehen von öffentlichen Verkehrsmitteln wenig Alternativen. Steht ein Auto in Zukunft durch Elektrifizierung und Digitalisierung auf Knopfdruck vor meiner Haustür, wird sich dieses Angebot nach und nach auf dem Markt durchsetzen. Wir sehen ähnliche Konzepte schon heute auf den Straßen, beispielsweise mit der Einführung von E-Rollern.

Kommt das Auto in Zukunft wirklich selbstständig zu uns und holt uns beispielsweise zur Arbeit ab?

Krause: Langfristig gesehen ist das durchaus eine reale Option. Die heutigen bekannten Mobilitätsformen werden in Zukunft um das autonome Fahren erweitert und nach meiner Meinung auch substituiert. Dabei können natürlich auch mehrere Fahrgäste abgeholt werden, wie es „Moia“ beispielsweise schon umsetzen. Diese sind technisch noch nicht ganz so weit und rechts-regulatorisch noch ein ganzes Stück davon entfernt, ohne FahrerIn auszukommen.

Welche Vorteile bietet autonomes Fahren noch?

Krause: Wenn wir Konzepte wie korrekt getaktetes Fahren mit gleichmäßigen Abständen auf den Straßen und Autobahnen mithilfe der Digitalisierung sowie von Fahrassistenzsystemen umsetzen können, ersparen wir uns unter anderem Kosten, CO2-Ausstoß und Schäden im Verkehr. Gesellschaft und Wirtschaft profitieren vom autonomen Fahren mit einem enormen Zeitgewinn. In 100 Jahren werden die Menschen wahrscheinlich genauso wenig Verständnis für unsere aktuellen selbst zu bedienenden Mobilitätsformen haben, wie wir für die Fortbewegungsmittel lange vor unserer Zeit.

Brauchen wir zukünftig das umstrittene Tempolimit, um dies umsetzen zu können?

Krause: Das ist abhängig von den Gegebenheiten. Wenn es sinnvoll ist und die Dichte des Verkehrs es erfordert, sollte eine Geschwindigkeitsbegrenzung gesetzt werden. Aus individuellem Spaß mit 250 km/h auf der linken Spur zu fahren, war schon immer problematisch. Im Hinblick auf die Umwelt, den Verkehrsfluss und die Zahl der Unfalltoten wäre eine Beschränkung sicherlich schon jetzt sinnvoll, und ich denke, dieses Bewusstsein wird sich im Laufe der Zeit allgemein durchsetzen.

Welche innovativen Technologien können uns in diesem Bewusstsein helfen?

Krause: Je mehr hochautomatisierte Fahrzeuge unterwegs sind, die uns von der Aufgabe, selber das Auto bedienen zu müssen entlasten, desto weniger werden wir das Bedürfnis haben, schnell zu fahren. Zeit ist das kostbarste Gut. Mit der gewonnenen Zeit gibt es viele sinnvollere Dinge, die während der Autofahrt erledigt werden könnten.

Das Corona-Virus konnte sich durch die Mobilitätsgewohnheiten der Menschen schnell verbreiten. Wie können wir in Bezug auf den Gesundheits- und Mobilitätsbereich voneinander lernen, um uns in Zukunft sicherer zu bewegen? Macht es überhaupt noch Sinn, jeden Tag zur Arbeit ins Büro zu fahren?

Prof. Brinkmann: Wir wissen viel darüber, welche Infektionskrankheiten es gibt und wie wir uns davor, beispielsweise durch Impfungen, schützen können. Für welchen Arbeitsplatz Home-Office sinnvoll ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wie sich die Arbeitsweise auf die Produktivität auswirkt, welche hygienischen Begebenheiten und Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz vorhanden sind. Vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit ist es sicherlich sinnvoll, nicht jeden Tag ins Auto zu steigen.

Müssen die Personen im öffentlichen Nahverkehr Angst vor Viren haben?

Prof. Brinkmann: Es ist immer noch sicherer, eine Maske zu tragen, was ich auch weiterhin befürworte. Im Auto beispielsweise sichern wir uns auch doppelt ab: Wir schnallen uns wie selbstverständlich an, haben aber immer noch einen Airbag für den Ernstfall. Wenn wir uns mit einer Impfung und zusätzlichen Maßnahmen wie der Maske, Lüften und Abstand vor dem Virus schützen, kann das Risiko einer Infektion minimiert werden.

Gibt es dieses ‚normale’ Leben nach Corona überhaupt?

Prof. Brinkmann: Die Normalität wie vorher wird es nicht mehr geben. Wir haben einen neuen Atemwegserreger, der uns jedes Jahr vor allem im Winter beschäftigen wird. Die Immunität lässt nach, gerade bei älteren oder immungeschwächten Menschen. Solange der Impfschutz vorhanden ist, wird jedoch kein Lockdown mehr in dem Ausmaß notwendig sein, wie wir ihn erlebt haben. Mit präventiven Maßnahmen wie raumlufttechnischen Anlagen oder Ventilatoren in Schulen beispielsweise können wir außerdem bessere Rahmenbedingungen schaffen.

Sind für einen ausreichenden Schutz der Bürger und Bürgerinnen regelmäßige Impfungen notwendig?

Prof. Brinkmann: Die aktuelle Impfung schützt zwar nicht gänzlich vor erneuten Infektionen, aber vor einer Ausbreitung des Virus im Körper und somit vor schweren Erkrankungen, weswegen sie so wichtig ist. Vor allem über 70-jährige Personen sollten nicht zu lange zögern, die vierte Impfung mit dem derzeitigen Impfstoff wahrzunehmen. Es macht keinen Sinn, auf einen angepassten Stoff zu warten. Jüngere Generationen ohne Vorerkrankungen benötigen die vierte Impfung momentan noch nicht. Ich selbst bin auch dreimal geimpft, bereits infiziert gewesen und sehe ein normales Verhalten inklusive möglicher Neuinfektion als die beste Lösung an, um Immunität zu erlangen. Es ist trotzdem wichtig, weiterhin gegen eine gewaltige Infektionswelle zu steuern, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig erkranken und der Erhalt relevanter Infrastrukturen gewährleistet wird.

Wir gewinnen Immunität durch Impfung und Infektion, aber wie genau unterscheiden sich die Abwehrreaktionen des Körpers?

Prof. Brinkmann: Mit der Infektion entwickeln unsere Schleimhäute zeitlich begrenzt Antikörper, die das Virus quasi direkt an der Eingangstür aufhalten. Die Impfung hingegen generiert Immunität in unserem Körper, die wesentlich länger anhält. Im Laufe einer Infektion werden im Unterschied zum Impfstoff, der sich nur gegen dasSpike-Protein richtet, auch Antikörper gegen andere Bestandteile von Viren gebildet – unsere Immunität wird breiter. Im Hinblick auf die Omikron-Variante konnten wir feststellen, dass sich das Spike-Protein verändert und unseren Antikörpern entkommen kann – sodass es wieder ungehindert in unsere Körperzellen eindringen kann. Mit einer breiten Immunität machen wir es diesem ‚Trojaner' schwerer, unbemerkt in unsere Festung zu gelangen.

Würden Sie auch Kindern empfehlen, sich impfen zu lassen?

Prof. Brinkmann:Ja, auf jeden Fall! Andere Krankheiten haben uns bereits schwerwiegende Langzeitfolgen einer Infektion aufgezeigt. Dazu haben wir in diesem Fall zwar noch keine Informationen, aber um diese präventiv zu vermeiden, empfehle ich Kindern ab fünf Jahren ganz klar eine Impfung – idealerweise vor einer Infektion. In den USA wurde auch gerade der Impfstoff für Kinder ab sechs Monaten zugelassen, da wird Europa bald nachziehen schätze ich.

Wie fällt Ihre Prognose für den weiteren Verlauf der Virusübertragung aus?

Prof. Brinkmann: Im Sommer wird das Virus weiterhin zirkulieren. So entspannt wie die Sommerzeit 2020 und 2021 wird es diesen Sommer nicht, weil es kaum noch Maßnahmen gibt und Omikron so hochansteckend ist. Im Herbst wird das Infektionsgeschehen dann noch stärker. Die Strategie ist jetzt aber nicht mehr die komplette Vermeidung einer Ansteckung, das ist bei einem so ansteckenden Virus auf Dauer nicht möglich, sondern eine Infektionszahl, die das Gesundheitssystem nicht überlastet. Das funktioniert so lange die Impfung vor schwerer Erkrankung schützt.

Werden Krankheiten wie das Corona-Virus die neue Normalität? Auch in Bezug auf die derzeitige Ausbreitung der Affenpocken?

Prof. Brinkmann: Trotz des irreführenden Namens wird das Affenpocken-Virus hauptsächlich von Nagetieren auf Menschen übertragen, mit denen wir hier beispielsweise kaum Kontakt haben. Auch wenn das Virus neben Afrika nun auch in anderen Ländern aufgetreten ist, weil es zudem auch von Mensch zu Mensch übertragen wird – glücklicherweise nicht so effizient wie das Corona-Virus –, müssen wir keine Angst vor einer neuen Pandemie haben, solange wir konsequent die Fälle nachverfolgen und es uns gelingt, die Ketten zu unterbrechen. Aber das muss auch beherzt getan werden – sonst breitet es sich weiter aus und könnte auch hier heimisch werden.

Sind Viren intelligentere Lebewesen als Menschen?

Prof. Brinkmann: Nein, zum Glück nicht. Wir zählen Viren auch nicht zu eigenständigen Lebewesen, da sie einen Wirt brauchen, um zu überleben. Die Fähigkeit, sich anzupassen, ist dennoch eine raffinierte Eigenschaft der Viren. Dazu notwendige Strategien sind allerdings nicht bei allen Viren gleichermaßen vorhanden, Herpes-Viren beispielsweise verfügen über weitaus mehr Möglichkeiten als beispielsweise Corona-Viren.

Während der Pandemie waren alle darauf bedacht, sich nicht anzustecken. In Deutschland sind fast 140.000 Menschen mit einer Covid-Infektion gestorben, mehr als die doppelte Anzahl an Menschen sterben jedes Jahr an Herz-KreislaufErkrankungen. Was kann helfen, Präventionsmassnahmen wie Händehygiene und Abstand beispielsweise zu normalisieren?

Prof. Brinkmann: Durch die Pandemie und die mediale Präsenz ist großes Interesse an Wissenschaft aufgekommen, da die Maßnahmen ausnahmslos alle betroffen haben. Jetzt ist es wichtig, diese Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten, was gar nicht so einfach ist. Dabei sollte das Thema Prävention eigentlich viel häufiger im Vordergrund stehen, auch bei Begebenheiten wie der Klimakrise beispielsweise. Es macht keinen Sinn, Sachverhalte so lange zu verharmlosen, bis es zu spät ist. Der Präventionsgedanke fehlt in vielen Bereichen und die öffentliche Kommunikation von wissenschaftlichem Konsens muss ansprechender und verständlicher gestaltet werden.

Warum fällt es uns so schwer, vorausschauend zu handeln, wenn wir es doch besser wissen müssten?

Prof. Brinkmann: Vieles ist so tief in unserer Kultur verankert, dass wir unbewusst nach gesellschaftlichen Vorgaben handeln. Wir sind damit aufgewachsen, uns zur Begrüßung die Hände zu schütteln, obwohl so die Übertragung von Krankheiten begünstigt wird, da Menschen sich häufig im Gesicht in der Nähe der Schleimhäute berühren. Ich war von diesem Konzept noch nie begeistert und es ist Zeit, einige Rituale bewusst zu hinterfragen.

Eine Abschlussfrage: Wie profitieren Sie von der Forschungsintensität der Region?

Prof. Brinkmann: Ich war beruflich bereits viel unterwegs, beispielsweise in England und in Amerika. Ich bin ganz bewusst nach Deutschland zurückgekommen, da das berufliche Angebot der Weiterentwicklung in der Infektionsforschung in Braunschweig mich gereizt hat und deswegen habe ich mich dafür entschieden.

Krause: Ich bin aus Brüssel wieder zurück in die Region nach Wolfsburg gekommen und habe gemerkt, dass das Bewusstsein der Mobilitätsakteure aus Wissenschaft und Wirtschaft, eine gemeinsame Kompetenz nach außen zu bilden, sich in den letzten Jahren zum Positiven verändert hat. Das hilft im Wettbewerb mit anderen Regionen um Fördergelder und private Investitionen ungemein.

Wir sind gespannt, wie sich die Region, die Forschungslandschaft und vielleicht auch die ein oder andere gesellschaftliche Gewohnheit in den nächsten Jahren entwickeln und verändern. Vielen Dank für das Gespräch!

Lina Tauscher

Die 25-Jährige ist ausgebildete Kauffrau für Marketingkommunikation, fühlt sich aber im redaktionellen Bereich am wohlsten. Momentan studiert sie Journalismus und Public Relations und ist in der MediaWorld als Redakteurin sowie im Content-Management tätig. Sie begeistert sich für gute Geschichten, die von inspirierenden Menschen und Meinungen zum Leben erweckt werden.

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