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Lifestyle

25. November 2021

La Familia

Über Wolfgang „Elvis“ Haberkamm wurde schon viel geschrieben. Ein bunter Hund der Stadt, hervorragend vernetzt – schon lange in der Gastronomie tätig.

Von Falk-Martin Drescher

(Foto: Andreas Rudolph)

Auch Jean-Luc Hänel und sein Kompagnon Corbinian „Corbi“ Höhne sind nicht nur der regionalen Szene bestens bekannt. Unbestritten sind sie Originale, Marken. Sie beide eint der gastronomische Anspruch – aber auch: Die Familie.

Derzeit und vor allem in den kommenden Jahren wird unter beiden der Staffelstab weitergereicht. Elvis gibt das „Zepter“ weiter an seinen Sohn Jean-Luc. STADTGLANZ hat beide an einen Tisch gesetzt, gemeinsam über den Wandel der gastronomischen Kultur, alte Anekdoten und neue Pläne gesprochen.

Über Dich gibt es reichlich zu lesen. In der Region kennt man dich als Elvis, oftmals mit Fotografen – Paparazzo – im Gepäck. Immer eine Geschichte zu erzählen. Wie würdest du deine Ideale selbst beschreiben?

Elvis: Die Leute fragen mich immer: Wie machst du das eigentlich, dass immer alles läuft. Da antworte ich: Das ist mein Betriebsgeheimnis, das verrate ich niemandem – aber Dir ausnahmsweise schon. Ich mache einfach nur das, was ich gerne hätte, wenn ich woanders hingehe.

Die andere Antwort ist die, dass das Wort „Gastwirt“ daher kommt, dass man Gäste bewirtet. Wenn Du zu Hause eine Feier machst, lädst Du Gäste ein und siehst zu, dass es nett wird und alle zufrieden sind. Der Unterschied zwischen zu Hause und Gaststätte ist ein einziger: In der Gaststätte musst du dafür zahlen. Das ist meine Messlatte, die Leute so zu behandeln, als hätte ich sie privat nach Hause eingeladen.

Manchmal gibt es günstige Zufälle – wichtig ist, sie eben auch zu nutzen.

Ihr seid beide Größen der hiesigen Gastronomieszene. Viele wissen gar nicht, dass Du, Jean-Luc, Sohn von Elvis bist. Und vor allem: In welchem Kontext Du entstanden bist. Du hattest damals als Lehrer eine Schülerin zur Freundin, wurdest suspendiert – Du bist hartnäckig geblieben und Jean-Luc ist entstanden. Wie würdest Du diese Zeit beschreiben?

Elvis: Ich bin ein alter 68er, der diese Haltung nicht aufgegeben hat. Meine damalige, erste Lehrerstelle habe ich im Grunde nur bekommen weil meine damalige Frau eine Affäre mit jemandem aus dem Kultusministerium hatte – so trat ich meine Stelle als gelernter Pastor in Braunschweig an. Irgendwann bekam ich in diesem Rahmen eine neue zehnte Klasse, gucke in die erste Reihe. Da sitzt ein Mädchen, die strickt nicht nur – sondern pellt sich auch Apfelsinen ab. Da dachte ich mir: Die nehm’ ich. Und sie hat ja gesagt.

Das Witzige ist: Meine heutige Freundin ist Regierungsschuldirektorin. Und ihr Vorgesetzter, ist derjenige, der mich vor 35 Jahren aufgrund dieses Falls suspendiert hat. So klein ist die Welt.

Dir gehörten schon einige Gastronomien bis den Vier Linden heute. Wie bist Du damals in die Gastronomie gekommen?

Elvis: Ich bin damals schon immer gerne in Kneipen gegangen – es gab durchaus Tage in der Schule, wo ich mich gefragt habe: Wo bin ich?

Irgendwann wurde ich suspendiert, und da habe ich mit einem Kumpel die Entscheidung getroffen, dass wir eine Kneipe aufmachen. In der damaligen Zeit sind unheimlich viele Kneipen pleite gegangen, dennoch kaufte und führte ich erst das „Tunicum“, später das Café „Contrair“. 1993 habe ich schließlich die „Vier Linden“ gekauft – das war meine Stammkneipe, hier hatte ich schlicht Deckel bis zu 200 Mark. Am 1. April sind es ziemlich genau 25 Jahre, dass ich das Vier Linden betreibe.

Mit dem Laden hatte ich durchaus auch Glück: Wie sich herausstellte, hat Gastronomie auf der Fläche eine mehr als 100-jährige Tradition, zählt somit zu den ältesten Gaststätten in Braunschweig. Zum runden Jubiläum holte ich zum großen Schlag aus, lud Presse, Fernsehen & Co. ein. Mein Hauswirt brachte dann innerhalb von wenigen Wochen sogar noch ein Buch dazu heraus, 2.000 Exemplare waren in kürzester Zeit vergriffen. So ging das Vier Linden schnell in diesen öffentlichen Charakter rein. Später fand ich sogar noch heraus, dass bereits 1876 ein schlauer Bursche für die Arbeiter im Viertel eine kleine Bude zum Trinken hingestellt hat, sogar mit Tanzdiele.

Ich liebe Gastronomien mit langer Geschichte – da bekomme ich Herzklopfen, das umarmt mich. Gerade in heutigen Zeiten von heuern und feuern.

Wie kam es zu Paparazzo, dem Fotografen, den Du oft im Gepäck hast?

Elvis: Mein Vater war Fotograf und schrieb für eine kleine Lokalzeitung. Als er starb lernte ich jemanden kennen, der auch Fotograf war: Der ist heute mein bester Kumpel. Er fing an, etwa beim Tanz in den Mai mal ein paar erste Fotos zu machen.

Wie es der Zufall so will, bin ich irgendwann in den VIP-Bereich von Eintracht Braunschweig eingeladen worden. Als ich dann jedenfalls in das damalige, kleine VIP-Zelt gegangen bin, fingen die Leute schon an zu grölen: Was willst Du denn hier? Ich kannte mich nicht sonderlich gut mit Fußball aus. Über die Zeit merkte ich, dass die Präsenz total wichtig war, nahm dann auch immer häufiger meinen Paparazzo mit.

Eigentlich mache ich es wie viele andere: Ich verkaufe Essen und Trinken. Mein Alleinstellungsmerkmal ist allerdings die Tatsache geworden, dass ich mich selbst auch mit vermarkte. Das war die Geburtsstunde dieser ganzen Geschichte. Damals musste ich mich noch auf Gästelisten drängeln, heute werde ich ständig zu Veranstaltungen eingeladen.

Du hast in Deiner Lehrerzeit schon eine Broschüre um „den Aufstieg und Fall des Menschen Haberkamm“ herausgegeben…

Elvis: …Ich habe das schon mit der Muttermilch aufgesogen. Um ein Bild für die Zeitung zu machen, hat mein Vater ganze Drehbücher geschrieben.

Irgendwann war in der Stadt mal Hochwasser – ich musste dann einen Ball in die Hand nehmen, so tun als würde ich weinen und mich auf die überflutete Kellertreppe stellen. Mein Vater verkaufte es an die Zeitung mit der Beschreibung: Dem Jungen ist der Ball beim Fußballspielen ins Hochwasser geflogen.

Wie würdest Du Deine Struktur in Rokoko und Vielharmonie beschreiben, Jean-Luc?

Jean-Luc: Ich sehe das als Familienbetrieb. Christiane im Rokoko ist meine Stieftante – Corbinian zähle ich zu meiner Familie dazu. Wir machen das zusammen, weil wir eben gute Freunde sind. Nach dem Studium hatte Corbi keine Zeit auf sein Studium, hing immer im Rokoko rum. Er kam immer morgens vorbei und weckte mich, als ich da noch gewohnt habe. Dann haben wir erstmal einen Kaffee getrunken, im Büro gesessen und Papierkram gemacht. Er fragte mich dann immer: Was liegt heute an? Auch bei KulturImZelt ist er immer mitgekommen, obwohl ich ihn gar nicht explizit beauftragt hatte.

Irgendwann kam dann Jürgen Tebbel, Verkaufsdirektor bei Krombacher, der schon immer darauf achtete für Gastronomien gute Nachfolger zu finden. Der sagte mir: Ich habe Deinen Laden. Vielharmonie. Und das war es auch. Nur alleine konnte ich es nicht machen, ich brauchte einen verlässlichen Partner, Freund. Ich habe dann Corbi gefragt – der bat um Bedenkzeit, einen Tag später sagte er: Ok, ich bin dabei.

Wie ergab es sich damals eigentlich mit dem Rokoko?

Jean-Luc: Der vorige Pächter war schon sehr lange da und wollte den Laden nicht weiter betreiben. So hat der Tennisverein jemanden gesucht – es war auch höchste Zeit: Es passierte dort nichts mehr großartig, es fanden keine Veranstaltungen statt und es gab auch keine Gastronomie mehr. Dann wollte der vorige Pächter noch 1.000 Euro für etwas Interieur haben, dann ging es ziemlich spontan Ende 2006 los.

Ihr positioniert euch mit dem Thema Gin. Wie kam es dazu?

Jean-Luc: Meine damalige Freundin begleitete vor vielen Jahren eine Hoteleröffnung in Frankfurt am Main. Abends sind wir dann durch die Bars gezogen – da standen dann auch schonmal zehn Ginsorten im Regal. Ich kaufte mir dann die ersten Flaschen, so begannen wir mit dem Thema in Braunschweig. Wir fuhren dann anfangs immer zu Spirituosen Wolf auf die Schanze nach Hamburg und gaben unser ganzes Geld aus. Mitunter habe ich mir extra Geld von meinem Vater geliehen, um weiter einkaufen zu können.

Mann kann so etwas ja auch nur richtig gut machen, wenn man sich selbst dafür interessiert.

Wie würdest du Deinen Anspruch an Gastronomie beschreiben?

Jean-Luc: Da habe ich die Philosophie meines Vaters aufgesogen. Diese Haltung auf eine moderne Art und Weise ist unser „eat, drink and be nice to each other“. Ich konsumiere viele englische Medien und habe im damaligen Blog von Jay Z mal ein Interview mit Gastronomen aus New York gesehen. Da was waren so zwei Jungs, wie Corbi und ich, die sagten plötzlich: „There are only three things you have to do in life: eat, drink and be nice to each other.“

Bei Dir, Elvis, gehen Kamerateams, Prominente, Politiker & Co. ein und aus – bei Dir, Jean-Luc, tobt die „Szene“ herum. Wie kommt man da hin, was glaubt ihr?

Jean-Luc: Man muss selbst Teil davon sein, interessant sein. Eben jene Szene mitgestalten, etwa durch die Pop-Up-Partys, die es definitiv wieder im Kultviertel geben wird.

Elvis: Wenn Du Prominente & Co. im Laden hast, zieht das automatisch weitere an. Viele kommen in die Vier Linden und schauen sich erstmal die ganzen Fotos an mit denjenigen, die bereits zu Gast waren.

Die Gastronomie hat sich über die Jahrzehnte stark gewandelt. Wie würdest Du diesen Wandel beschreiben?

Elvis: Im Umland machen total viele Kneipen zu – und den Leuten fehlt genau dieser Charme und eben auch die damit verbundene, deutsche Küche. Davon profitiert das Vier Linden ungemein.

Die klassischen Kneipen sterben aus, hingegen sprießen Lifestyle-Bars und Cafés aus den Böden. Hat sich unser Anspruch an Gastronomie verändert?

Jean-Luc: Früher gab es nur Kneipen und Restaurants – keine Zwischenstufen. Die Linde hat sich von einer Kneipe zum multifunktionalen Wirtshaus entwickelt und die Vielharmonie ist eine Art Auffangbecken für diverse gastronomische Formate. Ein gutes Beispiel für einen Laden, der diese Transformation erfolgreich durchschritten hat.

In Zeiten, wo manch einer in der Mittagspause schnell etwas aus dem Supermarkt herunterschlingt, wollen wir die gastronomische Kultur, die Esskultur, hochhalten. Das Essen muss ja nicht immer gesund sein, aber immer vernünftig – und vor allem sollte man in Ruhe genießen.

Man stellt außerdem fest, dass diese „Geiz ist geil“-Haltung von vor zehn Jahren, verbunden mit Ein-Euro-Bars & Co., wieder weg ist. Die Leute wollen bis zu einem bestimmten Punkt Geld für Qualität ausgeben. Wer hätte früher gedacht, dass man 15 Euro für einen guten Gin-Tonic ausgibt? Ich selbst nicht. Heute bezahle ich das selbst in anderen Läden – und unsere Gäste tun es wiederum auch, weil sie das gute Produkt zu schätzen wissen.

Warum sind Gastronomien für unsere Gesellschaft wichtig? Für unsere Stadtkultur?

Jean-Luc: Es geht um die gute Zeit, mit Freunden, Familie oder anderen. Und dafür ist die Gastronomie wichtig.

Elvis: Als ich damals nach Braunschweig kam war die Innenstadt samstags um 13 Uhr zu, nur Karstadt und Horten hatten noch bis 14 Uhr geöffnet. Dann gab es nichts mehr, gar nichts. Wenn ich nachts aus dem Panoptikum kam – damals die einzige Disco – musste ich Angst haben, verkloppt zu werden. Jetzt gibt es in der Stadt tausende konzessionierte Außenplätze – die Leute sitzen draußen, selbst im Winter. Im Sommer hat das ein richtig mediterranes Flair. Früher ging man morgens zur Arbeit und abends nach Hause, da spielte das alles noch keine richtige Rolle.

Mit Blick auf die nächsten Jahre: Was ist Euer Plan hinsichtlich der Vier Linden?

Jean-Luc: Man kann auf jeden Fall sagen, dass das Vier Linden in der Familie bleibt. Dass die Tradition fortgeführt wird. Elvis: Ich bin über 70 – jetzt aber schon gar nichts mehr zu machen, würde mich auf jeden Fall langweilen. Vergangenes Jahr, mit der „Null“ hinter der Sieben, das hat mich allerdings schon ins Grübeln gebracht. Wo sind eigentlich die vielen Jahre geblieben? Die sind einfach weg. Da sitzt Du beim Klassentreffen und fragst Dich genau das.

Falk-Martin Drescher

studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.

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