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Wirtschaft

27. Januar 2023

Krise willkommen?

Von der Notwendigkeit der Energie zur Energie der Notwendigkeit

Von Kolja Backsmann

( Foto: Robert Bosch Elektronik GmbH )

Haben Sie auch langsam genug? Finanzkrise, Euro-Rettung, Corona, Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen für die Europäische Energieversorgung und dazu, quasi nur „kurz zurückgestellt“, der unheilvolle Klimawandel mit seinen unabsehbaren Folgen für die kommenden Generationen. „Jetzt reicht es doch mal wirklich! Was soll ich denn noch alles aushalten!? Lasst mich alle in Ruhe!“ – Gefühle, die jeder kennt, privat wie auch beruflich.

Ich arbeite für Bosch, genauer für die Robert Bosch Elektronik GmbH in Salzgitter und wir stellen Automobilelektronik her. Da lässt sich die Reihe noch ein ganzes Stück erweitern: Abkehr vom Verbrenner, Chipkrise, Logistikengpässe, Megatrends wie Elektrifizierung und Automatisiertes Fahren mit ganz neuer Konkurrenz, technologischer Wandel und Digitalisierung mit ihren systemgreifenden und strukturellen Herausforderungen. Wandel als Dauerzustand, Transformation als Pflicht, nicht als Kür.

Mein spezielles Feld ist das Energiemanagement, die Suche nach dem optimalen Set-up unserer Fabrik hinsichtlich Energieverbrauch, Energieeffizienz, Energiespeicherung, Eigenversorgung und Versorgungssicherheit. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen geht es uns täglich darum, unter Einsatz aller verfügbaren und neuen Technologien, unsere Verbräuche an Strom, Wärme, Druckluft oder Kühlung zu reduzieren und die vorhandene Energie bestmöglich zu nutzen. Natürlich ist unser wichtigstes Ziel dabei immer, eine kontinuierliche Versorgung der Fabrik sicherzustellen.

Deswegen liegt „meine Krise“ aktuell vor allem in der „Energiekrise“, den Entwicklungen der Energiepreise als Folge des Krieges in der Ukraine bzw. langfristig natürlich in den Notwendigkeiten, die sich aus den Verpflichtungen zur Bekämpfung des Klimawandels ergeben. Daraus folgen unmittelbare Konsequenzen für uns als Werk bzw. für mich in meinem Job, wie:

das Risiko von Abschaltungen im Gasnetz durch eine nationale Mangellage, das aber nicht nur uns, sondern auch unsere Lieferanten oder Kunden treffen könnte und in jedem Fall zum Stopp der Produktion führen würde, und zwar nicht nur in diesem, sondern ggf. auch in den kommenden Wintern,
der stark steigende, ungeplante Einfluss der Energiekosten auf unsere Herstellkosten, der gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit von Installationen wie die von unserem Blockheizkraftwerk gefährdet oder
das deutlich zunehmende Risiko von Schwankungen oder Unterbrechungen im Stromnetz durch die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Energien, für welches bei uns Lösungen gefunden werden müssen.

Die Probleme liegen auf der Hand. Die anderen Krisen fordern bereits die volle Aufmerksamkeit, um die Fertigung überhaupt am Laufen zu halten. Jede weitere Beeinträchtigung wäre inakzeptabel. Getätigte Investitionen können nicht einfach revidiert werden. Und mehr Budget ist in Zeiten von Inflation und Strukturwandel nicht zu erwarten. Es scheint zum Verzweifeln, oder?

Nun hat es selten geholfen, den Kopf in den Sand zu stecken. Es wäre fatal, jetzt einfach die Krisen auf sich zu und über sich hinwegrollen zu lassen, ohne darauf zu reagieren. Doch wo anfangen, was zuerst? Ich halte es bei dieser Frage mit den Stoikern. Deren Philosophie lässt sich (laienhaft) damit zusammenfassen, dass man sich mit dem arrangieren möge, was man ohnehin nicht zu ändern vermag. Klingt jetzt erst einmal wieder ein wenig danach, den Kopf doch in den Sand zu stecken. Es wird aber erst mit dem Zusatz sinnvoll, seine Energie stattdessen auf das zu richten, was man im Rahmen seiner Möglichkeiten beeinflussen kann. Und das mag sich durchaus im Rahmen der Krise(n) verschieben! Oft geraten doch gerade in Krisen die Dinge in Bewegung. Alte Sicherheiten brechen weg und neue Optionen entstehen. Alte Grundsätze können und müssen in Frage gestellt werden. Die gesetzte Reihenfolge der Prioritäten wackelt. Und das gilt gleichzeitig auf vielen Ebenen, dem lokalen Umfeld wie dem gesamtgesellschaftlichen.

Aber was heißt das jetzt für mich und meinen Job? Schaue ich auf die Gasmangellage, ergeben sich zwei konkrete Effekte. Das Gas ist sehr teuer und es könnte sogar komplett unverfügbar sein. Die Lage am Gasmarkt können wir nicht ändern. Aber was können wir lokal tun? Nun haben wir am Standort zum Glück bereits unsere Wärmeversorgung durch die gasunabhängige lokale Fernwärme gesichert. Hätten wir sie nicht, würden wir das Projekt spätestens jetzt angehen. Doch betreiben wir auch noch ein Blockheizkraftwerk mit Gas. Das rechnet sich mit den steigenden Gaspreisen schlechter, wir könnten gezwungen sein, es abzuschalten. Das wäre zwar ein wirtschaftlicher Dämpfer, würde uns aber gleichzeitig der CO2-Neutralität des Standorts einen großen Schritt näherbringen. Ein Umstand, den inzwischen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Partner und auch Kunden honorieren.

Die steigenden Energiepreise erhöhen nicht nur unsere Kosten, sondern auch die Wirtschaftlichkeit von Energiesparmaßnahmen. Kostet Strom das Dreifache, darf jetzt auch jede Sparmaßnahme das Dreifache kosten. Gleichzeitig beschäftig das Thema aber nicht nur mich, sondern die ganze Belegschaft. Das Private wird ins Berufliche hineingetragen, jeder denkt jetzt mit und versucht, einen Beitrag zu leisten. Es entstehen ganz neue Ideen, eine ganz neue betriebliche Dynamik.

Und das Gleiche passiert nicht nur am Standort, sondern auch im ganzen Konzern. Wenn alle Standorte gleichermaßen betroffen sind, gewinnt das Thema der Energieeffizienz in der Gesamtsicht eine noch höhere Priorität. Es werden Sonderbudgets ausgelobt und die Firmenleitung fokussiert stärker neuartige Ansätze. Lokale Leuchtturmprojekte wie die Installation von Wasserstofftechnologien werden ermöglicht, die sonst nicht möglich wären.

Die steigende Versorgungsunsicherheit im Energienetz kann ich nicht ändern. Die eigene Erzeugung von Strom ist dadurch aber nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern auch eine der Versorgungssicherheit. Und so gewinnen auch Energiespeicher an Wert. Denn damit lässt sich nicht nur der Eigenverbrauch selbst erzeugter Energie erhöhen. Man kann gleichzeitig auch Lastspitzen puffern und damit einen Beitrag zur Netzstabilität leisten, für den man von dem Energieversorger wiederum über einen sinkenden Leistungspreis zunehmend honoriert wird. Und man kann Netzausfälle in einem gewissen Rahmen puffern. Das hilft, Kosten für Schrott und Personalaufwände bei plötzlichen Stromausfällen zu vermeiden und ist somit geldwert.

In unserem Werk konnten wir bereits eine 4,7-MW-Photovoltaik-Anlage installieren, um unsere Unabhängigkeit vom Stromnetz zu verringern. Und wir sind jetzt daran, diverse Formen der Energiespeicherung zu bewerten und umzusetzen. Neben Batteriespeichern planen wir auch mit thermischen Speichern und wollen auch Elektrolyse nutzen, um Energie in Form von Wasserstoff zu speichern. Dinge, die sich erst jetzt richtig rechnen. Und falls sie das noch nicht tun, dann oft mit einer entsprechenden öffentlichen Förderung. Denn wie gesagt: Die Dinge bewegen sich ja nicht nur bei uns, sondern auch im ganzen Land. Und in der Reaktion werden unzählige Förderprogramme auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene aufgesetzt, die in der einen oder anderen Form alle der genannten Aspekte unterstützen. Das kann den entscheidenden Unterschied ausmachen!
Nun liegt in der Krise immer auch der Wunsch, diese mal endlich hinter sich zu lassen, abzuschließen, sich auf Neues zu konzentrieren. Aber hilft das weiter? Zurück zu „meinen“ Stoikern: Nein, es hilft mir nicht, mir zu wünschen, dass die Krise endet. Das zu ändern, liegt nicht in meinem Ermessen. Ich kann nur daran arbeiten, sinnvoll mit der Krise umzugehen, das Beste daraus zu machen, die Chancen zu sehen und zu ergreifen. Ich sollte die Krise bzw. die Häufung der Krisen besser als neuen, anderen Normalzustand begreifen. Lässt sich damit alles lösen? Nein, natürlich nicht und das darf man dann auch laut aussprechen. Aber ich werde in die Lage versetzt, leichter die in der Krise liegenden Chancen zu entdecken. Damit werden aus Risiken Möglichkeiten und aus dem Handlungsdruck entsteht eine Transformation. Und der Kern der Transformation besteht nun gerade darin, dass es ein Prozess ist, der kein klares Ende vorsieht.

Lassen wir es zu!

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 25 / Winter 2022.

 

 

 

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