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Kultur

3. Juni 2022

Wenn Kunst zum Kulturgut wird

Happy Rizzi House

Von Andrea Wendt-Drewitz

(Fotografie: Galerie Jaeschke)

Es gilt, die folgenden drei Seiten mit einem Text zum Oberbegriff Kultur zu füllen. Ein weites Feld, wenn man an eine allumfassende Bearbeitung dieser Begrifflichkeit denkt. Möglicherweise ist es noch spannender, eine bestimmte Frage herauszustellen und zu überlegen, wie und warum etwas oder jemand zu solch einer kulturellen, wissenschaftlichen, geschichtlichen etc. Bedeutung gelangt, dass es zu einem sogenannten Kulturgut erklärt wird.

Kultur im Allgemeinen ist für unsere Gesellschaft von grundlegender Bedeutung. Sie durchzieht sich durch unseren Alltag und beruht auf unseren gemeinsamen Werten und Wertvorstellungen. Wir sprechen von Wohnkultur, Esskultur, ja sogar Streitkultur, Stadtkultur und vieles mehr. Darüber hinaus wird die Bezeichnung Kultur in der Kulturpolitik synonym auf die sogenannten „Schönen Künste“, wie Bildende Kunst, Musik, Literatur verwendet. Kultur also als die Zusammenfassung der Dinge, die uns in Museen, Theatern, Opernhäusern, in der Musik oder Architektur etc. begegnen. Es handelt sich um kulturelle Errungenschaften, die von Menschen geschaffen wurden und auf gemeinsamen Wertvorstellungen und erlernten Verhaltensweisen beruhen. Wesentlich ist, dass die jeweilige Gemeinschaft einen Konsens darüber hat, was als kultureller Wert Bestand haben und bewahrt werden soll. Faszinierend ist die Tatsache, dass nahezu jede Zivilisation eine andere Lebensart, sprich Kultur hat. Genau das ist für uns oft spannend und Anlass, durch Reisen oder mit Hilfe von Büchern oder Filmen, verschiedene Kulturen kennenlernen zu wollen.

Es existiert also eine Vielzahl von Kulturen und die Deutung dessen, was zur Kultur einer Gesellschaft gehört, ist gleichsam stark verankert und auf langen Traditionen aufgebaut, und ebenso leicht dehnbar oder erweiterbar. Kulturelle Errungenschaften können jederzeit erzeugt werden und als etwas Erhaltenswertes anerkannt werden.

Es stellt sich also nun die Frage - wann wird etwas zu einem Kulturgut? Wie erlangt ein Ereignis in der Geschichte oder in der Kunst, als menschliches, kreatives Kulturprodukt, solch eine Bedeutung, dass es als Kulturgut eingestuft wird?

Ein wunderbares Beispiel hierfür existiert mitten in Braunschweig. Das „Happy Rizzi House“. Ein Bauwerk und zugleich ein Kunstwerk des amerikanischen PopArt Künstlers James Rizzi. Rizzi wurde 1950 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Bereits während seines Studiums hat er sich mit der Kombination von Malerei und Skulptur beschäftigt und schließlich, die zu seinem Markenzeichen avancierte Technik der 3-D Grafik entwickelt.

Die Galerie Jaeschke, allen voran
Olaf Jaeschke, der Mitte der 1980er-Jahre bereits in zweiter Generation, die Geschicke der Galerie im Herzen Braunschweigs leitete, holte den internationalen Künstler James Rizzi in die Löwenstadt. Es folgte nicht nur eine erfolgreiche Zusammenarbeit, sondern über die Jahre erwuchs auch eine enge Freundschaft.

Olaf Jaeschke war es auch, der James Rizzi dazu bewegte, sein architektonisches Kunstprojekt in Braunschweig umzusetzen und nicht, wie durchaus geplant, in Metropolen wie New York oder Paris.
Ein gemeinsamer Besuch beim Schweizer Montreux Jazzfestival 1997 ließ die Pläne konkreter werden. Vor seiner Zustimmung ließ Rizzi zur Bedingung werden, dass Olaf Jaeschke es binnen eines halben Jahres schaffen musste, ein Rohkonzept vorzulegen und sämtliche Genehmigungen seitens der Stadt und anderer Gremien und Entscheidungsträger vorzulegen. Wie wir wissen, ist dieses Kunststück gelungen und im Jahre 1999 konnte der Grundstein während des 26. Magnifestes gelegt werden. Investoren und ein potenzieller Mieter der zukünftigen Räumlichkeiten wurden gefunden und durch die professionelle Umsetzung des Architekten Konrad Kloster entstand ein moderner fünfgeschossiger Bau, bestehend aus neun verbundenen Teilkörpern, der ganz im Stile der Kunst James Rizzis erstrahlt. Kennzeichnend sind die bunten Farben und die witzigen und fröhlichen Gesichter, die auf dem gesamten Gebäude verteilt sind. Seine immer wiederkehrenden Motive, wie Sterne, Herzen, Augen und Vögel, sind zwingender Bestandteil der aufwändigen Fassade, die sich auf einer Fläche von mehr als 2000 Quadratmetern erstreckt. Zudem sind große Bereiche der Außenhülle als siebbedruckte, gläserne Membrane ausgeführt, welche das „Happy Rizzi House“ tatsächlich zum Leuchten bringen. Die einzelnen Gebäudeteile sind unterschiedlich hoch und ragen nicht klassisch gerade nach oben, sondern kommen oft etwas schräg und schief daher. Die Wände, sowohl außen als auch innen, sind reliefartig und immer wieder gespickt von herausragenden Herzen, Sternen oder Kreisen.

Auch die Innenräume sind durchweg im poppigen Stil der Kunst James Rizzis angelegt. Überall lachen den Besucher fröhliche Gesichter und knallige Farben an und die wenig symmetrisch gehaltene Architektur hält optisch alles in Bewegung und lebendig.
Gegenwärtig dürfen sich die Mitarbeiter des Braunschweiger Modeunternehmens New Yorker über die als Büros genutzten Räumlichkeiten freuen. Seit knapp 10 Jahren hat das Unternehmen seinen Verwaltungssitz in diesem modernen und architektonischen Kunstwerk.

Durch die Rekonstruktion und Eröffnung des Braunschweiger Schlosses 2007 und die damit verbundene Verschiebung der Stadtmitte ist das Rizzi Haus seit 2001, nach zweijähriger Bauzeit, ein zentrales Highlight in Braunschweig. Seither bildet es die nördliche räumliche Kante des Ackerhofes, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unbebaut war. Das Kunstobjekt „Happy Rizzi House“ bietet mit seiner modernen, bunten Erscheinung einen wunderbaren Kontrast zu seiner historischen Umgebung mit den traditionsreichen Fachwerkbauten und dem rekonstruierten Schloß.

Natürlich gab es zu Beginn der Planung dieses Projekts viele kritische Stimmen und die Sorge, der Mix aus Moderner Popkultur und historischer Stadtkultur vertrüge sich nicht.
In den letzten 20 Jahren allerdings hat sich gezeigt, dass das „Happy Rizzi Haus“ nicht nur ein schönes Andenken an den 2011 verstorbenen Künstler ist, sondern Braunschweig auch ein Stückweit bunter und vielschichtiger gemacht hat. Mittlerweile ist es von den Braunschweigern akzeptiert und ein stolzes Wahrzeichen der Stadt, das über die Grenzen Europas bekannt ist. In der Reihe „Die schönsten Bauwerke Deutschlands“ der Zeitschrift „Hörzu“ wurde das Rizzi-Haus per Leserwahl zu einem der 100 schönsten Bauwerke gewählt.

Heute ist der Platz zwischen dem Braunschweiger Schloß und dem Eingang zum historischen Magniviertel ohne dieses Kulturgut kaum mehr vorstellbar.

Andrea Wendt-Drewitz

Ich bin Jahrgang 1977 und seit über 5 Jahren bei der Galerie Jaeschke tätig. Davor über mehrere Jahre in einer anderen großen Galerie. Studium der Kunst- und Kulturwissenschaften an der Universität Witten/Herdecke.

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