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Lifestyle

3. Januar 2023

Design – Waffe der Wirtschaft!?

Ohne dass wir es uns bewusst machen, bestimmen Design und Produktgestaltung, ob wir nachhaltig leben können.

Von Dr. Ralf Utermöhlen

Man kennt das ja. Das Scheißding ist kaputt. Gerade erst gekauft. So eine Sauerei. Oder: Oh Gott, der Fummel sieht ja furchtbar aus – die Farben und der Schnitt sind out. Kann ich so nicht mehr anziehen…irre, vor zwei Jahren war das hip.

Vier Aspekte von Design und der dem Design folgenden Kommunikation bestimmen, ob Bedarfsgegenstände des Lebens langlebig oder kurzlebig, energie- und materialintensiv oder ressourcenschonend sind:

Da sind zum einen die Aspekte, aus denen heraus Produkte unnötig weggeschmissen werden:

  • Sie sind schnell kaputt oder veraltet und müssen ersetzt werden – häufig steht Absicht dahinter.
  • Mit Gestaltung, Werbung, technischer Ergänzung und Argumenten des „Zeitgeistes“ wird uns Konsumenten regelmäßig suggeriert, dass wir bestimmte Produkte neu brauchen, obwohl die Gegenstände, die wir besitzen, den Zweck noch erfüllen. Bekleidungsmode ist hierfür das beste Beispiel: Zu jeder Saison kaufen wir neue Hemden, Kleider, T-Shirts usw. – obwohl die Artikel, die wir im Kleiderschrank haben, ausreichen würden, uns angemessen zu kleiden. Kennen Sie das? Sie wollen halt „dazu- gehören“, zeigen, dass Sie im Trend und kein Hinterwäldler sind. Also: Ausmisten, weg mit dem Plunder der Vorjahre und „Shoppen“ gehen. Das gleiche Prinzip gilt auch für Einrichtungs­gegenstände, Technik und vieles mehr.
  • Produktgestaltung nutzt oft knappe, umweltbelastende Materialien, die für den jeweiligen Zweck einfach zu schade sind. Zum Beispiel: Früher waren Becher in Eisdielen aus Pappe, seit einigen Jahren sind sie häufig aus hochwertigem, transparentem Kunststoff. Für einen Becher, der nach zehn Minuten im Abfall landet und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht einem Recycling zugeführt werden kann! Design legt die Grundlagen für diesen Unsinn: Ein Produkt wird designed, der Eisdiele wird schmackhaft gemacht, dass die Kunden lieber hier kaufen, wenn sie so schöne bunte Becher hat … und schon ist das nächste unsinnige Produkt auf dem Markt.
  • Produktplaner verwenden häufig absichtlich zu viel Material für den jeweiligen Nutzen oder sorgen für einen zu hohen Energie­verbrauch in der Nutzungsphase, um Statussymbole zu schaffen – wer von Ihnen fährt einen SUV obwohl eigentlich fast nur in der Stadt herumgejökelt wird? Brauchen Sie das oder sind Sie den Lifestyle-Werbungen auf den Leim gegangen?

Design gibt vor, ob wir nachhaltig leben oder überhaupt leben können.
Sie kennen gewiss solche Beispiele: Vor einigen Jahren besaß ich ein Outdoor-Handy mit Schutzhülle aus Gummi, die nach zwei Jahren undicht war. Es war nicht möglich, die Schutzhülle neu zu beschaffen. Ich wäre bereit gewesen, die Hülle zu ersetzen, selbst wenn der Hersteller am Ersatz der Hülle genauso viel verdient hätte wie am Verkauf eines Telefons. Am Ende musste wegen Verschleiß eines Pfennig-Artikels das Telefon ersetzt werden. Noch ärgerlicher ist der Fall, wenn bei einem Standmixer in der Küche der Glasaufsatz zerbricht und bei einem deutschen Markenartikelhersteller nicht nachbestellt werden kann. Obwohl der wesentlich teurere Untersatz mit Motorblock völlig intakt ist, muss ein komplett neuer Mixer gekauft werden.


Hauptsache, ich kann die Kiste reparieren!
Das positive Gegenbeispiel hatte ich, als an der Transportbox der Haustiere meiner Kinder ein Kunststoffscharnier zerbrochen war. Es konnte mit zwei Handgriffen ersetzt werden: Kosten 3,50 Euro. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, wegen des Klappscharniers die ganze Kiste ersetzen zu müssen. Ganz ehrlich, mir ist egal, ob der Hersteller an dem Ersatzscharnier gegebenenfalls genauso viel verdient wie an der neuen Kiste; Hauptsache, ich kann die Kiste reparieren. Die Beispiele zeigen Denk- und Gestaltungsprinzipien: Dem einen Hersteller ist es egal, ob sein Produkt reparierbar ist, der andere antizipiert den Defekt eines Bauteiles. Den Gipfel der nicht nachhaltigen Unverfrorenheit mutet uns die „Design-Ikone“ Apple zu: Einmal in der Apple-Welt verfangen, fällt der Ausstieg schwer, weil Datenformate mit anderen Herstellern nicht kompatibel sind. Spätestens alle 18 Monate kommt ein neues Modell und uns wird klar gemacht: Du brauchst es als einer der ersten, die alte Kiste ist zu langsam, die neue Software läuft darauf nicht, die Apps die Du brauchst, flutschen nur auf dem neuen Modell. Also los. Und wenn man da nicht mitmacht, hört man noch: „Bist du doof? Warum hast Du noch das iPhone 7? Ich hab mein neues bei Vertragsverlängerung geschenkt bekommen …“ Geschenkt? Ich lach mich kaputt – Sie wissen, dass Sie über Gebühren das Gerät bezahlen. Ich habe nichts dagegen, dass Apple viel Geld verdient, die Produkte sind toll – aber das ginge auch ohne das ganze Gerät permanent zu ersetzen. Unternehmen können viel ändern: Ein mir bekanntes Unternehmen baut hochwertige Bürostühle. Bei der Auswahl der Materialien werden viele nachwachsende Rohstoffe verwendet und bei den Produktionsmethoden wird Umweltschutz sehr gut berücksichtigt. Als ich bei einem Audit über das Ende des Produktlebens sprach, kam heraus, dass die Stühle ohnehin sehr langlebig sind und nach Ende ihres „ersten Lebens“ in Büros großer Unternehmen oft an Mitarbeiter verkauft werden und dann noch ein „zweites Leben“ im häuslichen Arbeitszimmer haben. Es gibt auch einen hochwertigen Reparaturservice z. B. für die Rollen oder Mechanik des Stuhls und die Stühle können neu gepolstert werden. Aber was passiert dann wirklich nach Ende der Nutzung? Dann landet der Stuhl im Sperrmüll. Man darf unterstellen, dass dabei das Metallgestell im Metallrecycling endet und somit wieder eingeschmolzen wird. Die Polster, Kunststoffteile und Textilien werden thermisch verwertet werden. Man kann nun sagen, dass es sich ohnehin um ein sehr umweltfreundliches Produkt handelt. Geht es noch besser? Wir haben diskutiert, die Stühle grundsätzlich mit einer Rücknahmegarantie und einem Pfand auszustatten und das Drehkreuz für den nächsten neuen Stuhl wieder einzusetzen. Design-Gründe sprächen dagegen hieß es; das Design des Stuhls und des Metallfußes würden jeweils Ausdruck des Zeitgeistes sein. Warum? Ist nicht ein völlig zeitloses, sehr klassisches Design für das Drehkreuz und den Fuß eines Bürostuhls denkbar, sodass nur die Oberfläche neu lackiert werden muss, um diese Baugruppen wiederzuverwenden? „Doch, aber wir wollen doch neue Bürostühle verkaufen“, hieß es, „das ist unser Geschäftsmodell.“

Ich halte das für falsch – das Geschäftsmodell ist, für Büros hochwertige Sitzmöglichkeiten anzubieten und daran Geld zu verdienen – nicht unbedingt, neue Stühle zu verkaufen. Ich behaupte, wenn ein Bürostuhlhersteller die Drehmechanik zeitlos designt, jeden Stuhl mit einer Pfandmarke ausstattet und zurücknimmt, dann kann er diese hochwertigen Teile über Jahrzehnte immer wieder verwenden, ohne jeden Komfort-Nachteil für Kunden. Ich glaube fest, dass der Hersteller hierdurch mehr Kundenbindung erhält und dass die Designer und Marketing-Leute, die meinen, der Fuß des Stuhls müsse den Zeitgeist widerspiegeln, diesen Punkt überbewerten und sie die Zeitgeist-Attribute gut in anderen Teilen des Stuhls unterbringen können. Die Polster und die Bespannung sind nun zweifelsfrei irgendwann verschlissen und müssen ersetzt werden, dann gerne auch im jeweils modernen Design. Der zeitlose Fuß, die Platte und die nicht sichtbare Mechanik werden dabei nicht stören. Warum soll es nicht cool sein, ein Kleidungsstück oder ein paar Schuhe viele Jahre zu besitzen, auch wenn man das sieht? Design kann die Grundlage für nachhaltiges Verhalten legen: Wenn Produkte langlebig, reparaturfreundlich und zeitlos gestaltet sind, dann hilft das, einen nachhaltigeren Lebensstil überhaupt zu ermöglichen. Umgekehrt können Designer (und Marketingstrategen) aber Treiber immer größerer Umweltbelastung sein. Je mehr Produkte erdacht werden, die kurzfristig ersetzt werden müssen oder sollen, je mehr sie uns suggerieren, dass wir diesem oder jenem Trend folgen sollten, desto weniger nachhaltig werden wir leben. Design ist die eine Seite – Sie als Konsument sind die andere: Designed wird, was sich verkauft. Wenn Sie sich geschmackvoll, aber zeitlos kleiden, sich unabhängiger machen von schnelllebigen Trends und Ihre Dinge eher reparieren lassen, als wegzuschmeißen, wenn Sie bereit sind, für Ersatzteile Geld zu bezahlen, dann verändert sich auch das Design.


Warum soll es nicht cool sein, ein Kleidungsstück oder ein paar Schuhe viele Jahre zu besitzen, auch wenn man das sieht?
Warum soll ein Möbelstück, ein Standmixer, eine Tasche nicht repariert werden? Haben Sie es nötig, dauernd alles neu zu kaufen oder sind Sie entspannt genug, mit Selbst­bewusstsein auch einen reparierten Gegenstand zu zeigen? Das schafft andere Arten von Beschäftigung und andere Arbeitsplätze, ist aber nicht der Garaus der Wirtschaft. Ich fürchte, dass (leider) Regularien eingesetzt werden müssen, um Designverhalten zu verändern. Die regulatorische Ebene wird die „erweiterte Herstellerverantwortung“ immer weiter konkretisieren. Die meisten Produktplaner mögen es sich nicht vorstellen können, dass entsprechende Regularien auch in ihre Branche einbrechen, aber ich erwarte, dass die Ökodesign-Richtlinien mehr Vorgaben zu Energie­verbrauch, Kennzeichnungen, Pflicht- und Mindestanteilen an recyclierten Inhaltsstoffen, zur Wiederverwendbarkeit, zur Rücknahme und zur Reparatur von Produkten machen; dass Recyclingquoten vorgegeben werden und Hersteller verpflichtet werden, die Produkte so zu gestalten, dass die Rohstoffe zurückgewonnen werden können; dass auch für „Allerweltsartikel“ Mindestanteile von Sekundärrohstoff bzw. Recyclingfasern in Neuartikeln vorgeschrieben werden; dass bestimmte Gebrauchsartikel eingeschränkt oder verboten werden. Also: Liebe Designer und Marketingabteilungen, setzt Design nicht für eine unnachhaltige Wirtschaft ein. Natürlich ist es Aufgabe von Design und Marketing, Produkte und Dienst­leistungen zu vermarkten und so anzubieten, dass Käufer diese kaufen. Wenn es gelingt, durch geschickte Kommunikation zu vermitteln, dass ein langlebiges, fair hergestelltes und ohne übermäßige Umweltbelastung hergestelltes Produkt „cool“ oder „chic“ ist, dann ist viel erreicht. Design, Marketing und Werbewirtschaft beeinflussen Lebensstile; „Lifestyle“ kann auch nachhaltig sein, ohne skurril oder kauzig daherzukommen.

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