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Kultur

1. Juni 2019

Spannung das Elixier in der Vielfalt

Jean Luc's Gedanken und Gefühle seiner Collagen

Von Gilbert Holzgang

Jean Lucs Bild scheint realitätsnah, es ist aber kein Abbild einer isländischen Tourismuslandschaft. Im surrealen Zwischenreich ist es angesiedelt und lädt die Betrachter ein, über ihr eigenes Befinden in vielfältiger Weise nachzudenken: erwartet uns im Naturteich des Feriendomizils das Heil oder die Katastrophe? (Fotografie: Jean Luc Klaus G. Kohn)

Der Braunschweiger Künstler Jean Luc zeigt in seinen Collagen den Glanz der Stadt, die Farbenvielfalt der Landschaft, die Schönheit von Menschen. Und überrascht den neugierig Gewordenen mit Fremdem, Irritierendem, Bedrohlichem. In seiner „Landschaft in Rot“ von 2019 planschen Senioren genüsslich in einem Teich. Sie versprechen sich wohl Heilung im Wasser, das die schwefelgelbe Erde für sie bereithält.Sehen sie nicht das Monster, das, klein wie ein Fötus, hinter dem Vulkan am Horizont emporwächst? Hören sie nicht die alarmierenden rundfunknachrichten?

„Jede Collage ist Ausdruck einer Vielfalt!“…

… sagt Jean Luc. Seit dreißig Jahren entwickelt er seine Technik weiter. Mit dem Eifer des Sammlers greift er zur Schere, zerschneidet Fotografien aus Zeitschriften und Bildbänden in ihre Elemente und ordnet diese Impulsgeber zu späterer Kreativität in Mappen und Schachteln. Die Demontage als erster Schritt. Oder er legt gleich los mit dem Komponieren, spielt mit den Versatzstücken fotografierten Lebens und bändigt mit ihnen die Stille, die ihn umgibt.

Tradition und High Tech

Der Künstler vergleicht das Herstellen von Collagen mit der Arbeit traditioneller Maler, die mit Pinsel und Farbe hier etwas hinzufügen, dort etwas übermalen, Akzente verstärken, Gewichte verschieben oder Flächen zusammenziehen und Linien durch verschiedene Bauteile hindurch verlängern.

Je nach Thema und Kompositionsidee werden die Elemente in mühevoller Kleinarbeit hin und hergeschoben, ausgewechselt, neu zugeschnitten und fixiert. Schließlich werden die Collagen fotografiert und am PC weiterbearbeitet. Kaum je entsteht eine heile Welt.

Zusammenbringen, was nicht zusammengehört

Nach dieser Maxime komponiert Jean Luc seine Bilder. Das Nebeneinander von vertrauten und verstörenden Elementen, das er kreiert, verblüfft. Eine Collage lebt von den Spannungen zwischen den Elementen, Spannung ist das Lebenselixier von Vielfalt. Im Bild „Engpass“ taucht hinter einem vertraut scheinenden Mitteleuropäer ein weiß geschminkter Afrikaner übergroß auf. Wir beobachten die beiden Männer durch einen Engpass. Dem einen sind Betonwände farblich zugeordnet, dem anderen Tropenpflanzen – kann das gut gehen? Es kann, sagt der Künstler. Jean Luc ist französisch sprachiger Schweizer in norddeutscher Lebenswelt, er fühlt sich in ihr wohl, solange sie Vielfalt zulässt.

„Diese Räume zu bauen, ist schön“,

sagt er. Seine Bilder sind exakt strukturiert durch Parallelen, Diagonalen, Proportionen und durch eine zumeist enge Begrenzung des Farbenspektrums. Und doch ist „das Ganze ein Spiel, nichts weniger“, wie Samuel Beckett sagen würde. Ein lustvolles Spiel mit Schönheit, Freude und Liebe im strengen, nach thematischen, farblichen oder strukturellen Vorgaben gesetzten Rahmen. Räume zu schaffen, die auf den ersten Blick an solide Stahlbeton- und Glasbauten erinnern, bei näherem, einfühlsamem Betrachten aber einen Taumel erzeugen, liegt Jean Luc sehr.

Rausch oder Albtraum

Fokussiert man den Blick auf eine Stelle seiner Collagen, scheint alles klar zu sein: sicheres Terrain. Wandern die Augen einige Zentimeter weiter, wird einem schwindelig. Man stürzt wie im Albtraum in einen Abgrund oder wird von einem Sog in die Höhe gerissen. Das kann sich gut anfühlen, wie ein Rausch, ein Zauber, ein schöner Traum. Es kann sich aber auch das Gefühl von Verunsicherung einstellen.

Ein blasser junger Mann liegt an einem idyllischen See, tagträumend. Im Himmel über ihm: der gleißende Glanz einer Industrielandschaft. „Es lächelt der See, er ladet zum Bade, der Knabe schlief ein am grünen Gestade“, erzählt Friedrich Schiller im „Tell“. Doch der asketisch gekleidete Träumer sehnt sich nach dem Lichterzauber der Maschinenwelt: „The Show must Go on!“

Ausstellung

Viele von Jean Lucs Collagen sind Metaphern der Sorgen, die sich Menschen des 21. Jahrhunderts machen. Den Hochglanzfotos aus Architekturbildbänden, Fitnesswerbung und Lifestylemagazinen, die er als Rohmaterial für seine Collagen verwendet, ist nicht zu trauen. Die darin abgebildeten Menschen taumeln in den globalen Lochfassaden-Landschaften herum. Körpergestylte junge Männer werfen Hautschalen ab, sie fragmentieren oder collagieren sich selbst zu neuen Wesen. Das macht Jean Lucs Bilder zu wertvollen Statements über die heutige Zeit. Präsentiert werden sie im kommenden August in der Evangelischen Akademie Loccum.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 12 / Juni 2019.

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