Skip to main content

Lifestyle

26. April 2022

ERST KOMMT DAS SIEGEN, DANN DIE MORAL

Der Sport & das D-Wort

Von Christine Grän

(Fotografie: Unsplash/Jonathan Chng)

„No sports“, sagte Winston Churchill, der mit körperlicher Ertüchtigung ebensowenig im Sinn hatte wie sein Zeitgenosse Bertolt Brecht. Doch der wusste damals schon: „Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein.“

Das waren Zeiten, in denen die großen Doping-Skandale noch in der Ferne lagen. Substanzen zur Leistungssteigerung kannten allerdings schon die Olympiateilnehmer der Antike: Stierblut und -hoden, Alkohol oder Atropin, ein Wirkstoff aus der Alraunwurzel. Griechen und Römer griffen zu Mohn und Opium, und die Inka kauten Koka-Blätter, um weite Strecken zu laufen. Aus Südafrika stammt der Begriff "DOOP" – die Bezeichnung für einen Schnaps, der Kreislauf und Nervensystem anregt.

Den ersten offiziellen Dopingtoten gab es im Radsport: 1886 starb der Engländer Linton an einer Überdosis Trimethyl beim Rennen Bordeaux-Paris. Und von da an trat die Pharmaindustrie langsam, aber unaufhaltsam ihren Siegeszug im Sport an. Im Spitzensport vor allem, doch auch im Breitensport wird fleißig gedopt: Nahrungsergänzungsmittel, Anabolika und Wachstumshormone. Das ist nicht strafbar, aber dumm, weil gefährliche Neben- und Langzeitwirkungen in Kauf genommen werden.

Höher, schneller, weiter… in allen Disziplinen des Lebens messen wir uns an anderen – und natürlich wollen wir besser sein! Und was von Spitzensportlern heutzutage an Höchstleistungen gefordert wird, grenzt an Wunderglauben. Die Welt braucht ihre Superhelden, nicht nur im Kino. And the winner takes it all…

So viel Geld ist im Spiel. So viel Ruhm oder bittere Niederlage. Spitzensportler sind umringt von Managern, Trainern, Therapeuten, Ärzten, Funktionären … und eben diesem bösen D-Wort. Die leistungsfördernden Substanzen werden immer ausgefeilter und schwerer nachzuweisen. Doch jenseits von ‚Staatsdoping’ in allseits bekannten Ländern sollte von keinem Land der erste Stein geworfen werden. Der "ehrliche Sport"im Spitzenbereich, wir wissen es längst, ist eine Chimäre.

Aber wenn’s mal einen erwischt wie Lance Amstrong oder Jan Ulrich, die österreichischen Langläufer Baldauf und Hauke oder die Fussballer de Beer und Diego Maradona – ja dann schreien alle: Skandal, Skandal!

Dann schreiben die Journalisten über die Abgründe im Spitzensport, und die FIFA eilt sich zu beteuern, dass sie rund 30.000 Doping-Kontrollen pro Jahr durchführt, obwohl die pro Einheit doch 1.000 US-Dollar kosten. Für das Geld könnte ein FIFA-Funktionär schon mal ein Abendessen bestreiten. Aber darum geht es gar nicht, sondern um die Verlogenheit in Sport-Doping- und Zuschauerwelt. Alle sehen gern zu, aber auch gerne weg. Hauptsache, unser Mann steht auf dem Podest, unsere Mannschaft im Endspiel. Fairness im Sport? Leute, vergesst es. Es geht ums Gewinnen, sonst gar nichts. Und noch einmal der kluge Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Christine Grän

wurde in Graz geboren und lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong, bevor sie nach München zog. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt, die auch verfilmt wurden. Sie veröffentlichte unter anderem die Romane „Die Hochstaplerin“, „Hurenkind“ und „Heldensterben“. Zuletzt erschienen „Amerikaner schießen nicht auf Golfer“, „Sternstraße 24“ und „Glück am Wörthersee“ im ars vivendi Verlag.

Mehr aus dieser Rubrik





Zur Startseite