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Wirtschaft

5. Oktober 2021

Das Braunschweig Wolfsburg Sofa

Gesundheitsversorgung in der Region

Von Dr. Keese, Dr. Heuberger

Wie haben die Kliniken und Krankenhäuser unserer Region die (Corona-)Krise bewältigt? Wie steht es um die Gesundheitsversorgung der Region? Für den Stadtglanz trafen PD Dr. Dr. Eduard Keese und Dr. Christian Heuberger die Ärztlichen Direktoren Prof. Dr. Matthias Menzel (Klinikum Wolfsburg), Dr. Thomas Bartkiewicz (Städtisches Klinikum Braunschweig) sowie Prof. Dr. Karl-Dieter Heller (HEH, Braunschweig) zum Gespräch. Es ging um die aufgekommenen Schwierigkeiten während der Krise und um anstehende und bereits erfolgte Veränderungen der Patientenversorgung, um Fragen der Finanzierung, wie hierbei die Politik helfen kann und um einiges mehr.

1.Wie haben Sie die Corona-Krise überstanden und worin lagen die Schwierigkeiten?

Menzel: Das Klinikum Wolfsburg hat konsequent und frühzeitig ein umfassendes Hygieneregime etabliert, um die Versorgung aufrecht zu erhalten und Ausbrüche im Klinikums abzuwenden. Die Versorgung der an Corona Erkrankten ist immer möglich gewesen. In enger Kooperation mit unseren umliegenden Partnerkliniken, insbesondere dem Städtischen Klinikum, haben wir wenige Patienten auch einer extrakorporale Lungenbehandlung (ECMO) zugeführt, als letzte Möglichkeit der lebensverlängernden Intensivtherapie bei schwerster Covid-Lungenentzündung. Die Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung waren wichtig, die Kosten für das Hygieneregime, für die gedrosselten Versorgungsleistungen und Beschaffungsmaßnahmen hat das aber nicht vollständig aufgefangen. Das Klinikum Wolfsburg – wie auch viele andere Kliniken in Deutschland – rechnet daher mit einem deutlich negativen wirtschaftlichen Ergebnis für Jahr 2021.

Heller: Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie anfällig auch hervorragend laufende Systeme sein können. Gerade in unserem Bereich kam es zu eklatanter Verunsicherung unserer Patienten. Eine bis dato nie erlebte Situation und die übliche Routine mussten miteinander in Einklang zu bringen. Initial lagen die Schwierigkeiten sicherlich in der Unsicherheit begründet, was hier auf einen zukommt. Es wurden prophylaktisch acht Wochen lang alle nicht lebensnotwendigen Eingriffe unsererseits abgesagt, was natürlich im krassen Gegensatz zum Gewohnten stand. Danach bestand die Kunst darin, einerseits in Kooperation mit den anderen beiden Braunschweiger Krankenhäusern, sprich dem Städtischen Klinikum und dem Marienstift, eine optimale Versorgung der an Covid-19 erkrankten Patienten zwingend zu ermöglichen, andererseits aber dem Versorgungsauftrag wieder gerecht zu werden.

BARTKIEWICZ: Im Großen und Ganzen sind wir gut durch die bisherige Corona Pandemie gekommen. Wir haben durch eigene Kontakte Schutzmaterialien auf dem Weltmarkt eingekauft in einer Zeit, wo diese in Deutschland nur begrenzt zur Verfügung standen. Die Netzwerke und Unterstützungen der Stadtgesellschaft waren hier äußerst hilfreich. Mit Unterstützung des Textilunternehmer Friedrich Knapp konnten wir eine Luftbrücke nach Shanghai aufbauen und Jägermeister stellte 50.000 Liter reinen Alkohol zur eigenen Herstellung von Desinfektionsmittel in unserer Zentralapotheke zur Verfügung. Auch Kreativität war gefragt. Wir haben den Mangel an FFP-3- Masken ausgeglichen, indem die TU BS für uns Schutzvisiere hergestellt hat. Wir haben uns organisatorisch in jeder Pandemiewelle angepasst und waren zu jedem Zeitpunkt für die Region leistungsfähig. Eine enge und transparente Kommunikation mit den Beschäftigten ist uns durch unser Social-Intranet „myskbs“ gelungen. Ängste, Sorgen, Gerüchte und Fragen des Personals konnten dadurch schnell aufgegriffen und gelöst werden. Als Klinikum Braunschweig konnten wir nach Zulassung der Impfstoffe unser Personal Anfang des Jahres sehr zügig impfen. Das Impfangebot wurde durch unser Personal sehr positiv aufgenommen. Über 75 Prozent der Beschäftigten sind aktuell vollimmunisiert. Dies Zahl werden wir bis Oktober noch erhöhen. Seit August steigen die Infektionszahlen wieder schnell an. Betroffen sind davon fast ausschließlich Ungeimpfte im Alter zwischen 15 und 35 Jahren, wobei – wie im letzten Jahr auch - Reiserückkehrer zur Infektionsverbreitung beitragen. Ob dies zu einer ähnlichen Belastung des Gesundheitssystems führt wie im Herbst/Winter 20/21, lässt sich im Moment noch nicht abschätzen. Wirtschaftlich hat uns die Corona Krise sehr stark belastet. Wir waren in kurzer Zeit gezwungen, erhebliche Kapazitäten jeweils umzuwidmen und mussten immer die Notfallversorgung sicherstellen. Die Ausgleichszahlungen des Bundes haben uns als Maximalversorger in diesem Spagat deutlich benachteiligt. Die Pandemie ist eine Herausforderung für uns alle, vor allem unsere Beschäftigten, die sich hier ständig flexibel zeigen mussten, ist ein großer Dank auszusprechen.

2. Haben Sie den Eindruck, dass wir in der Krise und durch die Krise gelernt haben? Was hat sich verändert?

Menzel: Die Krankenhäuser sind Teil der Daseinsfürsorge und Teil der Katastrophenvorsorge einer Gesellschaft und haben daher eine besondere Aufgabe und Verantwortung in der Krise. Sie haben in hervorragender Weise mit ihrem Personal, ihrer technischen Ausstattung und ihrer Verfügbarkeit dazu beigetragen, dass die Corona-Krise in Deutschland nicht in eine humanitäre Katastrophe ausgeartet ist. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen dies sehr wohl wahrgenommen haben und sich mit gesundheitspolitischen Themen rund um die Krankenhausversorgung heute anders auseinandersetzen als noch vor 1½ Jahren.

Heller: Wir haben viel gelernt, insbesondere den bis dahin nicht bekannten Umgang mit einer Pandemie und einem unsichtbaren, anfänglich unbekannten Gegner. In Braunschweig haben wir gelernt, als Kliniken mehr zusammenzuarbeiten und uns gegenseitig besser zu unterstützen. Es gab eine Task Force initial mit fast täglichen Besprechungen, die uns als die drei Braunschweiger Kliniken und zum Teil auch stadtübergreifend aufgabenorientiert eng verbunden hat.

BARTKIEWICZ: Das erste Jahr war gekennzeichnet durch ein hohes Maß an gesellschaftlich gelebter Solidarität, auch wenn es die eine oder andere anderslautende Meldung gegeben haben mag. Aber eine demokratische Gesellschaft zeichnet sich eben dadurch aus, allen Meinungen ausreichend Raum zu lassen. Schwierig wird es immer dann, wenn Einzelne das Wohlbefinden vieler anderer Menschen einschränken wollen. Aktuell erleben wir dies an der Impfkampagne, wo nur noch zwischen Geimpften und Ungeimpften unterschieden wird. Dies birgt immer die Gefahr der Spaltung einer Gesellschaft. Ich bin aber sicher, dass dies am Ende vermieden werden kann. Ich denke, dass ich nicht überrasche, wenn ich sage, dass wir in den Themen Digitalisierung und Anpassung von Datenschutz in Pandemiezeiten noch Verbesserunsgbedarf haben, mit der Zielsetzung, mehr Lockdownszenarien verhindern zu können. Ferner würde ich mir die wissenschaftliche und weltweite Debatte wünschen, welche Maßnahmen haben geholfen und welche nicht und sind in Relation zu sozialen und wirtschaftlichen Schäden zu setzen. Denn zwei Dinge sind nach m.E. gesetzt, es wird nicht die letzte Pandemie sein und ein gleiches Vorgehen können wir uns sozial und wirtschaftlich und damit gesellschaftlich über einen gleichen Zeitraum nicht leisten.

3. Vor der Krise schlug die sogenannte Bertelsmann-Studie hohe Wellen, danach sollte ein erheblicher Teil der Klinikbetten gestrichen werden. Wie sehen Sie das, und ist unsere Region diesbezüglich gut aufgestellt?

Menzel: Ich gehe davon aus, dass die sogenannte Bertelsmann-Studie mit der Kernaussage, dass die Krankenhausversorgung strukturell zentralisiert werden muss und dass viele lokal versorgende Krankenhäuser deshalb umgewandelt werden müssen in andere Versorgungseinrichtungen, wie z. B. Rehabilitationseinrichtungen oder gar geschlossen werden müssen, dass diese Studie mit einer anderen Wahrnehmung nach Corona bewertet wird. Aber eine der Kernaussagen, dass die Qualität der medizinischen Leistung unter anderem daran gebunden sein kann, wie häufig ich eine Leistung erbringe, gilt weiter. Auch in der Krise haben wir lernen müssen, dass hochspezialisierte Intensivmedizin Expertise und Spezialisierung verlangt. Aber genauso haben wir gelernt, dass neben spezialisierten Zentren auch in der Fläche eine hochwertige Versorgung notwendig ist. Die Zentralisierung ist immer mit dem Risiko von Nadelöhr-Strukturen verbunden und eine orts- und zeitnahe Versorgung sind zwingend sicher zu stellen.

Heller: Deutschland hat im internationalen Vergleich eine sehr hohe Zahl an Krankenhausbetten, und es wird unterstellt, dass dort, wo ein Angebot ist, auch ein Bedarf geschaffen wird diese Diskussion läuft schon seit vielen Jahren. Das derzeitige Fallpauschalensystem, welches 2004 verbindlich eingeführt wurde, sollte genau dieses Problem zu lösen. Parallel dazu wurde aber eine große Privatisierungswelle gestartet und politisch akzeptiert, die genau das Gegenteil bewirkte. Krankenhäuser, die aus finanziellen Gründen hätten vom Netz gehen sollen, wurden von Klinikketten aufgekauft und damit am Markt gelassen. Somit haben wir in Deutschland immer noch eine hohe Zahl an Kliniken, viele davon mit einer geringen Bettenzahl. Eine Verbesserung der Versorgung gelingt nicht über Menge, sondern eher durch Fokussierung auf Qualität und regionales, zum Teil aber insbesondere auch überregionales Angebot. Somit müsste die Politik vielmehr über Mindestmengen und Qualitätsinitiativen lenken. Dies gelingt aber nicht in ausreichendem Maße, sodass letztendlich nicht über Qualität, sondern über die schlechtere finanzielle Bewertung der Fallpauschalen gesteuert wird, was die darbenden Klinken am Markt hält und der Qualität nicht dienlich ist. In unserer Stadt haben wir eine gesunde Kombination aus Maximalversorgern und spezialisierten Krankenhäusern.

BARTKIEWICZ: Die Kernaussage der Bertelsmann-Studie lautet, dass durch Konzentration der Krankenhausbehandlung die Qualität der Versorgung zu verbessern ist. Dazu ist es erforderlich, die vorhandenen Kräfte aufgrund des Fachkräftemangels zu bündeln, was insbesondere das erforderlich ärztliche und pflegerische Personal betrifft. Dazu gehört auch, die verbleibenden und notwendigen Krankenhäuser besser auszustatten. Die derzeitige nicht auskömmliche Krankenhausfinanzierung wird eine indirekte Strukturbereinigung zur Folge haben, d.h. ganz unabhängig seiner Wichtigkeit in der regionalen Versorgung werden Krankenhäuser wegen Insolvenz schließen müssen. Das ist nicht zielführend. Deswegen ist erst einmal entscheidend, welche Versorgungsrolle ein Krankenhaus in der Region einnimmt, um seine Wichtigkeit zu definieren. In Anlehnung an die Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat die Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) hierzu ein Zukunftsmodell bestimmt. Die AKG schlägt eine Differenzierung der Krankenhäuser nach drei Stufen vor, die sich anhand der Fachabteilungszahl und der Rolle in der Notfallversorgung unterscheiden würden. Die Verantwortung für diese Ausdifferenzierung würde beim Bundesgesetzgeber liegen müssen. Diese Ausdifferenzierung bestimmt dann eine bestimmte Anzahl an Krankenhäusern. Die duale Finanzierung ist eine wesentliche Ursache für die finanzielle Schieflage der Krankenhäuser. Es werden notwendige Krankenhausneubauten nicht ausreichend durch das Land, das dafür verantwortlich ist, finanziert. Daneben muss auch das Fallpauschalen-System, das die Kosten der Unterbringung und medizinischen Leistungen vergütet, weiterentwickelt werden. Dazu gehört beispielsweise die Vollfinanzierung der Notfallversorgung, die Kinder- und Jugendmedizin, die Geburtshilfe und hochspezialisierte Abteilungen, wie die minimalinvasive interventionelle Radiologie in der Schlaganfallversorgung. Es zeigt sich auch zunehmend, dass bestimmte in diesen Krankenhäusern erbrachte Leistungen in der Fallpauschalen-Matrix in der entsprechenden Kosten-Kalkulationsgrundlage nicht enthalten und somit auch nicht finanziert sind. Deswegen ist auch hier einer Forderung der AKG nachzukommen, durch eine fallunabhängige Strukturfinanzierung teure Kosten, die 24 Stunden an 365 Tagen vorgehalten werden müssen, dauerhaft und mengenunabhängig sicher zu stellen.

4.Der demografische Wandel – In Deutschland lebt die zweitälteste Bevölkerung in Europa – führt zwangsläufig zu höheren Kosten für die Gesundheit. Wie finanzieren wir das? Oder sehen Sie die Rationierung von Gesundheitsleistungen als Ausweg?

Heller: Bei allen Diskussionen haben wir dennoch in Deutschland ein hervorragendes Gesundheitssystem. Jeder Bürger kommt unabhängig von Einkommen und Versicherungsstatus an die Therapie, die er benötigt und das auch bis ins hohe Alter. Es gibt Länder, wo gewisse Indikationen durch Alter begrenzt werden, dies ist in Deutschland nicht der Fall. Die Kosten im Gesundheitswesen werden insbesondere auch mit immer moderneren Therapieverfahren, insbesondere auch am Beispiel der Onkologie und der Rheumatologie betrachtet, steigen. Um dies zu finanzieren, wird es unvermeidbar sein, die Krankenkassenbeiträge anzuheben. Die Alternative wäre, einen Teil der Grundversorgung aus Steuergeldern zu finanzieren. Hier sehe ich aber, insbesondere aufgrund des ungeheuren Schuldenberges durch die Corona-Krise, derzeit keinen wesentlichen Sinn. Es muss klar werden, dass für gute Medizin auch ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden muss.

Menzel: Im Jahr 2019 haben die gesetzlichen Krankenkassen rund 80 Milliarden Euro für stationäre Behandlungen in Deutschland ausgegeben. Im Jahr 2009 betrug diese Zahl rund 55 Milliarden Euro. Man sieht daran, dass tatsächlich der medizinisch-technische Fortschritt, der demografische Wandel in der Bevölkerung und letztendlich auch unsere Erwartung an das, was die deutschen Krankenhäuser leisten sollen, zu steigenden Kosten führt. In 10 Jahren wurde ein Gesundheitskostenreformgesetz nach dem anderen verabschiedet. Ich bin davon überzeugt, dass sich in den nächsten 10 Jahren die Krankenhauslandschaft nachhaltig ändern wird. Die Mechanismen der Mengensteuerung in Verbindung mit Qualitätssicherungsvorgaben werden gerade wirksam . Dies wird die Ausgaben für das deutsche Krankenhauswesen nachhaltig verringern oder den Kostenanstieg dämpfen. Das dänische Krankenhausstrukturmodell zeigt, dass man im Krankenhaussektor zwar die Bettenzahl und die Bettenaufstellung korrigieren und steuern kann, die Bevölkerung aber medizinische Leistungen braucht und die sie finanzieren. Die Zentralisierung und Spezialisierung werden keine Kostendämpfung hervorbringen.

BARTKIEWICZ: Eine alte Bevölkerung bedeutet nicht zwingend höhere Kosten für die Gesundheitsversorgung. Gesunde ältere Menschen verursachen keine Kosten, sondern sorgen durch Bezahlung von Krankenkassenbeiträgen sogar für mehr Geld in der Kasse. Weltweit werden unterschiedliche Wege beschritten mit mehr oder weniger großem Erfolg. Sicherlich gehört das deutsche Gesundheitswesen zu den „teuren“ Systemen, aber gemessen an der Wirtschaftskraft relativiert sich dieses. Laut dem aktuellen Gesundheitsbericht der EU sind die Gesundheitsausgaben für deutsche Krankenhäuser mit 28% die niedrigsten im Vergleich zu den EU-Staaten. (OECD/European Union (2020); Health at a Glance: Europe 2020, Seite 168 ff).

5. Sehen die Möglichkeiten, weitere stationäre Leistungen in die ambulante Medizin zu verlagern?

Menzel: Die Auslagerung in die ambulante Medizin hat in vielen Fällen eine Berechtigung. Die Behandlungsmethoden sind heute weniger aggressiv, die Möglichkeiten der ambulanten Versorgung sind deutlich verbessert.

Heller: Es wird gerade seitens der Gesundheitspolitik eine Ambulantisierungswelle geplant. Es wird überprüft, welche Leistungen zukünftig ambulant durchgeführt werden müssen. Für die ambulant durchzuführenden Operationen wird der ambulante und stationäre Sektor gleichgeschaltet. Somit bekommen die Kliniken für Operationen, die sie jetzt noch stationär durchführen, trotz hoher Vorhaltekosten, deutlich weniger Geld, was die Krankenhauslandschaft enorm belasten wird. Dies ist, neben den Pflegepersonaluntergrenzen, ein weiterer Ansatz der Politik, Krankenhausbetten abzubauen.

BARTKIEWICZ: Sicherlich bestehen vielfältige Möglichkeiten, bislang stationär erbrachte Leistungen zukünftig ambulant zu erbringen. Das ist der Zukunftstrend. Dazu muss aber auch über die Sektorengrenze, wie schon erwähnt, nachgedacht werden. Solange die Vergütung für stationäre Leistungen komplett anderen Regeln folgt als im ambulanten Bereich wird diese Möglichkeit nur sehr schwer am tatsächlichen Bedarf ausgebaut werden können. Hier ist eine grundsätzliche politische Richtungsentscheidung erforderlich, ansonsten überlässt man den Beteiligten mit unterschiedlich ausgerichteten, auch finanziellen Interessen das Feld. Hier ist die Forderung nach einer sektorenübergreifenden Bedarfsplanung zu wiederholen.

6. Sehen Sie noch Chancen, einen universitären/klinischen Campus in der Region zu etablieren?

Menzel: Wir haben seit etwa 15 Jahren ein Defizit von ca. 30% an Medizinstudienplätzen gemessen am Arztbedarf. Die Politik hat das lange Zeit völlig ignoriert und wir haben deshalb einen der größten Personalengpässe im Nachwuchsbereich der Ärzte in Deutschland denn je. Ich bin überzeugt, dass der Handlungsdruck auf die Verantwortlichen in der Politik und an den Medizinischen Fakultäten groß genug ist für konkrete Lösungen. Dazu sollten auch die Ausbildungskapazitäten großer, nicht-universitärer Krankenhäuser genutzt werden. Gleichzeitig müssen die universitären Kapazitäten der prae-klinischen Medizinerausbildung wachsen. Daher glaube ich, dass die großen Krankenhäuser in Niedersachsen Angebote erhalten werden, ein Medizinischer (Teil-)Campus zu werden.

BARTKIEWICZ: Ich werde mich, solange ich Verantwortung im Klinikum Braunschweig und damit auch für die Region trage, weiterhin aus Überzeugung für einen universitären Campus einsetzen. Es gibt weiterhin – unbestritten - zu wenig ärztlichen Nachwuchs. Wir werden in eine erhebliche Versorgungslücke steuern, wenn wir hier nicht gegensteuern. Die Voraussetzungen in Braunschweig mit uns als Maximalversorger, der Technischen Universität und den vielen Forschungsinstituten wie beispielsweise Fraunhofer, HZI und PTB können als Standort nicht besser sein. Ausbildung von medizinischem Nachwuchs ist Absicherung der medizinischen Daseinsvorsorge und somit Zukunftssicherung. Dies sichert u.a. weiterhin die Attraktivität der eigenen Heimat. Wenn es politisch gewollt und finanziell vernünftig ausgestattet ist, bin ich mir sicher, wird es eine breite Mehrheit geben, dies auszugestalten. Hier gab es schon eine Menge an erledigter Vorarbeit. Wir stehen parat.

7. Was würden Sie sich von der Politik erhoffen (drei Wünsche), und lassen sich diese Wünsche auch umsetzen?

Menzel: Ich wünsche mir, dass 1.die Gesundheitspolitik auch weiterhin, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene, einen hohen Stellenwert hat und die Politik nicht vor notwendigen Reformen zurückschreckt. Auf der Grundlage guter Analysen sollen ehrliche und transparente Konzepte zur weiteren Landeskrankenhausplanung in den Ländern erarbeitet werden. Die Verknüpfung von Qualitätssicherung, Wirtschaftlichkeit und Strukturanforderungen durch die Gremien auf Bundeseben sollen nicht für eine „Herunter-Regulierung“ des Krankenhaussektors genutzt werden. Krankenhausschließungen „durch die Hintertür“ mit intransparenten Beschlüssen zur Strukturqualität oder zur Refinanzierung sind verwirrend, langwierig und führen im Ergebnis in hoher Zahl zu falschen Ergebnissen. 2. die Entwicklung der Krankenhauslandschaft hin zu hochspezialisierter Medizin am Zentrum durch Konzentration solcher Leistungen und gleichzeitig zu Sicherstellung einer hochwertigen akutmedizinischen Versorgung in der Fläche geht. 3. einen stärkeren Einfluss der Deutschen Krankenhausgesellschaft, insbesondere im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) und den Institutionen zur Politikgestaltung. Alle 3 Wünsche halte ich für realistisch und umsetzbar.

Heller: 1. Ich wünsche mir mehr Ehrlichkeit und klare Worte zu dem, was geht und was nicht, und weniger ein Lavieren um unpopuläre Aussagen, die aber zum Teil getroffen werden müssen. 2. Gute Medizin muss adäquat bezahlt werden, deswegen brauchen wir eine Orientierung an Qualität, und wir brauchen Mindestmengen in vielen Bereichen der elektiven Medizin, um so die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Qualität bedarf aber auch der Berücksichtigung einer adäquaten Risikoadjustierung. 3. Nicht die aktuelle Einsparung darf das Maß aller Dinge sein, sondern das langfristig gute Ergebnis. Beispiel Endoprothetik: Das Fallpauschalensystem ist so konzipiert, dass Sie nur ein Plus oder eine schwarze Null machen können, wenn Sie Kosten unter dem Durchschnitt aller kalkulierenden Krankenhäuser haben, somit insbesondere auch preiswert einkaufen. Dies führt in einzelnen Kliniken dazu, dass nicht die hochwertigsten Endoprothesen eingebaut werden, was zwangsläufig langfristig eine schlechte Qualität bedingt. Dies kann nicht im Sinne des Systems sein. Ziel muss es sein, langfristig hohe Qualität zu liefern.

BARTKIEWICZ: 1. Von der Bundespolitik eine grundsätzlich auskömmliche Finanzierung aller notwendigen Versorgungsstufen sowie Anreize zur regionalen kommunalen Verbundversorgung. Alles andere wird zur Folge haben, dass medizinische Versorgung in Deutschland zur Mittelmäßigkeit verrutscht. 2. Von der Landespolitik eine auskömmliche Baufinanzierung notwendiger und alternativloser Krankenhausneubauten, um zeitgemäße Medizin leisten zu können. 3. Von der Kommune nach der Kommunalwahl weiterhin eine klare Zusage zur kommunalen Krankenhausversorgung. Alles drei ist machbar, wenn stärker am Bedarf und anhand von Zentren geplant werden würde. Dies hätte aber sehr wahrscheinlich eine Abkehr von der politischen Krankenhausplanung zur Folge.

Fazit

PD Dr. Dr. Eduard Keese (MKG KEESE) und Dr. Christian Heuberger (AugenZentrum Wolfsburg) – beides Beiräte der Service-Seiten Gesundheit (www.service-seiten.com) – führten für den Stadtglanz das Gespräch und interpretieren die Ergebnisse in einem Fazit wie folgt: „Wenn wir nun zusammenfassen, hat sich unser Gesundheitswesen hier in der Region dank des großartigen Engagements aller Beteiligten sehr gut durch die Corona-Krise manövriert. In der Patientenversorgung führte vor allem die Verunsicherung der Menschen zum Stocken der planbaren Eingriffe. Die Verwaltungen konnten so manchen Engpass durch die sehr gute regionäre Vernetzung umschiffen. Die Corona-Krise hat natürlich den ohnehin schon bestehenden Kostendruck erheblich verschärft und strukturelle Probleme gnadenlos aufgezeigt. Die Frage der Finanzierbarkeit der Medizin allgemein und des Krankenhauswesens im Speziellen verlangt einen gesellschaftlichen Konsens und steht auf dem Prüfstand. Der Stellenwert einer sehr guten medizinischen Versorgung ist sehr hoch in unserer Bevölkerung und ein Aushängeschild unseres Landes. Damit ist die Politik aufgerufen, über die Grenzen der eigenen politischen Ansicht hinaus langfristig tragende Lösungen zu erarbeiten, die zukunftsfähig sind. Das Fallpauschalensystem, die Finanzierung des Gesundheitswesens und die Abstimmung von ambulanten und stationären Behandlungen sind kritisch zu hinterfragen. Schließlich haben wir aus der Corona-Krise gelernt, dass nur die schnelle Anpassung an eine veränderte Situation das Überleben sichert. Daran arbeiten wir gern.“

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