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Lifestyle

20. September 2022

Amsterdam

Die verbotene Stadt

Von Susanne Meyer

Weiter als in die Terminals von Schiphol hatte ich es bisher noch nicht geschafft. Doch an diesem Pfingstwochenende sollte es nun das erste Mal weiter als bis zum Flughafen der niederländischen Hauptstadt gehen. Mitten hinein in den Trubel der holländischen Metropole. Mitten in das Herz von Käse und Tulpen, Grachten und Windmühlen.

Lässige Eleganz – so mein erster Eindruck beim Schlendern durch die Gassen, an den Grachten. Ich lasse mich treiben. Laufe durch Einkaufsstraßen, vorbei an abertausenden meist schwarzen Hollandrädern. Senioren, Studenten, Mütter mit Babyschalen, Männer mit Bierkästen – beinahe hat man das Gefühl, sie alle fahren mit dem Rad aus einer längst vergangenen Zeit. Die wenigen anderen hingegen nutzen Elektro- oder Hybridautos. Ladestationen finden sich neben den Fahrradständern in vielen Straßen.

 So ist es auch nicht verwunderlich, dass auf der Nobelmeile neben Couture Läden, Geschäften für Handtaschen mit und ohne Initialen, der Autobauer aus Palo Alto vertreten ist.

Ich gehe weiter stadteinwärts. Die Gassen werden enger, die alten Backsteinhäuser schmäler und höher.

Und plötzlich ist er da. Dieser Duft. Süß. Penetrant. Man kann ihm nicht ausweichen.

Coffeeshop an Coffeeshop.

Nicht die dunklen, abgewrackten Kneipen wie ich sie mir vorgestellt habe. Gastronomie. Gemütliche Cafés, urige Lokale, schicke Szene-Läden – meist mit Tischen vor der Tür oder biergartenähnlicher Bestuhlung.

Und dort sitzen Gäste jeden Alters und rauchen einen Joint.

Mit der allgegenwärtigen Lässigkeit dieser Stadt schiebt eine junge Mutter ihren Kinderwagen spazieren; ein Schlipsträger im dunklen Anzug geht rein und lässt sich beraten; nur ein paar junge Männer, kichern verschmitzt als sie die Stufen zum Geschäft hinaufgehen – es sind Deutsche – ein Junggesellenabschied.

Die Auswahl ist beeindruckend. Marihuana in diversen Stärken und Preisklassen und Haschisch in unterschiedlichen Farben. Zum Chillen, zum Lustigwerden, Aufputschen oder Entspannen. Gras zum dort Rauchen, Cannabis to go und sogar für die weniger fingerfertigen als perfekt gedrehter Joint bereits vorbereitet. Nur mit Tabak geht das dort nicht. Das erlauben die strengen niederländischen Nichtrauchergesetze nicht.

Ein Stück weiter die Straße hinunter gerate ich in das wilde Treiben des Waterlooplein Flohmarktes. Ein bunter Markt, an dem täglich hunderte Stände zum Bummeln einladen. Fisch und Nüsse, Antiquitäten und Trödel. Allerlei Kuriositäten in dem Gewühl am Rathaus. Doch zwischendrin scheint auch hier alles verwegener als in anderen Städten. Und das sind längst nicht mehr die Passanten mit einem Joint in der Hand – an die hat man sich schnell gewöhnt. Es ist die Frau, die sich ohne Vorhang in das gewählte Second-Hand-Kleid zwängt (und nichts drunter hat) und es ist vor allem das Sortiment einiger Marktstände. Lack und Leder, Strapse und Corsagen. Und diese Tische mit einschlägigem Fetischangebot.

Vorbei an bezaubernden Cafés, stylischen Jeansshops, edlen Restaurants, kitschigen Souvenirläden, noblen Sexshops und Hot Dog Buden schlendere ich zurück zum Hotel. Das Übernachtungsangebot in der Stadt ist überwältigend. Vom blauen Hausboot in dem Bono von U2 schlief, über das Waldorf Astoria vor dem der Portier auch bei sommerlichen Temperaturen ein Woll-Cape und Melone über dem feinen Zwirn trägt bis hin zum ultramodernen Studentenhotel, das andernorts seinesgleichen sucht. Eines haben sie jedoch gemeinsam: Fahrradständer. Im Hilton stehen sogar Dutzende Hollandräder in der Lobby. Befremdlich. Aber holländisch.

Und noch etwas ist den ganzen Hotels gemein. Sie sind buchbar über booking.com – soweit nichts Ungewöhnliches…bis man einen Amsterdamer ganz stolz erzählen hört, wie zwei Studenten mitten in Amsterdam seinerzeit diese Buchungsplattfform entwickelten.

Für den Ausklang des Tages habe ich mich für die die SkyLounge entschieden. Nicht so hoch wie in anderen Städten, nicht so versnobt. Aber nicht minder chic und ein herrliches Gefühl mit einem Glas in der Hand in die Lichter dieser lässigen Stadt einzutauchen. Der Barkeeper war sicherlich bei Tom Cruise in der Lehre, die Bedienung ist aufmerksam, sympathisch und vom Fach und ihre Kollegin stellt unauffällig kleine „Reserviert“-Schilder auf die Tische, wenn man auf die Dachterrasse rauchen geht. Hier natürlich AUCH Zigaretten.

Mein nächster Tag soll der Geschichte und Kultur gelten. Soll…

Vor dem Anne-Frank-Haus stehen, genauso wie vor dem Van-Gogh-Museum viele Touristen, die nicht wussten, dass man Eintrittskarten ausschließlich online buchen kann. Für das Pfingstwochenende natürlich längst ausgebucht.

Mit Ticket kommt man Vincent van Gogh und seinen Werken ganz schnell ganz nahe. Der Einlass ist unkompliziert und auch hier sind, wie allerorts in der Stadt, die Menschen entspannt.

Zwei Stühle, Dutzende Portraits und 15 Sonnenblumen später ist es Zeit für ein spätes Frühstück. Direkt vis-á-vis des Museums stoße ich auf das „Blushing“. Ein Glücksfall! Charmante Kellner und Kellnerinnen, ein geschmackvolles Ambiente, und eine Gemütlichkeit, die zum Verweilen einlädt. Kreidetafeln und Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden, üppiger Stuck an der Decke gepaart mit modernen Lampen, die für angenehmes Licht sorgen. Die Speisen sind beinahe Schnäppchen, aber dennoch fast der gehobenen Küche zuzuordnen. Ich wähle „Eggs bedictus et spiritus sancti“ – Poschierte Eier mit der dazugehörigen Sauce Hollandaise, hier aber zusätzlich mit Lachs und Avokado.  

Das Museumsviertel mit Rembrandt, Vermeer und van Gogh wirkt auf Touristen, Künstler, Intellektuelle und Studenten wie ein Magnet. Doch in all dem Überfluss an großen europäischen Werken finden die meisten Zeit, sich auf die Grünflächen zu legen oder auf Bänke zu setzen und zu entspannen. 

Ich möchte dies lieber auf dem Wasser tun. Buche eine Tour mit einem eher kleinen Boot. Der Kapitän ist freundlich und wartet auf die, die noch zur Toilette müssen. Sein Boot ist groß genug für etwa 20 Passagiere. Es gibt eine Bar, Snacks und an Bug und Heck Matratzen zum Hinlegen. Eine Gruppe junger saarländischer Frauen ist in Partystimmung. Sie feiern einen 30. Geburtstag. An Bord bekommt sie überraschend von einem der Passagiere einen Joint geschenkt. Bedankt sich und fragt fachkundig nach der Sorte. Ein Pärchen aus England scheint fasziniert von der Stadt. Kommentiert mit „Ahs“ und „Ohs“ alles, was uns gezeigt und erklärt wird. Ein anderes Paar gibt sich der romantischen Stimmung auf den Grachten hin und ist ganz beseelt und verliebt. Jeder kommt auf seine Kosten. Keiner fühlt sich gestört – selbst die Touris aus anderen Ländern sind offensichtlich längst von der Lässigkeit Amsterdams angesteckt.

Und vom Wasser aus wirkt die Metropole noch bezaubernder. All die dunklen Häuser mit ihren hellen Fenstern. Die üppigen Blumentöpfe. Versteckte Balkone. Die kleinen Brücken.

Als wir festmachen will keiner so recht von Bord. Und erst da fällt mir auf, dass man sowohl Fahrt als auch Getränke noch gar nicht bezahlen musste. Ganz gemütlich wird nun kassiert. Für 15 Euro war das eine wertvolle Stunde mit tiefen Einblicken in die Innenstadt.

Entlang des Kanals – nun wieder per pedes – sind die Tische vor den Kneipen, Coffeeshops und Bars überfüllt. Die Hitze eines hochsommerlichen Tages lässt auch kaum etwas anderes zu als es sich im Schatten gemütlich zu machen.

Viel zu schön ist die Stadt, um von Museum zu Museum zu jagen; viel zu pittoresk ist jede Straße, um durch zu laufen, nur um Sehenswürdigkeiten zu suchen; viel zu gemütlich sind all die Plätze, auf denen man auf so angenehme Art mit den Einheimischen ins Gespräch kommt, um sie für Madame Tussauds oder die Heineken Brauerei zu umgehen.

Also lasse ich mich weiter einfach treiben. Verzichte auf Tulpen und Käse. Brauche aber auch nicht das vielfältige Angebot aus Sexmuseum, Erotikmuseum oder geführte Touren durch das Rotlichtviertel.

Mein Abend hingegen soll schon noch etwas Abgefahrenes werden. Durch Zufall stoße ich bei der Reiseplanung auf den Supperclub. Habe für dort also einen Tisch reserviert. Um genau zu sein: ein Bett. Denn das ungewöhnliche Ambiente besteht dort aus weißen Liegen in faszinierender Atmosphäre. Eine Halle wie ein viktorianisches Schwimmbad (ohne Wasser). Atemberaubend beleuchtet. Serviert wird ein Fünf-Gänge-Menü. Dazu wurden „mitreißende Musik und provokative Darbietungen“ versprochen. Und das Versprechen wird gehalten.

Und ich verspreche mir spätestens jetzt, dass ich wiederkomme, nach Amsterdam. Die Hauptstadt der Niederlande. Die Hauptstadt der Lässigkeit. 

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