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Lifestyle

5. Juli 2024

Mikrobiom

Die unterschätzte Welt im Innern unseres Körpers

Von Dr. Andreas Biller

(Foto:AdobeStock / 9dreamstudio)

Wissenschaftler finden gerade neue Antworten auf die Frage des Philosophie-Bestsellers „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“. In und auf unserem Körper tummeln sich geschätzt etwa 1,5-mal mehr Zellen als der menschliche Organismus Zellen hat und das sind immerhin etwa 37,2 Billionen (3,72 × 10¹³). Sie enthalten ein Genom, das ungefähr 150-mal mehr Gene umfasst als das menschliche Genom. 

Das menschliche Mikrobiom umfasst Bakterien, Viren, Pilze und andere Mikroorganismen, die vor allem im Darm, aber auch auf der Haut, in der Mundhöhle und an anderen Schleimhäuten leben. Allein die Bakterien sind mit mindestens 500 bis 1000 verschiedenen Spezies vertreten. Da wird der Homo sapiens schnell zur Minderheit auf dem Bazillen-Mutterschiff.

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis der Wissenschaft über das menschliche Mikrobiom dramatisch erweitert. Diese komplexe Gemeinschaft von Billionen von Mikro-
organismen, die unseren Körper besiedeln, spielt eine wesentliche Rolle für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden.  Es besteht eine Feinabstimmung zwischen Mensch und Mikroben, die sich in Jahrmillionen entwickelt hat.

Funktionen des Mikrobioms

Das hochkomplexe System hilft bei der Verdauung und der Synthese von Vitaminen, wie Vitamin K- und B-Vitaminen, und spielt eine entscheidende Rolle im Immunsystem. Mikrobiome unterstützen die Entwicklung und das Funktionieren des Immunsystems, indem sie es trainieren, zwischen harmlosen und schädlichen Mikroben zu unterscheiden. Zudem produziert das Mikrobiom kurzkettige Fettsäuren, die entzündungshemmende Eigenschaften besitzen und die Integrität der Darmbarriere unterstützen. Löcher in der Darmbarriere werden als „leaky gut“ bezeichnet und gelten als mögliche Ursache für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.

Mikrobiom und Krankheiten

Störungen im Mikrobiom, auch Dysbiosen genannt, werden mit einer Vielzahl von Krankheiten in Verbindung gebracht. Dazu gehören entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, aber auch systemische Erkrankungen wie Adipositas, Typ-2-Diabetes und sogar neuropsychiatrische Störungen wie Depressionen und Autismus. Wissenschaftler sprechen von der Darm-Hirn-
achse, die unser psychisches Wohlbefinden beeinflusst.

Therapeutische Ansätze

Die Erkenntnisse über das Mikrobiom haben zu innovativen therapeutischen Ansätzen geführt. Eine der unappetitlichsten und deshalb wohl auch der bekanntesten Therapien ist die fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT), die bei der Behandlung von rezidivierenden Clostridium difficile-Infektionen erhebliche Erfolge gezeigt hat. Hierbei werden Stuhlproben von gesunden Menschen auf Kranke übertragen.

Doch es geht auch leichter und ohne die Hilfe eines Therapeuten: Auf dem Markt befinden sich verschiedene Arzneimittel und noch mehr Nahrungsergänzungsmittel, denen eine positive Wirkung auf das Mikrobiom zugeschrieben wird. Das Angebot ist für Laien aber kaum noch überschaubar. 

Sicher ist, dass das Mikrobiom durch die Zusammensetzung der Nahrung entscheidend beeinflusst wird. Einseitige und vitaminarme Kost führt zu einem Artenschwund mit negativen Auswirkungen auf die Darmgesundheit. Ballaststoffe und Pflanzenfasern finden die „Kleinen“ hingegen super. Und obwohl einige der Mikros selber Vitamine herstellen können, sind andere wieder auf die Zufuhr von Vitaminen angewiesen. In Studien konnte gezeigt werden, dass durch die gezielte Versorgung des Dickdarms mit Vitamin B2, die gesunden Mikroorganismen gesteigert werden konnten. 

Früher glaubte man, dass durch die Gabe von in Kapseln enthaltenen lebenden Bakterien eine Wiederaufforstung, z.B nach einer Antibiotikatherapie, stattfinden würde. Inzwischen hat man eine deutlich differenziertere Vorstellung vom Wirkmechanismus der Präparate. 

Es gibt Präbiotika, Probiotika und Postbiotika:

Präbiotika sind alle Stoffe, die die guten Bakterien gern haben und sie wachsen lassen. Von den Probiotika gibt es eine Vielzahl verschiedener Spezies, die sich wieder in verschiedene Stämme einsortieren lassen. Manche leben noch, andere wurden bereits vor der Einnahme abgetötet. Einfacher wird es bei den Postbiotika. Das sind im Wesentlichen die Stoffe, die von den guten Mikroorganismen gebildet werden oder in ihnen enthalten sind. Diese Inhaltsstoffe fördern ebenfalls unsere Darmflora.

Weder für den staunenden Laien noch für den sich wundernden Fachmann ist es leicht, das richtige Präparat zu wählen. Die Hersteller dürfen für Nahrungsergänzungsmittel nicht mit krankheitsbezogenen Aussagen werben und auch zur Gesundheit nur wenig sagen. Mein Tipp: Erlaubt ist die Erwähnung von Studien und die geben eine gute Orientierung, ob und wogegen ein Präparat hilft.

Den genauen Wirkmechanismus der probiotischen Präparate kennt man bisher nicht. Es scheint, als würde der Körper bzw. das Mikrobiom durch die externe Gabe der Prä-, Pro- oder Postbiotika einen Anstoß bekommen. Zu unwissenschaftlich? Duschen Sie manchmal kalt?

Zukünftige Forschung

Haben Sie auch die Zukunftsfolgen über die Berliner Charité im Fernsehen gesehen? Hier wurde eine fiktive Wissenschaftlerin für ihre aufklärenden Arbeiten zum Verständnis des menschlichen Mikrobioms ausgezeichnet. Nach meiner Einschätzung eine sehr wahrscheinliche Science Fiction.

Die Mikrobiomforschung steht noch am Anfang. Zukünftige Studien werden wahrscheinlich neue Erkenntnisse über die komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Mikrobiom und dem menschlichen Wirt liefern. Insbesondere die Entwicklung von individualisierten Mikrobiom-Therapien könnte revolutionäre Ansätze für die Prävention und Behandlung von Krankheiten bieten. Die Mikroben in uns sind mehr als nur stille Mitbewohner – sie sind aktive Partner in unserem biologischen Schicksal. Seid gut zu Eurem Mikrobiom!

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