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Lifestyle

12. Mai 2021

Livin’ la vida lockdown.

I got a feeling

Von Maximilian Burkhardt

(Fotografie: AdobeStock_olkita)

Natürlich kann man es machen wie viele zurzeit in dieser nicht enden wollenden Pandemie: Schimpfen. Schimpfen auf die Politik, auf den Staat, auf verwirrende oder seltsame Maßnahmen, auf das Impf-Chaos, auf den Lockdown oder seine Härte. In den meisten Fällen tut man das wohl auch zu Recht, auch ich tue das - man kann stattdessen aber auch: einfach machen. Dass das nicht unbedingt leicht ist, weiß ich selbst - doch alles der Reihe nach.

Husten, wir haben ein Problem.

Es ist Ende März 2020. Die Clubs, Bars und Restaurants sind geschlossen und ich ohne Arbeit: Schließlich waren ab diesem Moment Event- oder Club-Manager, DJs oder Grafiker für Veranstaltungswerbung nicht mehr von Nöten. Viel gravierender: Das Virus ist in Deutschland so richtig angekommen.

I got a feeling - (whoohoo) - that tonight could have been a good night. Ist aber nicht.

Da saß ich nun. Zu Hause. Ausgeschlafen. Sogar am Wochenende. Arbeitslos.Irgendwie verwirrt, aber auch vorsichtig entspannt. Nach einem Wochenende im Nachtleben sind Körper und Geist normalerweise völlig heruntergefahren. Bis ich mich vom Wochenende erholt hatte und fürs Tagesgeschäft und Alltagsdinge wieder bereit war, vergingen einige Tage und dann war auch sehr schnell schon wieder Donnerstag oder Freitag und es ging von vorne los. Dieser Kreislauf, den ich über alles liebe, wurde für mich aber auch zu einem Hamsterrad, das die Energie für Kreativität und andere Projekte oder Ideen ausgebremste, in dem ich kaum dazu kam, mir Gedanken über etwas Anderes als Disco im weitesten Sinne zu machen.

In Virus Veritas.

Nach etwa zwei Wochen Lotterleben und ausgeprägtem Tages-Alkoholismus im Anfangsstadium mit der besten Freundin von allen und meiner wieder entdeckten Playstation musste ich unter Langeweile bedingtem Marihuana-Einfluss eingestehen: Das hältst Du nicht aus! Eine (erzwungene) Auszeit tat gut, aber ohne konkrete Aufgabe oder Tätigkeit, für die ich brenne, kann ich nicht existieren. Also starteten wir im Brain als einem der ersten Clubs in Deutschland mit einem Streaming-Angebot, später mit einem Getränke-Lager-Sale und Soli-Bekleidung. Die Spenden-Bereitschaft und Solidarität waren überwältigend und irgendwie rührend. Bei jedem Jutebeutel mit Brain-Aufdruck, den ich in der Stadt sehe, wird mir ein bisschen warm ums Herz.

It was all a Stream?

Es folgten Streams aus dem The Lindbergh Palace, bei dem wir den Erlös der Seenotrettung spendeten, ein großer Meilen-Stream mit allen Clubs des Viertels, für mich DJ-Einladungen zum Stream vom Soldekk, aus The Deans Drink Factory und sogar aus Hamburg und Hangover - alles toll, alles ein Stück Normalität ins Wohnzimmer gesendet. Ich bin sehr dankbar dafür und doch hätte ich nichts lieber getan, als vor einer schwitzenden Menge auf dem Tanzflur Musik aufgelegt. Und es kommt ja immer anders.

Hätte, hätte, Infektionskette.

Irgendwie haben wir ja alle darauf gehofft, dass das alles schnell vorbei geht. Wie wir heute wissen. ist es so nicht gekommen und ich musste mich existenziellen Sorgen stellen, um auch kurzfristig meine Miete zahlen und meinen Kühlschrank füllen zu können. Auch mein geliebter Sommer-Arbeitgeber, das Festival Theaterformen, konnte „nur“ eine den Umständen entsprechend bravouröse Pandemie-Version veranstalten, mein Arbeitsbereich, das Festival-Zentrum, fiel selbstverständlich aus.

Ich telefonierte also rum und bekam die Chance, mir einen Lebenstraum zu erfüllen: Ich eröffnete einen Kiosk in einer kleinen Holzbude am Heinrich im Stadtpark (vielen Dank noch mal!), verkaufte im Bademeister-Outfit mit Polo-Hemd und Adiletten, kalte Getränke, guten (!) Kaffee, Saft-Slushy und manchmal mit Glücksrad Süßigkeiten an die nach Bewirtung lechzende Bevölkerung. Nicht wirtschaftlich, aber schön!

Am Wochenende half ich, Disco erfahren, an Stadtstrand-Eingängen als Sicherheitsmensch aus, schrieb unter der Woche Artikel für die Service-Seiten über Zahnärzte. Hielt mich über Wasser, war enttäuscht über nicht ankommende Hilfen, aber immer auf Trab, immer mit dem Blick nach vorne und sah mich plötzlich mit der in mir gärenden Frage konfrontiert, ob ich nach Corona so weitermachen möchte. Schließlich wird man ja nicht jünger und es wollen Bäume gepflanzt, Kinder gezeugt und Häuser gebaut werden…

Die Zahlen steigen, außer auf dem Konto.

Dass Disco, wie wir es kennen, auf unbestimmte Zeit nicht möglich sein wird, war recht früh klar - ganz ohne Prophet zu sein. Auch wenn ich einst Darstellendes Spiel studierte und vor sowie während des Examens vor allem in Theater- oder Film-Kontexten tätig war, arbeitete ich stets in der Gastro, organisierte Konzerte im Nexus und fand ab 2014 meinen Platz im Nachtleben.

Aber zurück zum vergangenen Jahr: Während die Infektionszahlen zum Ende des Sommers weiter stiegen, beschloss ich einen Neuanfang. Also einen halben. Raus aus dem nicht existenten Nachtleben, hinein in die „normale“ Gastronomie und einen Event-Bereich, der gegen 01:00 Uhr endet, also zu der Zeit, zu der es im Brain langsam voller wurde: Ich heuerte im StegHaus an, einem der schönsten Orte zum Arbeiten, die man sich in Braunschweig wünschen kann.

Auf Rechnung arbeitend war ich glücklich, konnte freiberuflich Grafik-Aufträge vom einrich, der Stadt Braunschweig oder anderen annehmen und tun, was ich am Liebsten mache: Gestalten, mit tollen Menschen zusammenarbeiten und dazu beitragen, dass Gäste eine gute Zeit haben.

Nebenbei wurde das Eulenglück zur schmucken Bar mit Beats&Burgers gestaltet und wir renovierten als Lindbergh-Team den Club zur Late Night Bar. Corona-konform, aber wenigstens mit ein bisschen Disco-Feeling.

Phantastische Protestierwesen und wo sie zu finden bzw. Inzidenzer in the dark.

Nach dem Sommer kam der Herbst. Die Corona-Zahlen stiegen. Die Gastronomie fiel, wie so vieles andere ebenso, dem Virus bzw. dem Lockdown zum Opfer. Kurzerhand bauten wir vorm StegHaus eine sofort stark frequentierte Hütte, mit Poffertjes und Glühwein to go, auf. Kurz darauf am Heinrich Stände mit Süßem, Knödeln, Burgern, Tee und natürlich Glühwein zum Mitnehmen, ehe der Verkauf alkoholischer Getränke im offenen Behältnis pandemiebedingt untersagt wurde. So war ich selbst wieder auf dem Boden der Tatsachen, nämlich geringem Einkommen und mangelhafter Unterstützung (wäre ich doch eine Fluggesellschaft!) seitens des Staates angekommen. Kritische Stimmen wurden lauter und die Masken fielen.

SARS-CoVid-19, you really changed my life.

Aber nicht zum Schlechten. Die vergangenen 12 Monate waren eine Herausforderung und wahrlich nicht einfach - aber voller Lektionen. Die wichtigste für mich: niemals aufgeben. Wenn der Kopf im Sand ist, grab `nen Tunnel. Manchmal ist es gut, nicht zu wissen, wie lang der Weg sein wird. Manchmal ist es hilfreich, sich mit dem Rücken zur Wand zu wähnen - eventuell hilft einem in einer dunklen Gasse Spiderman und auf einmal zeigen sich mehrere Wege.

Wir dürfen als Gesellschaft in schwierigen Zeiten nicht den Mut verlieren. Wir müssen solidarisch miteinander sein, uns auf ethische, moralische Grundsätze besinnen und wir dürfen nie vergessen: Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind nicht die USA, sondern dieses Land ist da, wo wir es uns erträumen und erkämpfen. Es geht nicht darum, was uns widerfährt, sondern wie wir damit umgehen (können!).

Stay Rave. Stay Safe.

Ich für meinen Teil bin unglaublich gespannt, was die Zukunft mit sich bringt, wie das Nachtleben der Zukunft aussieht. Wie wir Post-Corona zusammen feiern? Ob es annähernd wieder so wird, wie wir es kennen? Das Gefühl, wie es ist in einem dunklen, stickigen Raum, eng an eng mit anderen Menschen zur Musik eins zu werden, zu einer Masse zu verschmelzen, sollten wir nicht vergessen. Die kurzen Bekanntschaften eines Abends, einer Nacht oder eines Morgens fehlen uns doch genauso, wie ausgiebige Treffen mit Freund:innen. Übrigens: So sehr ich Nachtleben und Disco liebe - ich habe mit Menschen, die ich vor Corona nicht kannte, ein StartUp gegründet. Für die Region. So ein „richtiger“ Job fühlt sich zwar komisch an, aber nicht falsch. „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“.

Wie eingangs beschrieben, ist es viel zu vielen Menschen Corona-bedingt schlecht ergangen: Finanzielle oder existenzielle Gründe, Einsamkeit, Arbeitslosigkeit - nichtsdestotrotz möchte ich dazu aufrufen, die Chancen auszukundschaften, sich (neu-) zu orientieren, den Mut haben, etwas zu wagen und in erster Linie niemals aufzugeben. Nach der Ebbe, kommt immer die Flut.

Everything will be good in the end, if it isn’t good, it’s not the end.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 18 / März 2021.

Maximilian Burkhardt

Wie ein Discofuchs ist Maximilian Burkhardt auf Streifzug durch das Nachtleben. Mit seiner Reihe „Gute Nacht“ im Eulenglück, als Booker beim bureau de la nuit, als Betriebsleiter des Brain Klubs und als DJ, wenn er durch die Weltgeschichte tingelt. Für Stadtglanz schreibt er über die Musik-, Party- sowie Kultur-Szene der Region und seine persönliche Sicht auf die Dinge.

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