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Harzglanz

19. November 2021

Das Ilsetal

Der schönste Weg zum Brocken

Von Jochen Hotop

Herrliche, sonnenbeschienene Buchenwälder und ein munteres Flüsschen, das sich zwischen mächtigen Granitbrocken seinen Weg bahnt: Es gibt nur wenige Täler im Harz, die so wildromantisch und abwechslungsreich sind. Zu Recht hat Heinrich Heine dem Ilsetal in seiner »Harzreise« ein literarisches Denkmal gesetzt und darin auch die Sage von der Prinzessin Ilse anklingen lassen. Es ist der wohl schönste Weg zum Brocken, jedenfalls was den ersten Teil, die Wanderung durchs Ilsetal, angeht. Den weiteren Aufstieg zum höchsten Harzgipfel nehmen wir allerdings nicht in Angriff, sondern biegen hinter den Oberen Ilsefällen an der Roten Brücke ab zur Plessenburg. Von dort geht es über den Ilsestein zurück nach Ilsenburg.

Tausende machen sich im Laufe eines Jahres auf den Weg zum Brockengipfel, dem meistbesuchten Berg Deutschlands. Wie kommt man zum malerischen Heinrich-Heine-Wanderweg? Nach einer kurzen Fahrt durch den Luftkurort Ilsenburg, ist man schnell am Parkplatz »Erlebniswald Ilsetal« und folgt für rund einem Kilometer auf einem angenehmen Fußweg der nichtöffentlichen Straße, vorbei an Hotels, Ferienhäusern und einem Wohnmobilstellplatz in üppiger Natur. Der Heinrich-Heine-Weg beginnt dann am Hotel »Am Ilsestein«.

Einmalige Lichtstimmung

Nun taucht man endgültig ein in ein Tal der Sagen und Mythen, genießt die Lichtstimmung in den Baumwipfeln und das Glitzern des Wassers. Der Weg führt etwa vier Kilometer am Ufer der Ilse entlang. Wer die Flussseite wechseln möchte, hat durch verschiedene Brücken immer wieder die Möglichkeit dazu. Eine nahe, fest ausgebaute Talstraße wird gern von Mountainbikern genutzt sowie von Wanderern, die schnell vorankommen möchten.

Rendezvous mit einer Wasseramsel

Wir dagegen bleiben dicht am Ufer, bewundern die erstaunlichen Felsformationen und freuen uns über die urwüchsige, manchmal wilde Natur, etwa, wenn drei bis vier Baumstämme mikado-mäßig übereinander liegen, darunter das tosende Wasser der Ilse.

An einer anderen Stelle wartet ein Fotograf geduldig auf ein Rendezvous mit einer Wasseramsel, die es hier zahlreich gibt. »Sie liebt es, in der Ilse zu baden und nach Fliegenlarven zu tauchen», erzählt der Fotograf.

Warum Waldspaziergänge so gesund sind

Die Natur mit ihren vielen Sinneseindrücken war nicht nur für Heinrich Heine eine Quelle der Inspiration, vor allem, wenn man wandernd unterwegs ist. Dies unterstreicht Goethe mit den Worten: »Nur wo du zu Fuß warst, da bist du wirklich gewesen.« Heinrich Heine ging im September 1824 zu Fuß von Göttingen über Northeim, Osterode, Clausthal und Goslar zum Brocken und ins Ilsetal. Die wohltuenden Wirkungen der Natur auf Körper, Geist und Seele entdecken heute zunehmend junge Leute wieder. Das zeigen uns die Begegnungen während unserer Tour durchs Ilsetal.

Der sagenumwobene Ilsestein

Einst - so geht die Sage – soll es auf dem mächtigen Gipfel des Ilsesteins eine Burg gegeben haben, in der ein König mit seiner lieb­lichen Tochter Ilse lebte und in die sich ein Junker verliebte. Eben diesen Junker hatte aber auch eine reiche, missgünstige Zauberin für ihre Tochter – bekannt für ihre bösen Augen und ihre gehässigen Reden –als Mann erkoren. Mit ihrer ganzen Zauberkraft soll sie ein unbeschreibliches Unwetter heraufbeschworen haben, sodass vom Brocken verheerende Wassermassen zu Tal stürzten und Klippe um Klippe sowie die Burg und ihre Bewohner hinab in die Tiefe rissen.

Mehrere Köhler sahen das grausige Schauspiel und bemerkten aber auch, als Ilse langsam hinabsank, dass eine mächtige Gestalt die Prinzessin aufhob und forttrug. Am Schluss der Sage heißt es dann: »Die holde Königstochter wohnt noch immer im Ilsestein, und vorzeiten hat sie mancher gesehen, wenn sie im schimmernden Gewande, die Krone auf den blonden Haaren, aus dem Felsspalt hervorgetreten ist. Dann hat sie sich im Wasser der Ilse gebadet und ist mit Sonnenaufgang wieder verschwunden. Alle aber, welche sich der Prinzessin keuschen Herzens nähern, überschüttet sie mit Wohltaten; demjenigen dagegen, der unreinen Herzens die Badende überraschen will, sprengt sie Wasser in die Augen und verwandelt ihn in eine alte, zottige Tanne.«

Ein ganz Großer der Waldwirtschaft

Kurz hinter dem Ilsestein liegt der Zanthierplatz, eine kleine Lichtung mit einem Hinweis auf den im 18. Jahrhundert gelebten Oberforstmeister Hans Dietrich von Zanthier. Statt gleichgültig mit den Schultern zu zucken, sollte man hier eigentlich eine Gedenkminute einlegen, denn Zanthier gründete in Ilsenburg die erste forstliche Lehranstalt Deutschlands und gilt als Wegbereiter moderner, nachhaltiger Waldbewirtschaftung.

Der Weg der Ilse zur Nordsee

Auf dem Weg durchs Ilsetal begleiten den Wanderer zahlreiche Hinweistafeln. So erfahren wir, dass die Ilse im Brockenbett in 1000 Metern Höhe entspringt, nach etwa 30 Kilometern bei Börßum in die Oker mündet, die wiederum in die Aller fließt. Diese vereinigt sich bei Verden mit der Weser, so­dass das Wasser der Ilse schließlich bei Bremerhaven in die Nordsee gelangt.

Die Unteren und Oberen Ilsefälle

Poetischer als Heinrich Heine in seiner »Harzreise« hat wohl kaum jemand dem Flüsschen Ilse gehuldigt: »Es ist unbeschreiblich, mit welcher Fröhlichkeit, Naivität und Anmut die Ilse sich hinunterstürzt über die abenteuerlich gebildeten Felsstücke, die sie in ihrem Laufe findet, sodass das Wasser hier wild emporzischt oder schäumend überläuft, dort aus allerlei Steinspalten, wie aus tollen Gießkannen, in reinen Bögen sich ergießt und unten wieder über die kleinen Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja, die Sage ist wahr, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft. Wie blinkt im Sonnenschein ihr weißes Schaumgewand!«

Vor den Unteren Ilsefällen wechseln wir auf die Ostseite des Flüsschens. Der schmale Weg führt jetzt über kleine Felsstufen und wird auf 1200 Metern deutlich anspruchsvoller. Dabei gehen die Unteren Ilsefälle nahtlos in die Oberen über. Gut vorstellbar, dass die Ilse nach der Schneeschmelze im Frühjahr zu einem tosenden Ungeheuer wird, wie es einer der Wanderer formulierte.

Kontrastprogramm

Während der Weg durchs Ilsetal vor allem durch Buchenwälder geprägt ist, dominiert Richtung Plessenburg der Tannenwald. Immer wieder gibt es dabei reizvolle Ausblicke ins Ilsetal. Am Wegesrand zuweilen mächtige Granitfelsen.

Wer bei dem Namen Plessenburg eine Bastion, ein Felsennest, erwartet, wird enttäuscht. Der heimelige Flecken, der nach einem Herrn von Pleß benannt wurde, besteht aus einem Forsthaus sowie einem 1776 erbauten Jagdhaus, das heute als Waldgaststätte den Wanderer erfreut.

Paternosterklippe mit einer malerischen Kulisse

Unser nächstes Ziel ist die Paternosterklippe. Um diese schön gelegene Felsattraktion zu erreichen, gehen wir von der Plessenburg zunächst ein Stück auf einer Forststraße nach Nordwesten, bis wir zu einem großen Wegkreuz gelangen. Von dort nehmen wir einen horizontal verlaufenden, sehr bequemen Pfad, bewundern die Drachenflieger und sehen zwischen den Bäumen ab und an den Brockengipfel. Der markante Fels der Paternosterklippe fällt sofort ins Auge und ergibt zusammen mit dem Herbstkleid der Buchen eine malerische Kulisse.

Mit fantastischen Reizen geschmückt: Der Ilsestein

Nach weiteren zwei Kilometern Fußmarsch sind wir schließlich am Ilsestein, den die Natur nach den Worten Heinrich Heines mit fantastischen Reizen geschmückt hat. Kann es wirklich sein, dass hier einmal eine Burg gestanden hat? Offensichtlich hatte auch Heinrich Heine 1824 seine Zweifel, denn er schreibt: »Der Ilsefelsen ist ein ungeheurer Granitfelsen, der sich lang und keck aus der Tiefe erhebt. Von drei Seiten umschließen ihn die hohen, waldbedeckten Berge, aber die vierte, die Nordseite, ist frei, und hier schaut man in das unten liegende Ilsenburg und die Ilse, weit hinab ins niedere Land. Auf der turmartigen Spitze des Felsens steht ein großes eisernes Kreuz, und zur Not ist da noch Platz für vier Menschenfüße«.

Allerdings hat man auf dem Südhang des Ilsesteins bei Ausgrabungen wahrhaftig die Grundmauern einer Burg entdeckt. Vermutlich handelte es sich dabei aber lediglich um einen 1033 errichteten Turm mit einem Schutzwall. Anders als in der Sage durch eine böse Hexe, soll die Burg 1107 aber auf Geheiß des Papstes zerstört worden sein.

Voll praller Eindrücke machen wir uns auf den Rückweg vom 473 Meter hohen Ilsestein durch herrlichen Buchenwald zurück nach Ilsenburg, das auf einer Höhe von rund 300 Metern liegt.

Jochen Hotop

bringt seine Verbundenheit zum Harz unter anderem mit der Internetseite www.harz-beat.de zum Ausdruck.

 

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