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Lifestyle

12. April 2023

Marrakech – Treffpunkt globaler Nomaden

Der Traum vom Orient...

Von Karin Kamolz

(Fotografie: M. Rosenberger, K. Kamolz)

... hier wird er Wirklichkeit: Das Labyrinth enger Gassen in der Medina, die Gerüche der Gewürzstände, die Schlangenbeschwörer und Geschichtenerzähler auf dem Hauptplatz Djemaa el Fna entführen in eine andere Welt. Gleichzeitig gibt es in dieser Stadt Hotels, Restaurants und Clubs, die chic, hip und ganz weit vorn sind.

Im Taxi ist es heiß, sehr heiß. Mein T-Shirt klebt am Plastiksitz. Das Gefährt, das schon bessere Jahre gesehen hat, zwängt sich durch immer enger werdende Gassen. Schon nach dem zweiten Abbiegen habe ich vollkommen die Orientierung verloren. Draußen, vor dem Hintergrund der rosafarbenen Mauern, brodelt das Leben: Die Warenpalette der kleinen Geschäfte reicht von gebrauchten Autoreifen über hochaufgetürmte Eier­stapel bis zu Hammelhälften. Vor den Häusern bieten Händler Obst und Gemüse auf wackeligen Tischen feil, Eselskarren versuchen sich durch enge Freiräume im Verkehr zu manövrieren. Spielende Kinder werfen Bälle, Frauen stehen in kleinen Gruppen plaudernd im Weg. Im Taxi dudelt das Radio, die arabische Popmusik übertönt das Geknatter der kleinen Mopeds, die sich geschickt ihren Weg durch die engen, überfüllten Gassen bahnen. Mehrmals schließe ich vorsichtshalber die Augen. Und das Wunder geschieht: Unter Aufhebung allerlei physikalischer Gesetze gelingt es dem Fahrer, Raum zu finden, wo ich keinen sehen kann.

Den Rest des Weges müsse man zu Fuß zurücklegen, sagt er, hier seien die Gassen so eng, dass mit dem Auto nichts mehr machbar sei. Freundlich begleitet er mich durch dieses Laby­rinth zu meinem Riad, den ich ohne seine Hilfe nie gefunden hätte – noch sehen alle Wege gleich aus. In einer kleinen Gasse bleibt er stehen und klopft an eine schwere, mit antiken Beschlägen verzierte Tür,
die sich in einer der fensterlosen alten Mauern befindet, die die Privatheit der Häuser zu den Gassen hin abschotten. Neben der Tür befindet sich ein kleines, unscheinbares Schild mit der Aufschrift: Dar Hanane. Drinnen kommen Schritte näher, die Eichentür wird ­aufgeschlossen, und eine freundliche, junge Marokkanerin bittet mich herein: „Bonjour, Madame, et bienvenue!“

Das Innere des Riads ist eine Offenbarung: Ruhe und Kühle. Aus den grünen Bodenkacheln ragen zwei Palmen, die den Blick auf den Himmel lenken. Kleine, niedrige Sitzgruppen laden zum Entspannen ein, es werden Minztee und Gebäck herbeigeschafft. Aus einem Ipod tönt leise Loungemusik. Über eine schmale, verwinkelte Treppe geht es auf die Dach­terrasse. Der Ausblick ist atemberaubend: Ein rosa- und okerfarbenes Mosaik von Häusern breitet sich unter mir aus, verschachtelt und verschränkt, von kleinen Gassen durchzogen, wie ein Gemälde. Dahinter die schneebedeckten Gipfel des Atlasgebirges, das in der Abendsonne leuchtet.

Auch hier gibt es Sitzlandschaften, die zum Lagern und Nichtstun, zum Lesen und Träumen einladen. Ein alter Mann kommt mit einem Tablett und bringt mir eisgekühlten Rosé, Nüsse, Oliven und sein freundliches Lächeln. Der Himmel färbt sich langsam rosa und bietet ein großartiges Spektakel, Schwalbenschwärme jagen durch die immer noch warme, samtige Luft und plötzlich beginnt es. Erst ist es nur ein einzelner Ton, ein Ruf, dessen Herkunft nicht auszumachen ist, schwebt durch die Luft, dann wird er voller, andere Rufe stimmen mit ein, er wird lauter und lauter, schwillt immer mehr an, bis die ganze Luft erfüllt ist von dem Gesang des Muhezzins.

In den Souks reiht sich ein kleiner Laden an den nächsten. lebende Chamälions, mit Tesakrepp an die alten Mauern geklebte Zebrafelle, ausgestopfte Falken und andere Kuriositäten, aber auch das übliche Kunsthandwerk, Teppiche, Schmuck, Lederwaren und Gewürze sind im Angebot.

Am nächsten Morgen bin mutig genug, mich in das Gewirr der Gassen zu trauen. Grobe Richtung heißt die Devise. Hier bekommt man alles – und zwar in unzähligen Variationen. Als ich es wage, einen der kleinen Läden zu betreten, werde ich sofort von dem Besitzer angesprochen. Eine Tasche wird eifrig von der Wand geholt, wo sie mit vielen anderen Modellen hängt, ihre Vorzüge werden gepriesen und natürlich auch der spektakulär günstige Preis. Ich halbiere den Preis. Der Verkäufer ist entsetzt. Ich lächle freundlich. Wieder wird Minztee herbeigeschafft und ich werde genötigt, mich auf ein kleines Höckerchen zu setzen. Eine Zeitlang plaudern wir hin und her, dann kommt das Gespräch wieder auf die Tasche. Ein neues Angebot steht im Raum, ich lehne ab. Wie weit kann ich gehen, ohne dass der Verkäufer sein Gesicht verliert? Ich stehe auf und sage, ich werde morgen wiederkommen. Auf gar keinen Fall, man werde sich schon einig werden. Nach einer weiteren Viertelstunde ziehe ich ab, mit der Tasche unter dem Arm und dem Gefühl, dass ich gar nicht so schlecht war. Natürlich, wahrscheinlich sie ist das Geld nicht wert – aber ich finde sie wirklich schön!

Etwas erschöpft suche ich nach einem Café und lande auf dem Place des Épices. Von den Dächern der Häuser, die diesen kleinen Platz um­säumen, hängen Teppiche, die Händler auf dem Platz bieten Strohtaschen, Häkelmützen, Kelimpoufs und vieles andere feil. Alte Frauen haben Vorlagen für Henna-Tattoos vor sich ausgebreitet. Von der Terrasse des Cafés aus habe ich einen großartigen Ausblick über den Platz. Nach einem leckeren Imbiss, diversen Cafés au Lait und einem Plausch mit Reisenden am Nebentisch beschließe ich, in meinen Riad zurückzugehen. Die Devise: „Grobe Richtung und dann fragen“ funktioniert ­tatsächlich und beschert mir die zufällige ­Entdeckung eines ganz besonderen Ortes. In einer Gasse lockt mich ein Schild in das „Maison de la Photo­graphie de Marrakesh“. In dem liebevoll restaurierten Riad erzählen Originalaufnahmen von 1870 bis 1950 aus dem Alltag in Marokko. Der freundliche und engagierte Initiator des Projektes, der Franzose Patrick Manac'h führt mich persönlich durch die Ausstellung. Später sitzen wir auf seiner Dach­terrasse. Bei einem Tee erzählt er mir, wie er vor vielen Jahren nach Marrakech gekommen ist und hier seinen Traum von einem Photomuseum verwirklicht hat. Die Gartenstadt mit ihren rosafarbenen Häusern, von Palmenhainen und Zitrusbäumen umgeben, hat von jeher Fremde angelockt, die sich dort niederließen. Mehr noch als Schriftsteller, Poeten und Maler waren es Schauspieler, Fotografen, Architekten, Modeschöpfer, Designer und hauptberufliche Erben, die sich in Marrakech Häuser zulegten. Aber auch Hippies und Aussteiger bevölkern seit Jahrzehnten die Stadt, die dieser Mischung aus Einheimischen, Kreativen, und Jet-Set ihren besonderen Reiz verdankt.

Schon bricht die Dämmerung herein und Patric gibt mir noch einen Tipp für mein Dinner: Nur wenige Häuser weiter biete das „La Foundouk“ ausgezeichnete marokkanische, aber auch internationale Küche. Ein kleiner Stadtpalast mit mehreren Innenhöfen und einer großen Dachterrasse wurde sehr geschmackvoll in ein Restaurant mit kleiner Bar verwandelt. Nach dem Essen denke ich: „Was für ein magischer Ort ist diese Stadt!“ In meinem herrlichen Zimmer im Riad falle ich in die weißen Laken. Ich träume von orientalischen Palästen und von den Karawanen in der Wüste, und am nächsten Morgen ist klar: „Ich habe einen Ort gefunden, an den ich immer wieder zurückkehren werde!“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 02 / Dezember 2016.

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