Lifestyle
Ich bin VFL – ich bin VW
Magaths Sicht auf die Wölfe und die Standort-Krise
Von Sven Froberg
Felix, wenn Sie an Ihre Zeit in Wolfsburg zurückdenken, was bleibt für immer besonders?
Magath: Ich war in so vielen verschiedenen Klubs tätig, aber der VfL ist ein ganz besonderer Verein. Es ist ein Vorteil, dass man keine Metropole ist. Ich konnte mich immer voll und ganz auf das Sportliche konzentrieren. Und genau das hat dazu geführt, dass wir, nachdem der VfL vorher fast zweimal abgestiegen war, in sehr kurzer Zeit so erfolgreich sein konnten. In meinem ersten Jahr landeten wir durch einen Sieg gegen Klopp und den BVB am letzten Spieltag auf Platz 5, im Jahr danach gewannen wir die Deutsche Meisterschaft. Das war ein Traum und einzigartig für mich.
Wir haben die meisten Tore geschossen und hatten mit Dzeko und Grafite die besten Stürmer. Wir haben mit dem VfL die Bundesliga bestimmt.
Wie haben Sie die Menschen und die Region wahrgenommen?
Magath: Die Wolfsburger sind viel bescheidener und haben hier und da weniger Selbstbewusstsein als die Menschen in München oder Hamburg. Aber das ist ja kein Nachteil. Die Hauptsache ist, dass jeder, der hier lebt, und das gilt auch für die Spieler, sich voll mit dem Standort identifiziert.
Aktuell befindet sich der VfL aber in einer echten Krise. VW steht vor großen Herausforderungen, der VfL auch. Es muss gespart werden. Müsste es nicht trotzdem möglich sein, in der Bundesliga erfolgreicheren Fußball zu spielen?
Magath: Natürlich. Das wurde ja auch damals, als wir Meister wurden, oft falsch dargestellt. Den teuersten Spieler, den ich seinerzeit gekauft hatte, das war Andrea Barzagli für 12 Mio. Euro. Dann kam Grafite, der hat nicht mal 8 Mio. Euro gekostet, Dzeko weniger als 4. Der Rest kam aus der 2.Liga. Das waren echte Schnäppchen und mit Josue konnten wir einen brasilianischen Nationalspieler für gerade mal 1.5 Mio. Euro holen.
Das war möglich, weil ich mich hier auf das Sportliche konzentrieren und so sehen konnte, welche Spieler hier am besten nach Wolfsburg passen.
Der damalige Aufsichtsratsboss Hans Dieter Pötsch sagte, wenn Sie Trainer und Sportdirektor sind, dann müssen sie auch Geschäftsführer werden. Dadurch hatte ich extrem kurze Wege.
Zur Verpflichtung Barzaglis gibt es glaub ich eine besondere Geschichte?
Magath: Genau, der damalige Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh kam zu mir, und sagte „Herr Magath, wir haben so viele Italiener hier, können wir nicht mal einen Italiener holen?“ „Na klar“,sagte ich, „wenn Sie einen Italiener wollen, dann hole ich einen.“ Und mit Chrstian Zacchardo kam dann sogar noch ein weiterer dazu. Ich habe also immer Rücksicht auf die Bedürfnisse des Standorts genommen.
Also ist es zu einfach, immer auf die finanzielle Situation bei VW zu verweisen, wenn man erfolgreich sein will?
Magath: Man muss die Stärken des Partners VW annehmen. Man muss hier nichts verändern, nur weil es in Stuttgart oder Nürnberg anders gemacht wird. Es nützt mir doch nichts, wenn ich einen Superstar hole, so wie Diego damals, der nicht nach Wolfsburg passt. Da hatten wir nur Probleme, weil er sich nicht identifiziert hat. Man muss speziell beim VfL darauf achten, die Mannschaft so aufzubauen, dass es stimmig ist und sich alle hier mit dem Klub und der Region identifizieren.
Wie haben Sie das damals geschafft?
Magath: Eine Stärke war z.B. die Ruhe vor den Spielen, die wir im Tagungshotel von VW, dem Haus Rohde, hatten. Da konnten wir uns in völliger Abgeschiedenheit vorbereiten. Das Essen war sehr gut und abends vor dem Spiel sind wir ins Kino gegangen. Das war übrigens gar nicht so einfach, wenn Sie Italiener, Brasilianer und Portugiesen, die kaum Deutsch verstanden, dabei haben. Aber es hat funktioniert.
Was würden Sie den Menschen in dieser herausfordernden Zeit zurufen, um die Krise zu meistern ?
Magath: Ein Lebensmotto, dass ich aus meiner Zeit bei den vielen Klubs mitgenommen habe, ist, dass es egal ist, ob ich in einer Stadt mit 100.000 Menschen oder 3 Millionen lebe. Es ist also überhaupt nicht notwendig, sich zu beschränken.
Jeder sollte selbstbewusst sagen: „Ich bin VW, ich bin der VfL. Wir wollen laufen, laufen, laufen bis zum Umfallen, so wie einst der Käfer gelaufen ist.“
Ein Vorbild darin war Grafite. So einen Typen habe ich seitdem nie wieder erlebt. Der wollte immer spielen. Einmal kam er am Spieltag mit dickem Knöchel und Sporttasche zum Bus. Ich fragte Ihn, was er wolle, der Arzt hat gesagt, dass er definitiv verletzt ist. Grafite sagte daraufhin: „Ich will spielen Trainer." Also habe ich ihn mit nach Cottbus genommen und auf die Bank gesetzt. Grafite hat immer gelacht. Er war außergewöhnlich und extrem wichtig für die Stadt und den Verein.
Ich traf ihn übrigens ein halbes Jahr, nachdem Sie weg waren, Herr Magath. Er war traurig und sagte, er habe kaum Hunger nach dem Training. Bei Ihnen aber hatte er immer Hunger, weil das Training hart und intenisv war. (Magath lacht). Die Spieler haben Ihr hartes Training also gebraucht und gewollt.
Magath: Natürlich. Denn nur wenn ich körperlich fit bin, vermeide ich Verletzungen. Deswegen sind wir immer an die Leistungsgrenze und darüber hinaus gegangen. Es gab ja immer schon Top-Athleten hier in Wolfsburg, die Judokas zum Beispiel fragen Sie mal, wie hart die trainieren.
Gibt es im Rückblick den einen Tag, den speziellen Moment, an den Sie sich immer erinnern werden ?
Magath: Natürlich ist das sicher immer der Tag der Meisterschaft, der 23. Mai 2009. Aber ich habe vor allem die gemeinsame Zeit mit meiner sehr Familie genossen. Wir haben am Rabenberg gewohnt. Am Wochenende kam meine Frau mit den Kindern und unserem Hund zu den Spielen. Dann haben wir in der freien Zeit die wunderschöne Region erkundet und das Leben hier im Grünen voll genossen. Das war sehr wichtig für meinen Erfolg hier. Die Meistersaison war ein absoluter Traum. Das 5:1 gegen München wird ein Spiel sein, an das man sich hier noch in 100 Jahren erinnern wird. <
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