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Lifestyle

1. Juni 2017

Software wird die Welt fressen

…prophezeite einst Marc Andreessen, Mitbegründer von „Netscape“.

Von Christine Grän

(Illustration: fotolia)

Aber ja, sie legt sich willig auf den Teller und flüstert: Friss mich, damit ich reicher, klüger, besser werde…

Niemand weiß, wie das ausgehen wird. Einem Menschen aus der Steinzeit der Digitalisierung (achtunddreißig Jahre ohne Handy undComputer überlebt!) macht die Sache Angst. Maximale Ahnungslosigkeit trifft auf maximale Datengier. Da hilft es wohl nix, wenn ich das Kameraauge meines Laptops überklebe. Oder?

Zwanzig Milliarden Geräte und Maschinen sind mittlerweile über das Internet vernetzt. Und, so schreibt der schottische Professor Jeffrey Fear in einer Studie, die Digitalisierung habe inzwischen auch den deutschen Mittelstand erreicht. Er preist die deutschen Mittelständler als äußerst robust. Sie hätten Kriege und Erbstreitigkeiten überlebt, sich immer wieder neu erfunden und Nischenmärkte erobert. Beispiel Birkenstock: 243 Jahre nach der Gründung geht der Schuhhersteller aus der Pfalz in aller Stille online. Ein globales Team vermarktet die bequemen Treter im eigenen Online-Shop. Das macht bisher zwar nur zehn Prozent des Umsatzes, aber immerhin 40 Prozent des Gewinns aus. Klare Rechnung – die Gewinnspannen der Großhändler fallen im Online-Geschäft weg.

Apropos Schuhe: Es spricht einiges dafür, sie analog anzuprobieren, bevor man kauft. Doch der wahnsinnigen Preisreduzierung einer Nobelmarke im Internet konnte ich einfach nicht widerstehen. Die Bestellung über Kreditkarte schien schwierig, weshalb ich auf PayPal auswich. Alles gut? Nein, denn ein paar Tage später teilte mir DHL per Mail mit, dass sie die Schuhe nicht ausliefern könnten – unvollständige Adresse. Check der PayPal-Bestellbestätigung: falsche Postleitzahl, falsche Hausnummer. Ich rief bei DHL an, aber die sagten, ich könne die Adresse nicht ändern, und sie würden die Schuhe an die Firma zurückschicken. Die Firma: Nicht sie, sondern PayPal habe den Auftrag gegeben und müsse daher die Adresse berichtigen. Anruf bei PayPal: So sorry, Lieferadresse wird geändert. Und die Schuhe? Da müsse ich schon bei der Firma anrufen …

Um es abzukürzen: Ich bestellte die Schuhe ein zweites Mal mit Neu- und Rücküberweisungen. Die Pointe ist, dass die Schuhe zwar schön, aber unbequem sind. Dafür habe ich einen halben Tag am Telefon verbracht, Endlosschleifen angehört, Computerfragen per Tastendruck beantwortet und gefühlte Ewigkeiten gewartet, um echte Menschen ans Telefon zu kriegen. Die waren dann aber meist nicht zuständig.

Das ist dann wohl die Kehrseite der glänzenden digitalen Medaille. Kafkaeskes gegen die Wand rennen mit Orwell’schen Visionen der individuellen Ohnmacht. Ich gehe demnächst wieder ins Schuhgeschäft!

Christine Grän

wurde in Graz geboren und lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong, bevor sie nach München zog. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt, die auch verfilmt wurden. Sie veröffentlichte unter anderem die Romane „Die Hochstaplerin“, „Hurenkind“ und „Heldensterben“. Zuletzt erschienen „Amerikaner schießen nicht auf Golfer“, „Sternstraße 24“ und „Glück am Wörthersee“ im ars vivendi Verlag.

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