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5. Oktober 2022

Was läuft eigentlich gut?

Kolumne Plöger

Katastrophen ereignen sich schlagartig, sind aber zeitlich oder lokal begrenzt. Fortschritt ist langsam, findet aber auf breiter Front statt. Unser Gehirn ist darauf optimiert, schnelle Veränderungen wahrzunehmen. Alarmismus verkauft sich daher blendend. Aber was läuft eigentlich unbemerkt gut?

Ausrottung des Guinea-Wurms in Sicht

Der Guinea-Wurm dringt in den menschlichen Körper ein, wenn Wasser getrunken wird, das winzige, mit Wurmeiern kontaminierte Krebse enthält. Einmal im Körper, wächst der Wurm bis auf eine Länge von einem Meter und wandert meist zu den Füßen, wo er ein Geschwür und starke Schmerzen verursacht. Sucht das Opfer Kühlung, beispielsweise einem See, platzt das Geschwür und der Wurm entlädt Eier ins Wasser wo sie Krebse fressen, was den Vermehrungszyklus schließt. Als Behandlung muss der Wurm am aus dem Körper ragenden Ende über etliche Tage auf ein Holzstückchen aufgewickelt werden.

Der Wurm ist seit Jahrtausenden bekannt und kam ursprünglich in Asien, dem Nahen Osten und Afrika vor. Noch vor 35 Jahren gab es 3,5 Millionen Infizierte jährlich. Durch Wasseraufbereitung (in weiter entwickelten Ländern) konnte der Guinea-Wurm in vielen Ländern bekämpft werden. Durch das Verteilen von primitiven, billigen, aber effektiven Wasserfiltern, die die infizierten Krebse zurückhalten (in weniger entwickelten Ländern),  sank die Zahl der Infizierten beständig. Letztes Jahr wurden nur noch 15 Fälle weltweit gemeldet.

Leider kann der Guinea-Wurm auch in Tieren, insbesondere Hunden und Katzen, überleben, was die weitere Bekämpfung erschwert. Es gibt aber Anlass zur Hoffnung, dass der Guinea-Wurm in den nächsten Jahren ausgerottet werden kann. Wenn es so kommt, gebührt dem Carter Center, das vom früheren US-Präsidenten Jimmy Carter gegründet wurde, besondere Anerkennung. In jahrelanger hartnäckiger, wenig schlagzeilenträchtiger Arbeit wurde daran gearbeitet, den Guinea-Wurm zu bekämpfen (https://www.cartercenter.org/health/guinea_worm/index.html).

Plastikabbau im Wasser

Eine neue Studie (https://www.nature.com/articles/s41467-022-31691-9) zeigt, dass Plastikverschmutzung von Seen zu mehr Bakterienwachstum führen kann. Offenbar besiedeln in den Seen natürlich vorkommende Bakterien den Plastikmüll und zersetzen ihn langsam. Dabei nutzen sie den Kohlenstoff im Plastik als Nahrung.

Es ist auf den ersten Blick wenig plausibel, aber Plastik erscheint sogar eine leichter zugängliche Kohlenstoffquelle für die Bakterien zu sein als natürliche Kohlenstoffverbindungen. Zwar hatten die Mikroorganismen im Laufe der Evolution viel Zeit, sich an die natürlich vorkommenden organischen (also Kohlenstoff enthaltenden) Verbindungen anzupassen, gleichzeitig wurden diese Verbindungen aber auch darauf optimiert, gerade nicht von Mikroorganismen verdaubar zu sein. Anscheinend fällt Bakterien die evolutionäre Anpassung an Plastik als Nahrungsmittel einfacher als lange befürchtet.

Der Eintrag von Plastik in Gewässer sollte aber selbstverständlich vermieden werden. Allerdings haben viele Menschen auf der Welt dringendere Probleme als die fachgerechte Entsorgung von Plastikmüll und so gelangen Unmengen an Plastikteilen beispielsweise über Flüsse ins Meer.

The Ocean Cleanup (https://theoceancleanup.com/), eine Privatinitiative gegen Plastikverschmutzung der Meere, baut seit Kurzem erfolgreich fast autonom arbeitende, schwimmende Abfangsysteme, die Plastikmüll aus Mündungsbereichen von Flüssen zieht. Um die Plastikmenge im großen pazifischen Müllgebiet zu reduzieren, existiert zudem nach jahrelangen Erprobungen mit dem System 003 ein System, das hunderte Tonnen an Plastik pro Jahr aus dem Meer entfernen kann.

Der effektivste Weg, Plastikeinträge ins Meer zu verhindern, dürfte aber – wie so oft – wirtschaftlicher Wohlstand sein. Je mehr der Basisbedürfnisse befriedigt sind, desto eher rücken abstraktere Bedürfnisse wie das nach einer sauberen Umwelt in den Vordergrund.

Immer weniger Verkehrstote

1970 kamen in Deutschland 21330 Menschen bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Fast jeder Verkehrstote war eine Mutter, ein Vater, ein Kind von irgendjemandem. Die Zahl derjenige, die um einen Toten trauern müssen, war also deutlich höher. Fünfzig Jahre später, also 2020, waren es nur noch 2719. Das ist ein Rückgang von über 85%. Und das obwohl die Zahl der Autos und die Zahl der gefahrenen Personenkilometer in diesem Zeitraum deutlich zugenommen hat.

Es ist sehr einfach geworden, Bäume zu pflanzen  

Es gibt wenige Maßnahmen, die fast immer gleichzeitig die Artenvielfalt fördern, Kohlendioxid binden und die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessern, wie entwaldete Gebiete aufzuforsten. Und dazu kann jeder (!) quasi ohne Aufwand (!) beitragen: man muss nur ECOSIA (ecosia.org) als Standard-Suchmaschine in seinem Browser festlegen. Die Einnahmen, die beim Suchen generiert werden (ja, Suchmaschinen verdienen Geld, wenn wir suchen), werden in Aufforstungsprojekte gesteckt.

Labor-Hornhaut gegen Blindheit

Millionen Menschen erkranken jedes Jahr an Keratokonus, einer Krankheit, bei der die Hornhaut im Auge immer dünner wird und sich verformt. Schätzungsweise 12 Millionen Menschen weltweit sind wegen einer Hornhautschädigung blind. Das bedeutet in der Regel Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von fremder Hilfe. Zwar kann die Blindheit durch eine Hornhauttransplantation geheilt werden, aber das ist für viele Betroffene unerschwinglich teuer. Zudem fehlen Transplantate.

Es ist nun erstmals gelungen, Hornhäute biotechnologisch aus Kollagenproteinen aus Schweinehaut herzustellen (https://www.nature.com/articles/s41587-022-01408-w). In einer Pilotstudie wurden 20 Patienten behandelt, von denen 14 blind waren. Nach der Transplantation waren es null. Wenn das kein sichtbarer Fortschritt ist!

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