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11. März 2022

Geh doch mal ins Ausland

Kulturelle Konfrontation

(Fotografie: Adobe Stock/TAW4)

Ganz egal, in welche Himmelsrichtung du von Deutschland aus aufbrichst, werden nach der Ankunft neue Gerüche, unbekannte Verhaltensweisen und Meinungen auf dich einströmen. Ganz schön viel, was dein Gehirn verarbeiten muss. Ist es diese Veränderung wert, erfahren zu werden?

Ein Auslandsaufenthalt ist für all diejenigen genau das richtige, die aus ihrer Komfortzone geschmissen werden wollen. Für alle, die anders sehen, anders fühlen undschmecken wollen.

Die Feststellung, dass es einstimmig missbilligt wird, statt gesalzener, ungesalzene Butter zu bevorzugen, die man kaum im Kühlregal findet? Hätte ich nicht gemacht.

Die in Frankreich, insbesondere unter Bretonen, weit verbreitete Meinung, dass Paris nicht Frankreich ist? Hätte ich nicht verstanden.

Den Minderwertigkeitskomplex der Bretonen gegenüber den warmen Regionen Frankreichs? Kann ich noch immer nicht verstehen.

Für das Bild, das du von der Welt hast, kannst du im Ausland neue Puzzleteile sammeln und sie darin einfügen. Du investierst deine Neugierde und bekommst bereichernde Begegnungen, einmalige Erlebnisse und besondere Beobachtungen zurück.

Kulturelle Konfrontation

Im Ausland ist ein Perspektivwechsel in vielen Hinsichten möglich, beispielsweise auf die deutsche Demokratie. Die französischen Zeitungen befassten sich in den letzten Wochen ausgiebig mit dem nahenden Abgang von Frau Merkel. Und zwar ausgiebig positiv. Sei es das Verabschiedungstreffen mit Macron gewesen oder der Abschied im Rat der EU. Den Franzosen scheint Merkel als Garant für Wohlstand und Arbeitsplätze, stabile Säule der EU und nüchterne Entscheiderin zu imponieren. In dieses Bild deutscher Mentalität wirst du dann schnell mit Copy-and-Paste eingefügt.

Hier, aber nicht nur hier kann im Ausland erfahren werden, wie es sich anfühlt, als „ein Deutscher“ wahrgenommen zu werden. Glücklicherweise agiere und lebe ich in einer vorurteilsarmen Umgebung, doch schon mehrmals begegneten mir von historischen Ereignissen vorbelastete Gesprächspartner, die alte Konfliktlinien zur Grundlage ihrer Wahrnehmung von mir machten. Der Blick der Franzosen auf Deutschland ist nicht selten vorgeprägt von den vielen Bunkern, die die Strände säumen und den Heldendenkmälern der alliierten Soldaten, die an jeder Ecke zu finden sind. Im Ausland wird jede und jeder dazu angehalten, eine Art Botschafter zu sein, um die Grenzen dieser Wahrnehmungen zu öffnen. Vielleicht sind es genau diese Situationen, in denen europäisches Verständnis wächst: im neugierigen Austausch mit den Menschen und ihren Geschichten.

Savoir-vivre

Für die meisten Franzosen, auf die ich getroffen bin, ist Vegetarier ein Fremdwort. In Frankreich rauchten 28% der Bevölkerung. In Deutschland sind es nur 23% . Über ein Fünftel der Franzosen zwischen 15 und 34 Jahren bestätigten 2019, dass sie innerhalb von 12 Monaten mindestens einmal Cannabis konsumierten.

In Anbetracht dieser Daten und Erfahrungen kann man sagen, dass in Frankreich dem Genuss ein größerer Platz eingeräumt wird als dem Gedanken an seine Konsequenzen. Das Leben im Moment, das zu schade für selbst auferlegte Einschränkungen ist, nehme ich als Kernbestandteil der französischen Kultur wahr.

Zum Beispiel, wenn ich an der französischen Supermarktkasse stehe, sehe, wie gelassen und freundschaftlich plaudernd der Kassierer die Waren seiner Kundin scannt, obwohl sich die Schlange schon ins Unermessliche gestaut hat und feststelle, wie verständnisvoll alle anderen Kunden mit der Situation umgehen. Keine Hektik, kein Zeitdruck. Ich beobachte weniger „Ich-muss-das-Beste-aus-mir-herausholen“, es ist häufig mehr ein „Ich-vertraue-auf-die-anderen“. Auch das ist vermutlich auf die Stressless- und Wohlfühlgedanken der französischen Mentalität zurückzuführen. Eventuell mit einer Prise des in Frankreich sehr ausgeprägten, nationalen und gesellschaftlichen Zugehörigkeitsgefühls unterfüttert.

Nicht nur an der Supermarktkasse, sondern auch im Genießen des regionalen Weins oder der Kuchen- und Käsespezialitäten zeigt sich, was wirklich im Leben zählt. Der Aufenthalt im Ausland bietet jeder und jedem einen Schlüssel zu diesem Bewusstsein an.

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