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Y-JOBS

15. Februar 2022

Die Pandemie als Katalysator

Vater trifft Sohn, Musiker trifft Veranstalter

STADTGLANZ-Redakteur Falk-Martin Drescher hat den Sänger Heinz Rudolf Kunze (u.a. „Dein ist mein ganzes Herz“) sowie Paul Kunze getroffen, der vor ein paar Monaten den Veranstalter undercover verließ und schließlich mit Geschäftspartner Marco Bittner die Applaus Kulturproduktion GmbH gründete. Im Doppelinterview sprachen sie über die Transformation ihrer Branche in der Corona-Pandemie.

Heinz Rudolf, Paul – wie ist die Lage bei Euch als Kulturschaffende nach einem guten Jahr Corona-Pandemie?

Heinz Rudolf: Die Lage ist nicht gut, das lässt sich nicht beschönigen. Viele Kollegen, die nicht in der ersten Liga spielen – also in der Welt um Helene Fischer und Peter Maffay – haben große existenzielle Probleme. Ich kenne Musiker, die noch vor anderthalb Jahren mit den größten deutschen Stars als Begleitmusiker auf den größten Bühnen standen, die nun an der Supermarktkasse sitzen.

Mein Freund Purple Schulz schätzt, dass es im Herbst diesen Jahres die Hälfte von uns nicht mehr geben wird. Noch härter betroffen als wir Musiker sind derweil unsere Crews, die Techniker & Co., die nicht einmal GEMA-Einnahmen oder ähnliches haben. Die sind allesamt 100-prozentig abhängig vom Live-Geschäft.

Aber, trotz alledem: Alles, was möglich ist, mache ich auch. Ich gehe etwa ins Studio und bereite ein Best-Of-Doppelalbum vor, da ich in diesem Jahr bereits 40 Jahre unterwegs bin. Wenngleich ich mir mein Jubiläumsjahr definitiv anders vorgestellt habe.

Paul: Ich stehe bei diesem Bild eher auf der Seite der Crews. Ich hoffe einfach auf den Juli – nach aktuellem Stand sieht es für Braunschweig ja gar nicht mal so hoffnungslos aus. Bestenfalls kann es schon im Verlaufe des Juni mit ersten Veranstaltungen losgehen. Nun habe ich mich aber inmitten der Krise selbständig gemacht, daher werde ich nicht klagen. Schließlich wusste ich, worauf ich mich einlasse.

Besonders spannend ist und bleibt es natürlich für alle Veranstalter, denn diese tragen die Hauptlast des wirtschaftlichen Risikos für die Konzerte. Da darf man nicht vergessen, dass seit Monaten Termine verschoben werden – und der Ticketvorverkauf-Markt liegt quasi brach. Indes sind viele Konzerte von der Anzahl an verkauften Tickets überhaupt noch nicht wirtschaftlich. Da könnte leider auch noch eine Pleitewelle drohen, wenn in der Folge viele unrentable Veranstaltungen umgesetzt werden. Daher versuchen wir den Kostenapparat so klein wie möglich zu halten.

Heinz Rudolf, was waren in den vergangenen 40 Jahren Musikgeschäft wichtige Meilensteine für Dich?

Heinz Rudolf: Das ist eine abendfüllende Frage (lacht). Das war so viel, was passiert ist. Ich kann mich – so ist es ja oft im Leben – gut an die Anfänge erinnern. An Markthallen-Konzerte in Hamburg oder an Konzerte in der damals noch existierenden DDR. Und dann denke ich an viele unglaublich tolle Musiker-Kollegen, die in all den Jahren bei mir ein- und ausgegangen sind, und mir dabei geholfen haben auf Bühne und im Studio herüberzubringen was mir so eingefallen ist. Es war ein langer Weg, aber: Ich bin kein Nostalgiker. Ich gucke gerne nach vorne. Insofern hätte ich auch gerne eine reguläre, neue Kunze-Platte gemacht. Mein Manager sagte allerdings zu mir: So geht das nicht, nach 40 Jahren muss man sich schonmal zurückerinnern.

Paul, früher hast Du als kleiner Junge die Konzerte Deines Vaters verfolgt, heute verbuchst Du ihn für einen Auftritt in Eurem Wolters Applausgarten. Wie fühlt sich das an, den Vater auf der eigenen Bühne zu begrüßen?

Paul: Ich sage es mal so: Es war nicht unbedingt mein Plan, auch in der Branche zu landen (lacht). Ich studierte Politikwissenschaften und landete dann über ein Praktikum in eben jener Veranstaltungswelt. Nun habe ich natürlich auch über die Frage nachgedacht, ob es seltsam ist wenn der Vater auf der eigenen Bühne steht. Und ich finde: Es wäre komisch, wenn er es nicht tun würde. Übrigens geht auch in diesem Fall alles seinen regulären Weg. Ich frage beim Management meines Vaters nach einem Termin an, auch wird eine reguläre Gage gezahlt.

Heinz Rudolf: Klingt ein bisschen so, als wäre er in die Branche reingeschlittert. Als Vater würde ich sagen, dass seine Affinität für diese Szene schon früh deutlich wurde. Er ist zwar auf der anderen Seite des Schreibtisches gelandet, dennoch liebt er die Musik auch wahnsinnig dolle.

Paul, was hat Dich eigentlich bewogen Dich gerade in Corona-Zeiten selbstständig zu machen?

Paul: Es war eine Vielzahl an Faktoren, die in kurzer Zeit zu diesem Beschluss geführt hat. Es gab eine Reihe von Veränderungen, die bei undercover passiert sind, mit denen ich mich nicht mehr so recht identifizieren konnte. Dazu kam die Tatsache, dass ich mit Menschen ins Gespräch gekommen bin, die meine Idee der Selbstständigkeit wirtschaftlich interessant fanden und darin ebenfalls eine Perspektive gesehen haben. Die Pandemie hat dabei als Katalysator funktioniert.

Was glaubst Du denn, was die Pandemie mit der Branche macht? Werden sich in Zukunft andere Formate etablieren?

Paul: Erst einmal glaube ich, dass Formate, wie sie mein Vater mit seinem Soloprogramm hat, auf jeden Fall schnell wieder gut funktionieren werden. Ich tue mich allerdings schwer mit der Vorstellung, dass wir rasch eine Rückkehr zu Clubshows oder Stehplatz-Veranstaltungen erleben. Wo ich mir allerdings ziemlich sicher bin: Hybride Veranstaltungen sind im Kulturbereich nicht die Zukunft. Da wo der Informationsgehalt im Vordergrund steht mag das interessant sein die Veranstaltung digital zu verlängern und sie Menschen zugänglich zu machen, die nicht vor Ort dabei sein können – aber beim Live-Musikevent geht es einfach darum richtig dabei zu sein. Wenn man den Ton nicht richtig im Trommelfell sprüht, dann ist es einfach etwas anderes. Sicher wird es in Zukunft auch einen Markt für Streams dieser Art geben, ich denke aber nicht, dass das ein Massenphänomen wird.

Greifen wir mal das Schlagwort dieser Ausgabe auf: Agilität. Wie dynamisch ist Eure Branche denn?

Heinz Rudolf: Die Branche hat das Wort Agilität ja fast erfunden, weil wir ständig unter dem Druck der Veränderung stehen. Wir müssen uns neu erfinden – und zwar andauernd.

Paul: Die Einzigen, die das vielleicht nicht müssen, sind die Club- und Hallenbetreiber.

Heinz Rudolf:…und AC/DC (lacht).

Was würde der Branche denn aktuell helfen? Neue Förderprogramme? Öffnungsperspektiven?

Heinz Rudolf: Ich bin der Meinung, dass unsere Medien wieder mehr für Musik aus Deutschland tun könnten. Mehr Sendeplatz in Radio und Fernsehen – und nicht weniger, wie es im Augenblick der Fall ist. Ein zweiter Aspekt wäre eine konsequentere Verfolgung von Hygienekonzepten und Testkonzerten, die wissenschaftlich fundiert realisiert werden und neue Erkenntnisse liefern können. Und darüber nicht nur reden, sondern es auch machen.

Paul: Viele Förderprogramme greifen relativ gut. Das Problem ist aber, dass viele, die davon abhängig sind, in zweiter oder dritter Reihe stehen und deshalb nicht wirklich erfasst werden. Eine Technik-Dienstleistungsfirma ist nach meiner Kenntnis beim Finanzamt unter „sonstige Dienstleistungen“ gelistet. Wie willst Du solche Akteure dann vernünftig auswerten und sie zielgerichtet ansteuern?

Paul, was für Veranstaltungsformate habt Ihr nebst Applausgarten für die Zukunft noch so geplant?

Paul: Da gibt es viele Ideen, die noch in der Vorbereitung sind. Was ich aber sagen kann: Wir werden sicherlich viel rund um das Wolters-Areal arbeiten – das ist ein logistischer Traum. Komplett eingezäunt, Strom in ausreichenden Mengen sowie ein leerstehendes Gebäude, das wir als Backstage-Bereich nutzen können. Außerdem ist das Gelände einfach superschön.

Heinz Rudolf, wie wird es denn für Dich sein im Applausgarten Deines Sohnes zu spielen?

Heinz Rudolf: Ich bin stolz. Und ich bin schon immer sehr stolz auf meinen Sohn gewesen. Er arbeitet ausgesprochen professionell, ist von den Abläufen her sehr strukturiert und kennt sich einfach gut aus. Es ist ein schönes Gefühl.

HINWEIS: Alle Termine vom Wolters Applausgarten gibt es auf www.woltersapplausgarten.de, weitere Informationen zu Applaus Kulturproduktionen auf www.applaus-kulturproduktionen.de. Aktuelle Informationen zu den Alben und Touren von Heinz Rudolf Kunze sind auf www.heinzrudolfkunze.de zu finden.

Falk-Martin Drescher

studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.

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