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Y-JOBS

21. Februar 2017

Die Mühen der gelebten Vielfalt

"Shit happens – mal bist Du die Taube, mal bist Du das Denkmal."

(Fotografie: fotolia/itsaun)

Die meisten von uns wissen die Vielfalt des Lebens in unserer Region zu schätzen. Ist das Zufall oder eine gewollte Entscheidung? Wie können wir die Vielfalt bewahren? Wollen wir sie ausbauen oder eher reduzieren?

Gutes Leben ist eine Daueraufgabe

Eine Stadt ist mehr als die Ansammlung von Individuen. Sie lebt von den unterschiedlichen Menschen, der Art und Weise, wie sie sich vernetzen und ganz besonders von ihren Aktivitäten. Die Behauptung „Vielfalt ist schön und wichtig“ ist schnell aufgestellt, doch dieses Ideal muss täglich wieder aufs Neue verwirklicht und verteidigt werden. Das ist nicht immer einfach.

Allen Menschen ist Sicherheit und Kontinuität wichtig (wir können es auch Ordnung oder Verlässlichkeit nennen). Darüber hinaus wünschen sie sich aber auch Wachstum, Abwechslung und Veränderung. Da ist es gut, dass wir in einer Region mit einer Werteordnung leben, in der die Verwirklichung dieser Wünsche durchaus realistisch erscheint, auch wenn sie uns nicht in den Schoß fällt. Für das, was wir brauchen oder was uns wichtig ist, müssen wir oft hart arbeiten, zumindest sobald wir erwachsen sind. Vieles schaffen wir allein, doch gemeinsam sind wir leistungsfähiger, können wir einfach mehr erreichen. Schon Aristoteles wusste: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.

Gemeinsamkeit macht stark

Die hilfreichsten Eigenschaften sind dabei die Kommunikationsfähigkeit und das Sozialverhalten. In der Gruppe ist die Vielfalt an kreativen Einfällen und Fähigkeiten einfach größer. Deshalb sind die Ergebnisse einer Gruppe meist besser als die eines Einzelnen.

Wissenschaftlich wird das Phänomen heute Emergenz genannt, womit das Herausbilden von neuen Eigenschaften oder Strukturen in einem System beschrieben wird. Je freier die unterschiedlichen Kräfte miteinander agieren, desto überraschender sind die Erfolge. Wichtig ist, dass sich die Energien möglichst konstruktiv ergänzen und nicht gegenseitig ausbremsen. Gegenseitiges Interesse, Respekt und Wertschätzung sind daher Voraussetzungen für die Erreichung der Ziele. Genauso erforderlich ist ein Rahmen, in dem Begegnung, Austausch und Aktionen möglich sind.

Orte der Selbstverwirklichung

Unsere sichere Basis ist erst einmal unser Zuhause. Da wir soziale Wesen sind, ist uns auch die Zugehörigkeit zu anderen Menschen wichtig. Betriebe, Schulen, Vereine, Verbände, Organisationen, Fan-Clubs, Selbsthilfegruppen, Religionsgemeinschaften und Parteien sind Möglichkeiten für Begegnung, Austausch und Aktion. Sie bilden die Bühnen für unser tägliches Leben. Jeder kann darauf verschiedene Rollen spielen, sich mit seinen Fähigkeiten einbringen und sich dabei durch sein Tun selbst verwirklichen. Das ist zumindest der Idealfall eines guten Lebens. Wenn dem (noch) nicht so ist, so besteht immer die Möglichkeit, daran zu arbeiten, dass sich etwas ändert.

Optimismus und Realitätssinn

Mir ist bewusst, dass diese Weltsicht sehr optimistisch, ja vielleicht sogar idealistisch ist, aber woran wollen wir uns orientieren? Nur an dem jetzigen Zustand oder an dem, was noch möglich ist? Das Leben ist und bleibt eine Herausforderung, die uns in der Regel gelingt, bei der wir gelegentlich auch anecken. Dr. Eckhard von Hirschhausen hat das einmal so schön ausgedrückt: Shit happens – mal bist Du die Taube, mal bist Du das Denkmal. Auch wir machen uns oft genug Anderen gegenüber schuldig. Oft nicht absichtlich, sondern einfach aus Gedankenlosigkeit, oder weil wir es in dem Moment einfach nicht besser wussten oder konnten. Dann bin ich Mensch und darf es auch sein, denn nur die Götter sind unfehlbar. Wer das für sich erkannt hat, der braucht auch im Spannungsfall sein Gegenüber nicht herabwürdigen, sondern kann auf Augenhöhe gemeinsam an einer konstruktiven Lösung arbeiten.

"Aber woran wollen wir uns orientieren? Nur an dem jetzigen Zustand oder an dem, was noch möglich ist?"

Der Preis der Vielfalt

Vielfalt kann daher nur mit einer Toleranz gegenüber fremden Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten gelingen. In einer offenen und vielfältigen Gesellschaft werden wir öfter mit Dingen konfrontiert, die nicht unseren eigenen Wünschen und Wertvorstellungen entsprechen. Wenn wir die offensichtlichen Vorteile von Vielfalt genießen wollen, müssen wir uns auch mit den Folgen arrangieren. Das Wort Toleranz kommt aus dem Lateinischen (tolerare) und bedeutet so viel wie ertragen, erdulden, aushalten. Dieser Wesenszug ist uns nicht immer in die Wiege gelegt, aber wir können Toleranz im gesellschaftlichen Umgang kultivieren. Wenn wir uns Mühe geben und Achtsamkeit für einen wertschätzenden Umgang miteinander ent­wickeln, dann können wir den in den letzten Jahren eingeschlagen Weg der konstruktiven Vielfalt auch weiter fortsetzen. Wir sollten uns nicht von den Gegnern der Vielfalt Bange machen lassen, die zurück in die vermeintlich „gute alte Zeit“ wollen, doch davon mehr in meinem nächsten Artikel.

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