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Y-JOBS

7. April 2022

Das Braunschweig - Wolfsburg - Sofa

Verantwortung

(Fotografie: Andreas Rudolph)

Die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht. Oder auch: Die Verpflichtung, für etwas geschehenes einzustehen.

Sowohl Pablo Thiam, Leiter Sport VfL-Fußball Akademiesowie Integrations­beauftragter des VfL Wolfsburg, als auch Dr. Priti Graumann-Ubale, Psychologin sowie Teambuilding-
und Führungskräfte-Coach aus Braunschweig, begegnen in ihrer Arbeit täglich diesem schwergewichtigen Thema. Beide auf ihre eigene Art und Weise. So unterschiedlich ihre Branchen auch sein mögen, die Ausgestaltung des Begriffs Verantwortung eint sie. Auf dem STADTGLANZ-Sofa sprachen sie über Werte, gesunden Egoismus und den Einsatz für Umwelt sowie Gemeinschaft.

Wie würden Sie den Begriff Verantwortung für Ihre Arbeit ableiten? 

Thiam: Zunächst einmal bin ich für viele junge Menschen verantwortlich. Ich kann sie dabei nur geringfügig beeinflussen, ob sie Profispieler werden – aber ich kann beeinflussen, dass sie bestimmte Themen fürs Leben mitbekommen. Das ist eine immense Verantwortung, die wir beim VfL Wolfsburg gemeinsam mit den Pädagogen, Trainern, Mitarbeitern, versuchen zu vermitteln. 

Graumann-Ubale: Wenn ich als Organisationsentwicklerin arbeite, dann ist es wichtig, dass das Thema der Selbstverantwortung und zugleich der geteilten Verantwortung stattfindet. Das findet in Unternehmen wie auch in Familien oder Beziehungen statt. Ich denke, dass beides unmittelbar miteinander zusammenhängt – daher sind beide Perspektiven wichtig.

Parallel zu Masterthemen wie Globalisierung und Individualisierung lässt sich an vielen Stellen auch ein zunehmender Egoismus feststellen. Wie nehmen Sie das wahr? 

Thiam: Ich glaube, dass jeder Mensch unterschied­lich ist. Individualisierung bedeutet dabei für mich, auf jeden Einzelnen individuell einzugehen. Fakt ist aber auch, dass, wenn man weiterkommen will, Wille und Ehrgeiz an den Tag gelegt werden muss. Eine gewisse Portion Egoismus muss also auch vorhanden sein. Damit man an sich arbeitet und sich unabhängig von anderen pusht. Trotzdem kann man sich mit diesem Gedanken einer Mannschaft unterordnen und Leistung erbringen. Auf dem Fußballplatz wie auch in der Gesellschaft ist man nicht alleine – man will etwas einbringen und davon profitieren, gewinnen allerdings kann man nur in der Gemeinschaft.

Graumann-Ubale: Ich glaube, dass es Individualismus und Egoismus schon immer gab. Sonst hätten wir keine Kriege und historisch betrachtet auch viele andere Ereignisse nicht gehabt. Persönlich denke ich, dass diese beiden Themen viel mit dem Selbstwertgefühl zu tun haben. Wenn du ein gutes Selbstwertgefühl hast, dann kannst du ein wichtiges Bedürfnis erfüllen: Geborgenheit. Und wenn du genau das hast, dann hast du die Grundlage für eine individuelle Freiheit. Insgesamt empfinde ich, dass die Aspekte viel mehr miteinander zusammenhängen, als man denken mag.

Gibt es bestimmte Synergieeffekte in der regionalen Zusammen­arbeit, die aus Ihrer Sicht noch ungenutzt sind? 

Thiam: Ich finde es schade, dass gewisse sportliche Rivalitäten – etwa mit Braunschweig und Hannover – derart negativ gesehen werden. Aus meiner Sicht ist es eher so, dass wenn man an einem Standort wie Niedersachsen Bundesligisten hat – Mannschaften mit einer hohen Qualität und starken Jugendteams –, man eine sportlich starke Präsenz hat und das auch gemeinsam vorzeigen kann. 

Graumann-Ubale: Die jeweiligen Branchen sind in sich gut vernetzt, ich sehe aber noch Potenzial in dem Austausch zwischen den unterschiedlichen Bereichen sowie Themen zwischen sozialem Bereich und Umweltschutz, Jugendlichen und Infrastruktur, Green Economy und Digitalisierung. Das könnten Quellen für viele neue Sichtweisen und Möglichkeiten sein.

Sie haben beide auf Ihre eigene Art und Weise in Ihrer Arbeit mit Teambuilding zu tun. Welche Werte sind Ihnen dabei in der Vermittlung vorrangig wichtig? 

Thiam: Wir haben für alle Mannschaften und Mitarbeiter beim VfL Wolfsburg sieben Werte formuliert, die auch überall in unseren Spiel- und Arbeitsstätten präsent sind. Dazu zählen Kommunikation, Zielklarheit, Freude und Spaß, Vertrauen, Zusammenhalt, Siegermentalität und auch Verantwortung.

Graumann-Ubale: Ganz klar: Ehrlichkeit. Wenn ich mit meinen Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen mir gegenüber ehrlich bin – habe ich eine Basis für den aufrichten Austausch mit anderen. Erst dann können Vertrauen und Respekt entstehen. Und ich meine die Ehrlichkeit, wenn es wirklich wichtig ist. Das braucht viel Mut. Wie sollen wir in Gesellschaft, Teams, Unternehmen funktionieren, wenn wir nicht einmal in Beziehungen oder Familien ehrlich zueinander sein können?

Gibt es bestimmte Werte, die in der Gesellschaft Ihrer Meinung nach zu häufig auf der Strecke bleiben? 

Thiam: Ich denke, dass wir schon viel abdecken. Worauf wir allerdings besonders viel Wert legen, ist das Thema Kommunikation. Das ist die Basis für so vieles, aufeinander zugehen, sich anderen gegenüber öffnen. Das fehlt in der Gesellschaft heute zu oft, es findet zu wenig Kommunikation statt – das führt etwa dazu, dass Populisten Themen ausschlachten, die nur Angst und Missgunst erzeugen. 

Graumann-Ubale: Ich würde gerne auf das Selbstwertgefühl eingehen. Wenn wir alle ein gutes Selbstwert­gefühl hätten – dann hätten wir aus meiner Sicht Weltfrieden. Mit dieser Basis müsste ich andere nicht klein machen, gäbe es keinen Narzissmus und könnte andere Ideen und Positionen akzeptieren.

Kommen wir noch zu zwei ganz aktuellen Themen im Kontext Verantwortung. Themen wie Umwelt, Nachhaltigkeit und die Zukunft unserer Erde werden heutzutage vermutlich so sehr diskutiert wie nie zuvor. Was muss da aus Ihrer Sicht im Kopf jedes Einzelnen geschehen?

Thiam: Meiner Meinung nach müsste jeder wissen, dass alles, was wir auf der Erde vorfinden, auch irgendwo endlich ist. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir sollten dankbar über die Möglichkeiten sein, gleichwohl wissen, dass nicht alles selbstverständlich ist. Was den VfL betrifft, kann man – denke ich – ganz gut an unserem Corporate Social Responsibility-­Bericht ablesen, wie wichtig uns das Thema ist. Das ist Teil unserer Verantwortung als Fußballclub mit entsprechender Reichweite. Wir wollen eine nachhaltige Aufgabe erfüllen.

Graumann-Ubale: Irgendwie ist es komisch – ich habe dazu ein geschärftes Bewusstsein, trotzdem fliege ich in den Urlaub oder bestelle etwas auf Amazon. Warum machen wir das? Wir können uns alles selbst rechtfertigen, legen uns alles selbst zurecht. Wir müssen uns unsere Entscheidung bewusst machen: Ich schmeiße gerade Essen weg oder kaufe günstig produzierte Kleidung. Und wir brauchen entsprechende Strukturen. In Frankreich wurde Übergewicht zum größeren Problem. Was hat man gemacht? Einfach die Süßigkeiten höher versteuert. Und was man auch nie vergessen darf: Es ist wie mit dem Sicherheitsgurt. Wenn du dich nicht anschnallst und dann bei einem Unfall andere erfasst, dann hat deine Entscheidung unmittelbaren Einfluss auf andere. So ist es im Kontext Umwelt mit ganz vielen Themen.

Machen wir noch einen Schwenk zum Themenfeld Digi­talisierung. Prozesse werden digitalisiert, automatisiert, Roboter nehmen uns Arbeit und Aufgaben ab. Wenn aber mal etwas passiert, tut man sich noch mit der Schuldfrage schwer. Wie beurteilen Sie das? Wollen Sie in der Zukunft von einem autonomen Fahrzeug gefahren oder am Altenbett von einem Roboter gepflegt werden?

Thiam: Es gibt viele Entwicklungen in der Welt, die man vielleicht persönlich nicht unbedingt gutheißt – aber eben auch nicht aufhalten kann. Ich würde es anders sehen: Die Chancen durch die Digitalisierung können in bestimmten Bereichen auch entlastend sein. Sie kann vielleicht dazu verhelfen, dass wir etwa umweltschonender agieren. Bei allen weiteren Themen die noch kommen, bin ich genauso gespannt wie alle anderen. Passieren durch entsprechende Automatisierungen später weniger Unfälle? Das ist eine von vielen Fragen, die sich heute schwer abschätzen lässt. Deshalb fällt es mir schwer, im Vorhinein die Tragweite zu beurteilen. Ich wünsche mir nur, dass alle Entwicklungen im Sinne der Menschheit und unseres Planeten sind.

Graumann-Ubale: Wir sind unglaublich innovative undkreative Menschen. Technologischen Fortschritt werden wir deshalb niemals aufhalten können. Wir sind einfach zu neugierig. Ob das gut oder schlecht ist, können wir an dieser Stelle nicht wirklich bewerten. Mit Blick auf das autonome Fahren muss ich daran denken, dass wir in Flugzeugen auf tausenden Metern Höhe bereits auf den Autopiloten vertrauen. Unser Problem ist, dass wir immer in „Entweder-­oder“ denken. Ich habe Assistenzsysteme und kann trotzdem selbst fahren. Ich besitze einen Kindle und kann trotzdem ein analoges Buch lesen. Ich kann Filme streamen oder ein altes Video gucken. Wir können die analoge und die digitale Welt gut durchaus verbinden. Zwischen schwarz und weiß ist bunt – so ist es auch zwischen diesen beiden Sphären.

Dr. Priti Graumann-Ubale 
Wurde im Jahre 1964 in London Jahre geboren. Aufgewachsen in Großbritannien und Kanada, lebt sie jetzt seit 25 Jahren in Deutschland. Sie ist verheiratet und hat 1 Kind. Seit 2009 ist Frau Dr. Graumann-­Ubale im Bereich Teambuilding für Teams unterschiedlicher Hierarchien und Branchen selbständig tätig.

Pablo Thiam 
Ist 1974 in Conakry, Guinea, geboren. Er wuchs in Bonn auf und begann dort seine Fußball Karriere. Für die Nationalmannschaft Guineas spielte er 31-mal. Über die Vereine 1.FC Köln, VfB Stuttgart und Bayern München wechselte er 2003 zum VfL Wolfsburg. 2008 beendete er dort seine Karriere und wurde im Verein Funktionär.

Falk-Martin Drescher

studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.

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