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Y-JOBS

22. Oktober 2021

Wissenschaft in Zeiten von Corona

Die Perspektive eines Grundlagenforschers

(Fotografie: Jérémy Decomble)

Was ist eigentlich für Sie persönlich das Besondere an dieser Pandemie verglichen mit früheren Pandemien oder Epidemien?

Eines gleich vorweg: Ich bin kein Virologe, sondern ein sich mit Infektionsthemen beschäftigender Zellbiologe, der sich in seiner Forschung auch genetischer Methoden bedient. Das Fachgebiet der Epidemiologie interessiert mich sehr, entspricht aber nicht meiner engeren Forschungstätigkeit.

Zu Ihrer Frage: Die Menschheit wurde in ihrer jüngeren Geschichte schon häufiger mit Epidemien konfrontiert, zwar selten in Form einer globalen Pandemie wie hier, aber das Besondere an der Situation mit dem SARS-CoV-2 Virus ist, dass wir die Entwicklung von Infektions- und Krankheitsverläufen bis hin zu Todesfällen in nie dagewesenem Ausmaß in breiter Öffentlichkeit mitverfolgen können. Das liegt einerseits an der sehr schnellen Entwicklung eines verlässlichen Testnachweises (vor allem durch das Labor von Prof. Drosten von der Charité in Berlin) und seinem weltweiten, einheitlichen Einsatz, und andererseits an der tagesaktuellen, öffentlichen Zugänglichkeit diverser Infektionsdaten über Internet-Seiten wie die der Johns-Hopkins-University in den USA.

Also abgesehen von den allseits bekannten, nie dagewesenen Maßnahmen und Einschränkungen, die Entscheidungsträger durchgesetzt haben, um dem Voranschreiten der Pandemie entgegenzuwirken, ist das Besondere für mich auch die enorme Polarisierung in unserer Gesellschaft sowie die unterschiedlichen Ansätze des Umgangs mit den Problemen und Herausforderungen, verursacht durch diese Pandemie. Das enorme Leid und die Schäden, die einerseits durch die Infektionen selbst und andererseits durch deren Vermeidung in diversen lockdowns hervorgerufen wurden, lassen sich noch nicht beziffern. Vermutlich werden wir noch Jahre der Nachbearbeitung benötigen, auch wenn ich sehr positiv in die Zukunft blicke, nicht nur die effektiven Impfstoffe im Blick habend.

Wie funktionieren eigentlich die jetzigen Corona-Impfstoffe?

Das ist sehr unterschiedlich. Die Erfolgreichsten auf dem Markt sind ohne Zweifel die Impfstoffe der Mainzer Firma Biontech und seines US-Partners Pfizer sowie der US-Firma Moderna. Beide Hersteller halten bislang mindestens bedingte Zulassungen für Stoffe, die sich der neuen mRNA-Technologie bedienen. Bei diesen wird vereinfacht gesagt der genetische Code für das Oberflächeneiweiß Spike von SARS-CoV-2 verimpft. Der Code liefert also den Bauplan für die Herstellung dieser unserem Immunsystem bislang unbekannten Oberflächenstruktur dieses Coronavirus, und schärft daher die Sicht unserer Körperabwehr für künftig eindringende Viren. Im Gegensatz dazu handelt es sich beim Impfstoff der Hersteller Astrazeneca sowie Johnson&Johnson oder auch beim russischen Impfstoff Sputnik V um sogenannte Vektorimpfstoffe, bei denen im wesentliche wieder das Spike-Protein in harmlose Fremdviren verpackt unserem Immunsystem angeboten wird. Kurz vor der Zulassung stehen inzwischen auch traditionellere Ansätze, die aber oft aufwändiger und damit teurer in der Herstellung sind, wie das Protein selbst, im Falle der US-Firma Novavax, oder auch ganze Totviren wie beim französisch-österreichischen Impfstoffhersteller Valneva. All diese Verfahren haben Vor-und Nachteile in Herstellung, Lagerung und Transport, und werden daher wohl global in komplementärer Art und Weise zum Einsatz kommen. In Zukunft potentiell am schnellsten anpassbar an möglicherweise auftretende neue Virusvarianten ist für mich jedoch die mRNA-Technologie.

Wie wird sich die Verbreitung des Corona-Virus wohl entwickeln, ist ein Ende abzusehen oder auch wahrscheinlich?

Ich bin Optimist, ich denke, wir haben das Schlimmste überstanden. Ich möchte das Virus und COVID-19 nicht verharmlosen, aber mit steigender Impfquote und natürlich auch steigenden Zahlen an Genesenen in der Bevölkerung wird der Prozentsatz der schweren Verläufe im Vergleich zu vorhergehenden Infektionswellen sinken, vor allem in gefährdeten Bevölkerungsschichten. Spätestens bis zum Frühjahr wird es auch Impfstoffe für Klein- und Kleinstkinder geben, sodass auch hieraus ein zusätzlicher Beitrag zum Abflauen der Pandemie erwachsen kann. Schätzungen von Experten haben ergeben, dass bei einer vernünftigen Durchimpfung der Bevölkerung der Prozentsatz von Erkrankungen und schweren Verläufen in der Bevölkerung um mindestens 90% gedrückt werden kann – dies kann mittelfristig jedoch Auffrischungsimpfungen erfordern. Insgesamt bin ich aber der Meinung, dass wir all dies stemmen werden! Das Virus hat eine stark saisonale Komponente, mindestens in Europa, sodass nach einem Winter mit hoffentlich weniger schweren Verläufen (als in der 2. Welle des vergangenen Winters) wir auf einen entspannteren Sommer 2022 zulaufen werden.

Gibt es/erwarten Sie (positive oder negative) Kollateraleffekte (mehr/weniger Impfbereitschaft, mehr Geld für Infektionsforschung, mehr Studenten)?

Es gibt eine Vielzahl von Kollateraleffekten in dieser Pandemie, die meisten allerdings eher negativ als positiv. Ich sehe die schon oben angesprochene, äußerst ausgeprägte Polarisierung der Gesellschaft mit Sorge, und halte wenig davon, Menschen unter Druck zu setzen oder mit Argumenten der Angst zu konfrontieren. Die Wissenschaft muss aufklären und erklären, jeden Tag, aber wir müssen die Gesellschaft auch in ihrer Gesamtheit mitnehmen, Skepsis mit Geduld und Gelassenheit begegnen, und nicht mit Aggression. Ein Beispiel: Wenn ich weiß wie mein Immunsystem funktioniert, ist eine Impfung nichts Künstliches oder Besorgniserregendes, sondern ein genialer Trick, unserem Immunsystem dabei zu helfen, Fremdes von Körpereigenem zu unterscheiden und damit dieses Virus schon beim Erstkontakt auszuschalten. Impfungen haben dazu geführt, Geißeln der Menschheit wie Kinderlähmung (Polio-Virus) oder auch Pocken (Variola-Virus) von diesem Planeten weitestgehend zu eliminieren. Wir müssen lernen, mehr positiv als negativ zu argumentieren und dürfen den Menschen nicht das Gefühl geben, sie hätten keine Kontrolle über ihren Körper. Ich hoffe also, dass sich mit dieser Logik die Impfbereitschaft noch wird steigern lassen, was entscheidend für die Geschwindigkeit der Bewältigung dieser Krise sein wird. Für mehr Geld in der Infektionsforschung oder mehr Studierende gibt es im Moment wenig Anzeichen, das ist aber auch nicht das Entscheidende! Viel wichtiger ist, dass wir uns klarmachen, wie wichtig Grundlagenforschung für unsere Gesellschaften ist, denn nur mit Wissen und Innovation können wir derartigen Krisen wie Pandemien oder auch der gewaltigen Klimakrise angemessen begegnen.

Wie stehen Sie zur Impfung von Kindern (und Jugendlichen)?

Das wird vermutlich bereits aus meinen obigen Ausführungen klar. Ich habe meine 14-jährige Tochter bereits vor der allgemeinen Stiko-Empfehlung impfen lassen. Als Biologie sehe ich das ganz pragmatisch. Argumente, die ich beispielsweise von Ethikern höre, dass der individuelle Vorteil von Kindern aufgrund ihrer häufig milderen Krankheitsverläufe geringer einzuschätzen wäre oder sogar nicht verantwortbar, kann ich nur schwer nachvollziehen! Ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir alle Eventualitäten bis ins kleinste Detail gegeneinander ausspielen. Auch bei Kindern gibt es long Covid (also Langzeit-Probleme nach einer Coronavirus-Infektion), wenn auch sehr selten, und ich halte die Möglichkeit für Kinder, wieder angemessenen Schulunterricht zu genießen und Kontakt zu ihren Mitschülern für entscheidender als die Frage, ob man ihnen als Gesellschaft eine Impfung zumuten kann gegen eine Krankheit, von der sie selbst zwar weniger häufig schwer betroffen sind, die sie aber übertragen können.

Was sagen Sie zu der Berichterstattung über Ihr Fachgebiet / über die Weise, wie Wissenschaft funktioniert? Wie würden Sie beschreiben, wie Wissenschaft funktioniert? Was bedeutet „wissenschaftlicher Streit“ für Sie?

Auch hier sind erstaunliche Dinge passiert seit Beginn der Coronakrise. Die Berichterstattung über Wissenschaft sowie das Ausmaß der Medienpräsenz einiger Kolleg:innen war einerseits aufgrund der Dimension und Dynamik dieser Krise nachvollziehbar, aber andererseits dennoch überraschend für mich. Dies hat zwar nichts daran geändert wie Wissenschaft funktioniert, aber die Berichterstattung darüber in der breiten Öffentlichkeit natürlich schon. Erkenntnisgewinn in der Wissenschaft, beispielsweise in der experimentellen Biologie, erfolgt seit Jahrhunderten über die Entwicklung einer Hypothese darüber, wie ein bestimmter Prozess funktioniert, und den anschließenden Versuch, diese Hypothese zu bestätigen oder zu widerlegen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden in regelmäßigen Abständen aufgeschrieben und veröffentlicht, aber nicht bevor sie durch ein Fachkollegium auf Herz und Nieren überprüft wurden (der sogenannte peer-review Prozess). Daran hat die Coronakrise nichts geändert. Aber wie immer wenn Menschen beteiligt sind, gibt es natürlich Probleme: Beispielsweise unfaire Kolleg:innen, die einem aus Konkurrenzgründen Erkenntnisse schlecht reden oder für ihren eigenen Vorteil missbrauchen wollen, und wissenschaftliche Magazine, bei denen wirtschaftliche Interessen oder auch Modetrends oft wichtiger erscheinen als die Qualität einer gegebenen wissenschaftlichen Arbeit. Dies hat in den letzten Jahrzehnten in den Naturwissenschaften zu häufig beklagten, langwierigen Begutachtungsverfahren geführt. Als Ausweichmöglichkeit hat sich vor wenigen Jahren, also nur kurz vor Beginn der Coronakrise, die sogenannte Vorveröffentlichung von Manuskripten auf speziellen Internetseiten etabliert (auf sogenannten Preprint-Servern wie Bioarchives), also in Rohform, d.h. ohne wissenschaftliches Magazin und – am Wichtigsten – ohne Begutachtung durch ein Fachkollegium. Das ist phantastisch für mich als Wissenschaftler, da ich in einer sehr frühen Phase der Veröffentlichung meine Daten quasi „geschützt“ mit Kolleg:innen weltweit teilen kann, und auch schneller als in der Vergangenheit die neuesten Erkenntnisse meiner Konkurrent:innen einsehen kann, ohne natürlich diese zu missbrauchen. Es gibt aber auch Nachteile: Ich war sehr überrascht zu sehen in der Coronakrise, wie Daten aus diesem Stadium der Veröffentlichung, d.h. ohne weitere Überprüfung, aufgrund des enormen, öffentlichen Interesses und der Aktualität als sozusagen anerkannte Fakten in die allgemeine Bevölkerung hineingetragen wurden. Und dies, ohne dass die Bevölkerung die Chance gehabt hätte, zu verstehen, ob sie diese Informationen nun als gegeben hinnehmen sollte, oder einfach nur als Hypothese einzelner Kolleg:innen, die aber noch nicht von international anerkannten Experten überprüft wurde. Das halte ich für eine Fehlentwicklung, und ich hoffe, dass künftig – auch von Journalisten – deutlicher unterschieden wird zwischen Erkenntnissen, die überprüft sind und solchen, die nur vor-veröffentlicht wurden. Zum wissenschaftlichen Streit: Also die wissenschaftliche Kontroverse – wenn unter Kolleg:innen fair ausgetragen, ist die Triebfeder jedes wissenschaftlichen Fortschritts, da sie uns hilft, unsere Gedanken und Hypothesen zu schärfen und noch genauer als ohnehin aus eigenem Antrieb zu überprüfen. Ich liebe es, neue Daten meiner Gruppe erstmalig vor Fachkolleg:innen zu präsentieren, beispielsweise auf einer großen Konferenz; je provokanter desto besser, und je mehr Aufmerksamkeit oder vielleicht auch Gegenwind unsere Daten hervorrufen, desto mehr hilft mir das, kritisch meine eigenen Interpretationen und Schlussfolgerungen zu rekapitulieren. Das ist es, was Wissenschaft ausmacht, und nicht das selbstgefällige Grübeln im Hinterzimmer.

Wie sehen Sie den Stand der Diskussion zum Ursprung des COVID19-Virus?

Ich habe sehr wenig Zweifel, dass es sich bei SARS-CoV-2 um eine klassische Zoonose handelt, also um einen von Tieren auf den Menschen übergesprungenen Erreger. Das ist nichts Ungewöhnliches, aber steigt in seiner Häufigkeit einfach auch deshalb, weil Menschen immer weiter in Lebensräume von Wildtieren vordringen.

Können Sie uns kurz erklären, wie CRISPR/Cas9 funktioniert? Was für Hoffnungen sind damit verbunden? Was funktioniert schon? Was wurde versucht und hat nicht funktioniert?

Ja, ich kann dazu aber auch einen tollen Film empfehlen von mindjazz pictures, und mit Namen Human Nature: Die CRISPR Revolution, den ich kurz vor der Coronakrise bei einer Aufführung in Leipzig als Experte mitkommentieren durfte. Die CRISPR-Technologie bedient sich vereinfacht gesagt einer Maschinerie aus Bakterien, die es diesen Mirkoorganismen, die ebenfalls von Viren befallen werden können, ermöglicht, virale Sequenzen wiederzuerkennen, und damit schnell zu eliminieren – sozusagen ein urzeitliches Immunsystem aus Bakterien. Auch hier spielen spezifische RNA-Sequenzen eine Rolle, welche ganz bestimmte Stellen des Erbguts, welches aus DNA besteht, binden, und die aufgrund ihrer Kopplung an eine molekulare Schere (dem Cas9-Enzym), diese Erbgutsequenz angreifen. CRISPR/Cas9 ist also ein präzises und extrem effizientes Werkzeug zur gezielten Erbgutveränderung, und kann inzwischen auch in tierischen oder menschlichen Zellen eingesetzt werden. Der Einsatz in der Medizin steht allerdings erst am Anfang, wobei es schon erste, vielversprechende Erfolge gibt. Der Einsatz in Zellen des Blutes, da diese leicht vom Rest des Körpers getrennt, verändert und wieder in den Körper rückgeführt werden können, ist dabei bereits eine ganz konkrete Anwendungsmöglichkeit. Bei der Sichelzellanämie, die durch eine einzige Punktmutation im Hämoglobin der roten Blutkörperchen hervorgerufen wird, werden schon jetzt CRISPR-Therapien in klinischen Studien getestet. Solche Ansätze werden vermutlich zeitnah breite Anwendung finden. Schwieriger einzusetzen ist die Technologie natürlich aber bei schon fertig ausgebildeten Geweben, die sich nicht so schnell erneuern wie Blutzellen. Vermutlich unmöglich gentechnologisch behandelbar hingegen sind Defekte, die sich bereits in der Entwicklung manifestiert haben.

Wie ist Braunschweig und unsere Region bei dieser Forschung aufgestellt? Frau Charpentier ist ja leider weggegangen.

In der Medizinischen Anwendung gibt es weltweit nur wenige Firmen, die sich ausschließlich auf die Technologie fokussieren, aber Frau Charpentier ist am Schweizer, auch börsennotierten Unternehmen CRISPR Therapeutics beteiligt. Der Weggang von Frau Charpentier vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Stöckheim so kurz vor Erhalt ihres Nobelreises für die Entdeckung von CRISPR/Cas9 (gemeinsam mit der Biochemikerin Jennifer Doudna aus den USA) war natürlich schlechtes Timing für die Region. Neben der genannten medizinischen Anwendungen ist die Technologie aber vor allem bahnbrechend für die Grundlagen- oder auch Infektionsforschung, und wird auch in meinem Labor und von einer Vielzahl meiner Kolleg:innen weltweit eingesetzt. CRISPR/Cas9 hat uns ermöglicht, auf zellulärer Ebene praktisch beliebig Gene auszuschalten und damit in ihrer Funktion zu erforschen; auch die molekularen Ursachen von krankheitsauslösenden Genveränderungen können höchst effizient und kostengünstig erforscht werden. Auf diesem Gebiet ist die Region Braunschweig/Hannover, die übrigens europaweit mit die größte Dichte an in Forschung und Entwicklung tätigen Einrichtungen aufweist, hervorragend aufgestellt.

Wo sehen Sie für den Bürger jetzt und in den nächsten Jahren die größten Gesundheitsrisiken durch Keime?

Über die Gefahren durch Viren brauchen wir nicht weiter zu reden. Aber ein zusätzliches, relevantes Stichwort ist hier die Antibiotika-Krise. Es wird von eminenter Wichtigkeit sein, dafür zu sorgen, dass wir auch in Zukunft Infektionen mittels neuer und effektiver Antibiotika bekämpfen können – ein ungebremster Einsatz der besten Reserveantibiotika in Medizin und Tierzucht, und damit die Gefahr der Entstehung resistenter Bakterien, muss unbedingt eingedämmt werden! Schon jetzt sterben geschätzt 0,7 Mio Menschen jährlich an Keimen, die nicht mehr durch Antibiotika bekämpft werden können. Daher wird auch hier am HZI, und zwar sowohl am Standort Braunschweig als auch am HIPS (Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland, geschfd. Dir. Prof. Rolf Müller) in Saarbrücken entscheidend in die Entdeckung und Entwicklung neuer Antibiotika investiert. Infektionen beispielsweise mit Keimen im Klinikumfeld (nosokomiale Infektionen) stellen ein besonderes Problem dar. Hier könnte man eine Vielzahl von Beispielen benennen, von Pseudomonaden über den Tuberkuloseerreger bis hin zu MRSA (multiresistenter Staphylococcus aureus).

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welches Ihrer Experimente klappen sollte, das bisher nicht klappt, welches wäre das?

Das ist eine ungewöhnliche Frage. Wir arbeiten mit Zellen als fundamentale Einheit des Lebens. (Viren gelten übrigens im biologische Sinne nicht als Lebewesen, da sie sich nicht ohne Wirt, also selbstständig, vermehren können – sie sind streng genommen nur infektiöse Agenzien.) Aufgrund unseres Fokus auf Zellbiologie würden wir natürlich am liebsten Zellen so verstehen, dass wir sie selbst bauen können, oder zumindest Zellen mit ganz bestimmten Eigenschaften aus schon bestehenden Kulturen entwickeln können, weil wir sie in ihrer Komplexität ganzheitlich verstehen, aber das ist nach unserem derzeitigen Kenntnisstand illusorisch. In der Maus als biomedizinisches Modellsystem haben wir es mit 25000 Genen zu tun, und das komplexe Zusammenspiel der Genprodukte können wir nur am Rande überschauen. Die Fähigkeit, Zellen aus ihren Bestandteilen synthetisch herzustellen, würde allerdings bedeuten, die Entstehung organismischen Lebens aus der Ursuppe unseres Planeten nachzubilden. Dabei käme man dem Geheimnis des Lebens schon sehr nahe, wird aber vermutlich nie gelingen! Faszinierend ist auch die Vorstellung, biochemische Aktivitäten in Zellen mit elektrischen Signalen, wie wir sie aus Computern kennen, produktiv zu verbinden, aber auch da bewegen wir uns noch auf dem Gebiet der Science fiction.

Was reizt Sie an Ihrem Fachgebiet?

An meinem Fachgebiet reizt mich zuallererst, dass wir als Menschen mit unseren begrenzten Fähigkeiten die Natur nie komplett in all ihrer Komplexität und Schönheit werden verstehen können. Wäre dies nur theoretisch denkbar, würde ich das Interesse daran verlieren. Dennoch hat sich im letzten Vierteljahrhundert, also seit ich am Forschungsbetrieb teilnehme, extrem viel getan – Vieles auch völlig unvorhersehbar. Ich hätte mir vor 10 Jahren nicht träumen lassen, was wir heute können und täglich tun. Es ist immer wieder faszinierend, wie wir indirekt, mit allen möglichen Tricks Probleme in der Forschung lösen können und der Natur ein kleines Stück Erkenntnis abringen. Auch die fortschreitende Technisierung unserer Experimente, beispielsweise mit Lasern und Manipulatoren, die es uns erlauben, in den Mikro- und Nanokosmos vorzudringen, finde ich total spannend!

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Jan Plöger

Dr. Jan Plöger wurde in Franken geboren, hat in Hannover studiert und in München gearbeitet, bevor er sich vor 12 Jahren für Braunschweig entschied.

Timo Grän

Herausgeber des Stadtglanz und der Service-Seiten. Verbrachte seine ersten Lebensjahre in Sambia und Botswana, bevor er Kind dieser Region wurde. Seitdem ein Förderer des Regionspatriotismus.

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