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Y-JOBS

29. März 2021

Ein schwieriger Kandidat

Kolumne

Toll, eine Sicht aus einer ganz anderen Branche ist eine echte Bereicherung für uns! Ehemalige Selbstständige wissen ganz genau, wie sie mit ihrer Zeit umgehen müssen! Was wir suchen, sind Querdenker und Kollegen mit alternativen Herangehensweisen!

Im Bewerbungsprozess wirkte es noch wie eine große Liebe: Das mittelständische Unternehmen, etwas verstaubt aber gut im Rennen – und der Bewerber, branchenfremd aber engagiert. Er erfüllte zwar nicht alle Bedingungen aus dem Stellengesuch und kannte sich nicht sonderlich gut mit dem Kerngeschäft des Betriebes aus, dafür brannte er, steckte voller Leidenschaft und hatte schon in den Vorgesprächen zahlreiche Ideen im Gepäck. Ein echter Rohdiamant.

Auch der Bewerber war mindestens auf Wolke Vier. Endlich ein Unternehmen, das seine etwas alternativen Herangehensweisen, sein anderes Denken und seine mitunter unorthodoxen Methoden zu schätzen wusste. In den ersten Wochen wurde er von seinem Bereichsleiter stolz in den Meetings angekündigt. Wurde in laufende Projekte einbezogen, sollte in andere Abteilungen hineinschnuppern und wurde für seine Vorschläge gewürdigt, die sich deutlich von den altbekannten unterschieden. Er war der, der morgens gern etwas später ins Büro kam, dafür abends lange mit AirPods in den Ohren und bei gedämmten Licht an ungefragten Konzepten saß. Oder auch zu Hause am privaten Laptop. Im Jour Fixe sprudelte er vor Produkt- und Projektideen.

Niemand weiß mehr so ganz genau, wann die Wolkenfront aufgezogen ist, aber: Irgendwann wurde er abends angezählt, seine Vorhaben lieber in der üblichen Arbeitszeit zu erledigen. Morgens möge er doch bitte pünktlich sein, fünf Minuten zu spät würden sich schnell aufaddieren. Seine zahlreichen Entwürfe seien „echt nett“, aber für derartige Spielereien bliebe aktuell wirklich keine Zeit. Für sein hier und da fehlendes Fachwissen wird er mittlerweile nicht mehr als Querdenker geschätzt, sondern von Kollegen aus seiner Abteilung und anderen Bereichen belächelt.

„Ähm, hast Du das etwa nicht in unserem Bürohandbuch gelesen? Wenn Du zu Hause an Präsentationen arbeitest, dann geht das auf keinen Fall am privaten Laptop?!“ Ungläubiger Blick. Müsste doch eigentlich wirklich jedem klar sein. Ist im Grunde ohnehin egal, denn von den über die Wochen rund einem Dutzend eingebrachten Konzeptideen sind mindestens zehn verworfen, zwei können nochmal im Jahresgespräch für 2020 „überdacht“ werden.

Er ertappt sich in den Mittagspausen immer wieder, wie er auf den Jobportalen nach einem neuen Arbeitgeber sucht. Nur mal so. Nach einem Unternehmen, das schon im Stellengesuch nach einem echten „Querdenker“ sucht – der die Dinge anders macht. Anders vorgeht, alternative Wege geht. Moment, hatte er das nicht schonmal irgendwo gelesen?

Falk-Martin Drescher

studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.

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