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12. September 2022

Zukunft Wohnen

Im Spannungsfeld zwischen Wohnungsnot und Stadtgestaltung

(Foto: hanno keppel image photography)

Der Druck auf den Wohnungsmarkt in Deutschland hat sich massiv erhöht. In den deutschen GroSS-tädten fehlen rund zwei Millionen günstige Wohnungen, darunter etwa 1,4 Millionen Apartments unter 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte. Am stärksten Betroffen sind Singles mit geringen Einkommen, aber auch Familien mit fünf und mehr Personen haben zunehmend Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Am größten ist die Lücke in Berlin, Hamburg und Köln. In den 77 deutschen Grossstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Über Jahrzehnte wurde politisch versäumt, den Wohnungsmarkt zu regulieren.

Begehrt sind deshalb seit einigen Jahren kleine Wohnungen und Tiny Houses, in denen die Wohnflächen auf ein Minimum reduziert sind. Im Tiny House werden zugleich die Qualitäten eines Einfamilienhauses bewahrt: das Wohnen im Grünen mit Urlaubs-/Campingfeeling und Individualität. Grundstücke hierfür sind jedoch rar, der Flächenbedarf groß. Das Wohnen im Tiny House ist zudem nur für bestimmte Lebensphasen denkbar, für Familien mit Kindern wird das Leben im Tiny House zur Herausforderung.

Das Wohnen auf engem Raum mit unterschiedlichen Individuen, die entsprechenden Bedarf an Rückzugsmöglichkeit und Privatheit einfordern, ist konfliktbeladen. Das hat sich auch in der Pandemie gezeigt, wo Familien auf engem Raum zusammen Leben und Arbeiten mussten.

Welche Auswirkung das vermehrte Arbeiten im Homeoffice auf unsere Wohnungsgrößen und Zuschnitte haben wird, ist noch nicht klar. Zusätzlicher Flächenbedarf für den Arbeitsplatz zu Hause wird sich unter Beibehaltung des Homeoffice zwangsläufig entwickeln, denn die Arbeitsbedingungen während der Pandemie waren in vielen Fällen desaströs, das Arbeiten am Küchentisch parallel zum Homeschooling der Kinder hat viel Stress erzeugt. Das eigene, abgeschlossene Arbeitszimmer wurde eindeutig vermisst. Die Tendenz zu minimierten Wohnungsgrößen, die sich aufgrund steigender Mieten in den letzten Jahren entwickelt hat, wird voraussichtlich wieder rückläufig sein.

Revitalisierung und Verdichtung bestehender Wohnquartiere
Eine Option ist die Verdichtung bestehender Wohnquartiere, sodass in zentrumsnaher Lage zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden kann. Bei den im Folgenden gezeigten Beispielen wurden entsprechende Ansätze verfolgt und umgesetzt.

Drömlingshöhe, Wolfsburg

So wurde z.B. in der Nähe des Wolfsburger Schlosses von VW Immobilien GmbH ein nicht mehr sanierungsfähiges Wohnhochhaus aus dem Jahre 1962 abgerissen und eine Wohnanlage mit 75 Wohneinheiten unterschiedlicher Größe mit Tiefgarage realisiert. Das Wohnquartier Drömlingshöhe, welches im Übrigen das erste Neubauprojekt der VW Immobilien GmbH nach 30 Jahren war, wurde 2012-2015 von STAUTH I Architekten nach einem Wettbewebserfolg geplant und realisiert. Das städtebauliche Konzept vermittelt zwischen dem Zeilenbau der Nachkriegsjahre in der Umgebung und verdichtetem Wohnen der Gegenwart: Raumbildung mit offenen, halbprivaten Höfen.

Der alte Baumbestand konnte in das Gesamtkonzept integriert werden und verleiht dem neuen Wohnquartier von Beginn an eine hohe Aufenthaltsqualität. Zusammen mit einer qualitätvollen Aussenanlagengestaltung des Landschaftsarchitekten Christoph Schonhoff (nsp Landschaftsarchitekten) entstand ein harmonsiches Gesamtkonzept mit privaten und gemeinschaftlich genutzten Freiräumen. Gleichzeitig wurde die Bebauung der Nachbarschaft aufgewertet und über einen gemeinsamen Platz mit dem neuen Quartier zusammengeführt.

Stadtgarten Wellekamp, Wolfsburg


Stadtgarten Wellekamp - Wohngebäude

Am Wellekamp hat VW Immobilien ein ähnliches Konzept der Nachverdichtung verfolgt. Die bestehende Siedlung der Nachkriegsjahre im Wellekamp mit einer homogenen städtebaulichen Struktur radial angeordneter Zeilenbauten wurde durch 5 neue Baukörper ergänzt.

Durch die architektonische Ergänzung und neue städtebaulich-landschaftsarchitektonische Gestaltung des Wohnquartiers entsteht ein Stadtbaustein mit einer eigenen Charakteristik und neuen Qualität für das Wohnen in der Stadt. Die Qualitäten der bestehenden Grünstruktur und wertvollen Bestandsgehölze im Wellepark werden erhalten und in die Gesamtkonzeption eingebunden.

Vier neue Wohngebäude mit insgesamt 56 Wohneinheiten sowie ein Gebäude mit 60 Serviceapartments, das „Splace“, ergänzen den Wohnungsbestand in attraktiver Lage direkt gegenüber der VW-Hauptverwaltung. Der Stadtgarten mit seiner beeindruckenden Baumkulisse bildet die kommunikative Mitte des alten/neuen Wohnquartiers mit Gemeinschaftsflächen und Spielbereichen für Kleinkinder.

Entwicklung neuer Stadtteile auf der „grünen Wiese“

Ganz anders sind die großen Stadtquartiere Hellwinkel Terrassen und Steimker Gärten in Wolfsburg einzuordnen. In beiden Fällen wurden Ackerflächen bzw. die Flächen ehemaliger Schrebergärten für eine zentrumsnahe Entwicklung von großen Wohnquartieren genutzt.

Steimker Gärten, Wolfsburg

Nach dem Masterplan des Stadtplanungsbüros Brederlau*Holik wird aktuell in zwei Bauabschnitten das Wohnquartier Steimker Gärten entwickelt. Das neue Wohnquartier für ca. 2.000-2.500 Menschen auf ca.20 ha Land gliedert sich in 8 Baufelder, die jeweils durch „Grüne Fugen“ unterschiedlicher Breite mit dem umgebenden Landschaftsraum verzahnt werden. Die mittig verlaufende Promenadenstraße verbindet in Längsrichtung übergeordnet die 8 Baufelder miteinander.

In zentraler Lage, am „Quartiersplatz“, hat STAUTH I Architekten für die VW Immobilien GmbH in einem Z-förmigen, 5-geschossigen Baukörper 40 Wohnungen realisiert , Flächen für Sondernutzungen wie Café, Gastronomie, Läden befinden sich im Erdgeschoss. Die Außenanlagen des Quartiersplatzes mit Wasserbecken und Baumdach werden derzeit realisiert.

Dahinterliegend, im geschützten Stadtraum entlang der Grünen Fugen, gruppieren sich zwei punktförmige Mehrfamilienhäuser mit jeweils 7 Wohneinheiten um grüne Innenhöfe mit Bäumen und Gemeinschaftsflächen. In stadtnaher Lage entsteht hier für die Wolfsburger ein spannendes Wohnviertel mit hoher Aufenthaltsqualität und guter Verzahnung mit dem Naturraum.

HELLWINKEL TERRASSEN, Wolfsburg

In den Hellwinkel Terrassen werden ebenso in zwei Bauabschnitten nach dem Masterplan des Stadtplanungsbüro SMAQ Architektur und Stadt GmbH aus Berlin auf einem 13,4 ha großen Grundstück ca. 850 Wohneinheiten realisiert.

Das Grundstück entlang der Reislinger Straße ist eines der letzten innerstädtischen Bebauungsflächen, welches nun als Teil der großen Wohnungsbauoffensive der Stadt Wolfsburg entwickelt wird. Die Vorgaben bzgl. der Gestalt der einzelnen Stadtentwicklungsbausteine sind seitens des Masterplans sehr eng gefasst.

Auf dem von Süden nach Norden abfallenden Gelände entwickeln sich mosaikförmig einzelne Stadtbausteine mit unterschiedlichen Charakteren: Als „Wolfsburger Remix“ stehen unterschiedliche Bautypologien wie Wohnhöfe, Wohnblocks, Wohntürme, Einfamilien- und Reihenhäuser auf grünen Terrassen mit einer rhythmischen Mischung aus Bebauung und Vegetation. Unterschiedliche Wohnungstypen für Familien, Ältere Menschen, Wohnen auf Zeit und Studenten werden durch eine Vielfalt unterschiedlicher privater, öffentlicher und nachbarschaftlicher Räume vernetzt.

Die Entwicklung zielt auf eine soziale Durchmischung des Quartiers, die Integration von gefördertem Wohnungsbau, Miet- und Eigentumswohnungen, Integration von gehändikäpten Menschen, Kindergärten, Läden, soziale Treffpunkte für alte und junge Menschen, kleine Gewerbeflächen.

Als übergeordnetes Gestaltungsmerkmal dominieren ein durchgängiger Sockel aus dunklem Ziegel und hellen Fassadenmaterialien in den Obergeschossen, begrünte Fassaden im Osten und Westen, Loggien, individuelle Eingänge für die Wohnungen im Erdgeschoss. Die privaten Wohnungszugänge sowie die Anordnung von Sondernutzungen an gezielten Orten sollen den Strassenraum beleben. Zur Waldkante dominieren Wohnhochhäuser den Quartiersabschluss.

In verschiedenen Wettbewerben und Vergabeverfahren hat STAUTH I Architekten den Zuschlag für die Realisierung von insgesamt 8 Baublöcken erhalten, 4 davon sind bereits realisiert, 4 weitere befinden sich derzeit in der Planungs- bzw. Realisierungsphase.

Hellwinkel - Baufeld A, C, G und K, Bautyp Wohnhof/Reihe:

Gemeinsam ist den Wohnblöcken in Baufeld A, C, G und K, dass sich lineare bzw. winkelförmige Gebäude um begrünte Innenhöfe mit privaten Gärten im Erdgeschoss, Gemeinschaftsflächen und öffentlicher Durchwegung orientieren. Die Blöcke zeichnen sich durch eine differenzierte Grundrissgestaltung mit privaten Gärten, Loggien oder großzügigen Dachterrassen aus. Die Fassaden sind individuell gestaltet, farblich differenziert, die Fenster mit hellen Putzfaschen gerahmt. Zwischen den Gebäuderiegeln entstehen qualitätvolle Außenräume, die in Längsrichtung halböffentlich erschlossen sind, die zugleich private Freiräume, Kommunikationsräume und Spielflächen für die Bewohner anbieten. Durch Hecken und Grün werden private und gemeinsam genutzte Flächen gegeneinander abgegrenzt. Lüftungsbauteile und in den Innenhof hereinragende Tiefgaragenabfahrten werden als Stadtmöbel in die Gestaltung der Höfe integriert und werden zum bespielbaren Sitzmöbel.

Hellwinkel - Baufeld E und J, Bautyp „Dorf“:


In den Baufeldern E und J werden die Gebäudevolumen kleinteiliger gegliedert und akzentuieren baulich jeweils die Ecken der Baufelder. In den beiden Baufeldern entwickeln sich entsprechend einer dörflichen Struktur 4 bzw. 6 unterschiedlich große Baukörper mit geneigten Dächern. Es entstehen räumlich differenzierte und vielfältig gestaltete Innenhöfe. Ein erdgeschossigen Gemeinschaftsraum sowie Dachflächen mit „Urban gardening“ stehen allen Bewohnern zur freien Nutzung zur Verfügung.

Hellwinkel - Baufeld N2, Bautyp „Waldgeister“:


Hellwinkel Baufeld N2 – „Kleine Waldgeister“ mit Blickbezug zur dahinter liegenden Waldkante

Einen besonderen Wohntypus bilden die „Waldgeister“ im Hellwinkel N2.
12 „Kleine Waldgeister“ und 1 „Großer Waldgeist“ prägen die bauliche Kante zum Wald im Süden des Wohnquartiers. Die eng aneinander gereihten, 3-geschossigen Waldgeister wirken geschlossen und zugleich offen mit schmalen Durchblicken zum dahinter liegenden Wald. In einem modernen Reihenhaustyp werden über drei Geschosse in einer kubischen Hülle differenziert gestaltete Wohnebenen organisiert. Während die Seiten überwiegend geschlossen sind, öffnen sich die Waldgeister großflächig über die Giebelfassaden zur Straße und zum Garten mit Blick auf die großartige Baumkulisse. Als Einfamilienhaus ergänzen die Waldgeister an den Hellwinkel Terrassen die Wohntypologie mit hochwertigen, individuellen Satdbausteinen.

Die neuen Stadtquartiere Hellwinkel Terrassen und Steimker Gärten bieten die Chance auf einer bisherigen Flächenreserve attraktive Lebensräume zu entwickeln. Durch übergeordnete Freiraumkonzepte mit grünen Räumen, Promenaden, Quartiersplätzen und hierarchischen Erschliessungsstrukturen wird der baulichen Zusammenhalt der differenziert gestalteten Stadtbausteine hergestellt. Es entstehen neue Stadtquartiere mit individueller Gestaltung und hoher Lebens- und Aufenthaltsqualität.

FAZIT:

Unsere Städte bieten an vielen Stellen Optionen für die Entwicklung lebenswerter Stadträume, mit unmittelbarer Anbindung an die Innenstadt, mit kurzen Wegen zur Arbeit, zum Shoppen, den Restaurant- und Theaterbesuch in der Innenstadt. Bauherrn, Investoren und städtische Kommunen haben die Chance, zusammen mit Stadtplanern und Architekten solche z.T. über die Jahre verwahrlosten Areale und Flächenpotenziale zu nutzen und mit ganzheitlichen Entwicklungsstrategien für qualitativ hochwertigen Wohnungsbau in unseren Städten zu nutzen.

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