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Y-JOBS

12. November 2021

Warum der Käfer eigentlich eine Fehlkonstruktion…

… und trotzdem ein Welt­erfolg war.

„Wir haben bei Null gestartet und sind zum größten Automobilhersteller der Welt geworden. Und das mit einem anfänglich fragwürdigen Fahrzeug in einem verlorenen Dorf irgendwo an der Zonengrenze, weit entfernt von allen deutschen Industriezentren.“ – Prof. Dr. Dr. Carl Horst Hahn hat Volkswagen von Anfang an mit aufgebaut und ist ein bedeutender Teil der Erfolgsgeschichte. Als Jugendlicher zur Zeit des Krieges musste er seine Heimat Chemnitz verlassen. Sein Weg führte den ehemaligen Luftwaffenhelfer und Soldaten, nachdem er in England, der Schweiz und Frankreich studierte, in Bern promovierte und in Italien bei Fiat volontierte, nach Wolfsburg. Bei Volkswagen arbeitete er zunächst als Assistent des legendären VW-Chefs Heinrich Nordhoff. Er leitete unter anderem die „Volkswagen of America“ und eroberte 1960 mit dem VW-Käfer die USA.

In der Region hat der zum Ehrenbürger ernannte Industriemanager viel bewirkt. Neben der Initiation des Kunstmuseums Wolfsburg ist er unter anderem im Beirat der Saxony International School in Glauchau und zahlreichen politischen, kulturellen und sozialen Organisationen tätig. In seinem Büro direkt neben dem Rathaus haben wir den 95-Jährigen getroffen und viel Humor sowie Ehrlichkeit und Einzelheiten eines bewegten, facettenreichen Lebens erfahren.

Timo Grän Sie könnten neben Ihrem Geburtsort überall auf der Welt leben. Warum Wolfsburg?

Prof. Dr. Dr. Hahn Weil Volkswagen mein Leben war und Wolfsburg und VW gehören zusammen. Wenn man hier sein aktives Leben, als Flüchtling, wie viele damals nach dem 2. Weltkrieg, verbringt, weiß man die Umgebung wirklich zu schätzen. Wenn ich um den Allersee spazierengehe, finde ich mich in einer Landschaft wieder, wie sie nur selten so liebevoll gestaltet vorhanden ist.

Grän Würden Sie Wolfsburg als Ihre Heimat bezeichnen?

Prof. Dr. Dr. Hahn Das mache ich schon lange. Meine Heimat Chemnitz hatte ich damals verloren. Mein Leben hat sich in und um Wolfsburg herum entwickelt, dadurch ist die Stadt meine Heimat geworden, mit der ich mich durch alles was ich bewirken konnte, verbunden fühle. Ich bin froh, in dieser wunderschönen Stadt, in dieser grünen Umgebung leben und wirken zu können. Man muss hier nur zu Fuß durch die Stadt gehen, um zu merken, wie lebenswert die Region ist. Eine Stadt im Grünen, aber trotzdem gut angebunden, wie es nur wenige in Deutschland gibt.

Dr. Jan Plöger Das Thema Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit spielt eine immer größer werdende Rolle. Welche Auswirkung hat das für Ihre Arbeit im Design?

Prof. Dr. Dr. Hahn Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit, denn auch das ist eine Frage von Verantwortung. Mit der Transformation hin zur Elektromobilität geht der Anspruch einher, Nachhaltigkeit in der gesamten Wertschöpfungskette zu leben. Dies betrifft u. a. die Themen Materialienverwendung, Recycling und Wiederverwertbarkeit von Batterien.

Dr. Plöger Was war das Geheimnis des Welterfolgs des VW-Käfers?

Prof. Dr. Dr. Hahn Volkswagen hatte den Vorteil, ein weltberühmtes Produkt zu sein, was in der Theorie allerdings eine Fehlkonstruktion war. Der VW-Käfer hatte den Motor an der falschen Stelle, keine anständige Heizung, keine vier Türen und war mit all diesen Nachteilen der größte Welterfolg der Geschichte der Autoindustrie. Das zeigt auch, was die Urteile von Experten manchmal wert sind. Es ist sehr schwer, den Marktwert eines Produktes einzuschätzen, weil man nicht sicher sein kann, was der Kunde am Ende möchte. Er verzichtet auf einmal auf eine Heizung, verzichtet auf vier Türen und macht diesen Wagen zum größten
Welterfolg der Geschichte.

Grän Wie erinnern Sie sich an den Anfang bei VW?

Prof. Dr. Dr. Hahn Wir befanden uns in einer Stadt, die von Engländern die ersten Automobile ziviler Art bauen ließ. Diese britischen Offiziere haben das VW-Werk an die Bonner Regierung übergeben. Vorher haben sie sich um einen Generaldirektor gekümmert, dafür fanden sie jemanden, der eine Strategie entwickelte und damit die Marke weltweit erfolgreich machte. Generaldirektor Heinrich Nordhoff war ein riesiger Glücksfall für Volkswagen und ebenso für die Stadt Wolfsburg.

Dr. Plöger Wie kann man sich die Atmosphäre im Werk zu Anfang vorstellen?

Prof. Dr. Dr. Hahn Alle haben ihr Bestes gegeben. Jeder, der durchs Werk gegangen ist, war immer beeindruckt von dem Geist der Arbeiterschaft. Dieser besondere Geist entstammte auch der Politik und großartigen Rhetorik von Nordhoff. In der Fabrik herrschte eine Stimmung, wie man sie sich besser nicht vorstellen kann. Freude an der Arbeit, an der Leistung und das brachte Produktivität und Qualität hervor.

Dr. Plöger Hätten Sie auch etwas besser bzw. anders machen können?

Prof. Dr. Dr. Hahn Wir haben uns immer reflektiert, kritisiert und weiterentwickelt. Nordhoff folgte nicht den Ratschlägen, die die Leute ihm gaben. Die Politik war immer die Anforderung an höchste Qualität, die man nicht erzwingen kann. Kontinuität war Nordhoffs Priorität.

Grän Der Erfolg basiert auf der Fehlkonstruktion des Käfers, der Erschließung des amerikanischen Marktes und des chinesischen Marktes. Wie stehen sie zu der Expansion nach China, auch bezüglich des autoritären Regimes?

Prof. Dr. Dr. Hahn Wir sehen in China, mit dem ich sehr verbunden bin, ein Land, in dem die Regierung akzeptiert ist, da sie die Wirtschaftspolitik des Kapitalismus und der Marktwirtschaft eingeführt hat. Erst dadurch können sich die Menschen dort Dinge wie Autos überhaupt leisten. Ich sehe die Regierung als die erfolgreichste kommunistische und kapitalistische Regierung, die es je gegeben hat.

Grän Bildung und Lernen sind ja auch Leidenschaften von Ihnen. Was würden Sie in Deutschland verändern?

Prof. Dr. Dr. Hahn Ich würde den Fokus auf die Bildung vom Kindesalter an richten. Die geistige Entwicklung eines Menschen beginnt in den ersten Jahren, in denen Kinder schnell im Absorbieren von neuen Inhalten sind. Bis zum sechsten Lebensjahr saugen Menschen Sprachen auf und entwickeln ein Verständnis dazu im Gehirn. Die Anzahl der Sprachen ist dabei nicht limitiert. Wird Kindern beispielsweise lesen, schreiben und rechnen auf Englisch beigebracht, können sie das später auch umsetzen, obwohl sie die Sprache noch nicht sprechen. In diesem Alter ist es viel einfacher, Fremdsprachen zu lernen als im Jugendalter.
Wir hätten eine intelligentere, langlebigere Gesellschaft, wenn wir damit bereits im Kindergarten anfangen würden. Dafür setzen wir uns ein. Leider ist die Akzeptanz und die Bereitschaft etwas zu ändern nicht so, wie wir uns wünschen würden. Wir sind zu sehr in alten Routinen verankert und brauchen mehr Menschen, die die Initiative ergreifen, etwas zu ändern.

Dr. Plöger Würden Sie sagen, Deutschland ist auf seinen Lorbeeren eingeschlafen?

Prof. Dr. Dr. Hahn Auf manchen Gebieten sind wir sicher nicht so gut, wie wir sein könnten. Das sprechen wir offen an, weil wir wissen, wie es in anderen Ländern laufen kann. In Finnland zum Beispiel sind die Kinder besser in der Schule und haben dadurch Vorteile im Leben. Unter den ersten 50 besten Universitäten der Welt sind 25 amerikanischen Universitäten und drei deutsche. In Deutschland herrscht nicht dieses ‚Number-One-Denken‘, überall die Besten sein zu wollen, wie es für die Amerikaner zum Beispiel üblich ist.

Grän Worauf sind Sie besonders stolz in Ihrem Leben?

Prof. Dr. Dr. Hahn Ich bin froh, viel von meinem Vater aufgenommen und gelernt zu haben. Hinzu kommt das, was ich an der Uni und in der Praxis gelernt habe. Ich hatte besonders gute Absorbierungsmöglichkeiten des Lernens in den ersten Jahren und das hat mir später geholfen, einen guten Instinkt zu entwickeln und rückblickend bei allen Entscheidungen das Richtige getan zu haben. Besonders auf den strategischen Gebieten meiner Karriere habe ich nicht groß nachgedacht, die Ideen kamen intuitiv, weil ich mich dauernd mit Informationen vollgepumpt habe.

Dr. Plöger Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Prof. Dr. Dr. Hahn Mein Leben war durch den Krieg nicht einfach und zeitweise nicht mit einem Glücksgefühl, sondern nur mit Überlebenswillen verbunden. Mein Motto ist, dass man erfolgreich wird, wenn man ‚Number-One-Policy‘, wie bereits erwähnt, betreibt. Nach dieser Art habe ich immer gehandelt. Das hat sich auch in meinem Umfeld durch meine Führungspositionen immer widergespiegelt. Als Lagermannschaftsführer damals sowie später als Geschäftsführer haben weder meine Kameraden noch Kollegen meine Tauglichkeit je in Frage gestellt.

Grän Wie möchten Sie der Menschheit in Erinnerung bleiben?

Prof. Dr. Dr. Hahn Als jemand, der immer versucht hat, die Menschen für sich zu gewinnen und ihr Freund zu sein. Liebe ist das wichtigste Element, mit dem ich das Leben gestalte und aus ihr heraus viel bewirke. Meine Pflichten und Visionen umzusetzen, gibt mir einen hohen Grad an Zufriedenheit.

Dr. Plöger Was ist Ihr Geheimnis, im Alter so fit zu bleiben?

Prof. Dr. Dr. Hahn Es ist wichtig, sportlich zu sein. Ich bin heute morgen geschwommen und gehe jeden Abend zwei Kilometer durch den Wald, um mich zu bewegen. Ich war Reiter, begeisterter Skifahrer und Marathonläufer bis vor zehn Jahren.

Grän Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Jan Plöger

Dr. Jan Plöger wurde in Franken geboren, hat in Hannover studiert und in München gearbeitet, bevor er sich vor 12 Jahren für Braunschweig entschied.

Timo Grän

Herausgeber des Stadtglanz und der Service-Seiten. Verbrachte seine ersten Lebensjahre in Sambia und Botswana, bevor er Kind dieser Region wurde. Seitdem ein Förderer des Regionspatriotismus.

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