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11. Mai 2022

Das Braunschweig-Wolfsburg-Sofa

Weg vom Kirchturmdenken

Fotografie: Marc Stantien

Richmondpark, der größte königliche Park Londons, 16 km westlich der City gelegen, vermittelte den Namen für das 1769 fertig gestellte Braunschweiger Schloss Richmond. Es sollte die königliche Prinzessin und spätere Herzogin Augusta, Ehefrau Karl Wilhelm Ferdinands an ihre englische Heimat erinnern. Dieser Ort kann auch heute als Anknüpfungspunkt für die geschichtlichen Hintergründe der Region genommen werden. Genau an diesem ehrwürdigen Platz haben wir uns heute für ein Gespräch mit den Oberbürgermeistern Braunschweigs und Wolfsburgs, den Herren Dr. Thorsten Kornblum und Dennis Weilmann zu einem Gespräch verbredet, was die unterzeichnende Stadtglanz-Redakteurin Lina Tauscher für Sie zusammengefasst hat.

Was dürfen wir von der interkommunalen Zusammenarbeit erwarten? Hat sie uns bereits vorangebracht? Was bedeutet Digitalisierung für alle Beteiligten und warum werden etliche Bürgerangelegenheiten noch immer kompliziert abgewickelt? Zu diesen und weiteren Themen standen uns die Oberbürgermeister Rede und Antwort.

Dr. Weise: Was verbinden Sie mit diesem Ort und welche Relevanz hat die Geschichte der eigenen Stadt?

Dr. Kornblum: Ich verbinde mit dem Schloss Richmond vor allem die Stärke und die Historie der Region. Die Stadt Braunschweig und die Region insgesamt haben eine große Geschichte, angefangen von den Welfen bis zur Verbindung von Niedersachsen zu Großbritannien. Und diese Verbindung schlägt sich hier nieder. Mit der Eigenschaft über den eigenen Tellerrand hinaus denken zu können, lehnt sich der Namensbezug des hiesigen Schlösschens an Richmondpark in London an und liefert zugleich ein kleines regionales Symbol.

Weilmann: Es ist unheimlich wichtig, dass wir in der regionalen Debatte immer den historischen Kontext bewahren. Man muss wissen, wo man herkommt, um zu wissen, wo man hinwill. Braunschweig gilt als traditionsreiche, geschichtsträchtige Stadt. Wolfsburg hingegen ist eine sehr junge Stadt, die in diesem Jahr erst den 84. Stadtgeburtstag feiert. Aber auch in Wolfsburg haben bereits vor der Stadtgründung viele historische Ereignisse stattgefunden. Dafür stehen beispielweise das Schloss Fallersleben, das über 700 Jahre alte Schloss Wolfsburg und die Burg Neuhaus.

Grän: Auf welchen Gebieten kooperieren Braunschweig und Wolfsburg bereits miteinander und welche Möglichkeiten möchten Sie weiter ergreifen, um Synergien zu vertiefen?

Dr. Kornblum: Wir haben bereits eine enge Zusammenarbeit unserer Dezernent:innen auf vielen Ebenen. Ob bei der Weiterentwicklung im Gesundheitswesen oder beim Ausbau unsere Stärken als forschungsintensivste Region Deutschlands: Wir profitieren voneinander und miteinander. Ein konkretes Beispiel ist die Forschungsfabrik OHLF, Open Hybrid LabFactory in Wolfsburg, in der sich verschiedene Akteure, wie die Technische Universität Braunschweig, die Ostfalia, Volkswagen und die Stadt Wolfsburg engagieren. Solche Kooperationen bestehen auch am Forschungsflughafen in Braunschweig. Wir möchten das Zusammenspiel aus Tradition, Forschung, Anwendung und Industrie in der Region weiter fördern.

Weilmann: Wir kommen aus einer Situation, in der sich die kreisfreien Städte wie Braunschweig und Wolfsburg teilweise kritisch gegenübergetreten sind. Ich nehme jedoch die Zusammenarbeit in den letzten Jahren sehr positiv wahr. Auch das Verständnis, sich gemeinsam als eine Region zu sehen und diese Stärke auch nach außen zu zeigen. Dafür haben wir beide uns als Oberbürgermeister direkt nach der Wahl eingesetzt, weil wir nicht untereinander konkurrieren, sondern uns als eine Region im Vergleich zu anderen großen Regionen sehen.

Grän: Funktioniert die Einbindung der weiteren Städte und Landkreise in die Zusammenarbeit? Wer sorgt für den Impuls, sich auszutauschen?

Weilmann: Wir sind gestartet, weil wir gemeinsam den Fortschritt verschiedener Bereiche, wie beispielsweise der Verwaltungsdigitalisierung, vorantreiben wollen. Da kreisfreie Städte ähnliche Voraussetzungen haben, war es naheliegend, Salzgitter direkt in die Zusammenarbeit zu integrieren. Wir haben auch signalisiert, dass wir immer offen für weitere Partnerinnen und Partner sind, die partizipieren möchten. Daraufhin sind auch Kolleginnen und Kollegen aus Gifhorn auf uns zugekommen. Wir alle sind daran interessiert, die regionale Zusammenarbeit aller hiesigen Städte und Landkreise noch weiter auszubauen.

Dr. Weise: Wie genau profitieren die Städte und Landkreise von der Zusammenarbeit?

Dr. Kornblum: Natürlich möchte jeder das Beste für seine Stadt erreichen. Gleichzeitig wissen wir heute, dass eine Zusammenarbeit effektiver ist, als das frühere „Kirchturmdenken“. Ein Beispiel: Durch den Austausch über Digitalisierungsprozesse können alle Beteiligten die Umsetzung von Ideen beschleunigen und schneller erkennen, was gut funktioniert und was nicht.

Weilmann: Wir müssen nicht alles neu erfinden. Die Kolleginnen und Kollegen in Langenhagen haben beispielsweise einen Ausweisautomaten eingeführt, an dem rund um die Uhr – 24/7 – Dokumente abgeholt werden können. Das habe ich mir auch vor Ort angeschaut und wir werden dieses Konzept auch bei uns umsetzen.

Dr. Kornblum: Auch auf wirtschaftlicher Ebene ist eine Zusammenarbeit von Vorteil. Wir möchten neben mittelständischen Unternehmen, Volkswagen, der Forschung und Wissenschaft vor allem die Start-up­-Szene vorantreiben. Gründer:innen sollen durch ein attraktives Gründungsökosystem hier in der Region bleiben.

Dr. Weise: Beim Thema Entrepreneurship möchten wir gern einhaken. In den verschiedenen Landkreisen oder Städten sind teilweise erhebliche Unterschiede zu beobachten, wie leicht oder wie kompliziert Unternehmen oder auch angehende Unternehmer, Genehmigungen erhalten. Welche Möglichkeiten und Chancen gibt es für den allzuständigen Bürgermeister, solche Abläufe bürgerfreundlicher zu gestalten?

Dr. Kornblum: Wir müssen die praktischen Probleme der Digitalisierung angehen. Wir sind beide ehemalige Digitalisierungsdezernenten und beschäftigen uns schon lange mit dem Thema. Natürlich wollen wir die Prozesse vereinfachen und auch dafür bestehende Synergien nutzen. Konkrete Beispiele sind die in Braunschweig kürzlich umgesetzte, digitalisierte Gewerbeanmeldung und das digitale Bauantragsverfahren. Häufig sind wir aber auch im übertragenen Wirkungskreis tätig, indem beispielsweise der Bund den Kommunen Aufgaben überträgt, ohne uns die dafür notwendige Finanzausstattung zu überlassen.

Weilmann: Wir stehen vor denselben Herausforderungen in unterschiedlichen Städten, deswegen ist auch hier die interkommunale Zusammenarbeit immens wichtig gefragt. Uns ist bewusst, dass die Verwaltungsdigitalisierung optimiert werden muss. Hier müssen klare Grundlagen und Standards von Bund und Land geschaffen werden. Wir haben darauf aber nicht gewartet und die Digitalisierung der Verwaltung eigenständig vorangetrieben. Unsere neue Terminsoftware in den Bürgerdiensten und der Online-Traukalender sind hierfür gute Beispiele.

Dr. Weise: Wie lange dauert es in Braunschweig, einen Termin beim Bürgerservice zu bekommen? Früher am Hagenmarkt lief das gefühlt deutlich besser als heute.

Dr. Kornblum: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, wieder im Innenstadtbereich einen zentralen Bürgerservice einzurichten. Die aktuelle Terminvergabe dauert regulär einige Wochen. Die Termine sind online buchbar. Es werden aber je nach Arbeitsbelastung auch immer noch kurzfristig Termine freigegeben. Durch Corona haben sich die Prozesse verlängert, zudem gibt es Spitzenzeiten, die zu einer hohen Arbeitsbelastung führen, etwa wenn die Menschen im Sommer verreisen wollen. Wir bieten aber auch Notfalltermine an.

Dr. Weise: Das ist unbefriedigend lange. Was steckt dahinter? Müsste es durch die Digitalisierung nicht besser, schneller und einfacher gehen?

Dr. Kornblum: Der Bürgerservice ist durch die Corona-Pandemie in allen Kommunen eingeschränkt worden, weil Termine nur mit vorheriger Vereinbarung möglich sind. Da ist Braunschweig keine Ausnahme. In Bezug auf das Thema Digitalisierung finden sehr viele Prozesse hinter den Kulissen statt, die sehr arbeitsintensiv und für die Bürger:innen nicht unbedingt erkennbar sind. Um in Zukunft Vorgänge digital bearbeiten zu können, müssen zum Beispiel zunächst Akten digitalisiert werden. Das sind sehr zeitaufwändige Vorarbeiten. Bei Personal- oder Steuerakten mag das noch relativ einfach sein. Bei Bauakten wird es hingegen deutlich komplizierter.

Weilmann: Neben Dienstleistungen wie der Online-Anmeldung für einen Kitaplatz, die sich bereits positiv verändert haben, dürfen wir nicht vergessen: Auch bestmögliche analoge Serviceleistungen müssen angeboten werden. Wir dürfen die Menschen nicht außer Acht lassen, die keine Möglichkeiten zu einem digitalen Zugang haben oder auch einfach noch nicht so weit sind. Auch für diese Menschen müssen wir ein breites Angebot bereithalten. Wir werden natürlich auch weiterhin persönliche Termine möglich machen.

Grän: Apropos gesellschaftlich relevante Themen: Was bedeutet Kultur für Sie, wie wichtig ist Kultur?

Dr. Kornblum: Kultur nimmt Einfluss auf die Identität der Gesellschaft und ist eine Bereicherung für alle. Sie macht eine Reflektion des Zusammenlebens möglich und steht außerdem für die guten und schönen Seiten im Leben.

Weilmann: Ich schließe mich an. Kultur ist ein Lebensgefühl und meiner Meinung nach nicht wegzudenken aus der Gesellschaft. Ich bin stolz auf die Wolfsburger Kulturlandschaft, genauso aber auch auf die Vielfältigkeit der Kulturlandschaft in unserer Region insgesamt.

Dr. Weise: Wie hat sich das kulturelle Segment während der Pandemie verändert und wie kann man die Kultur jetzt unterstützen?

Dr. Kornblum: Die Vielfältigkeit hat leider sehr gelitten. Wir haben den Kulturbereich in der Pandemie mit einem millionenschweren Programm unterstützt und auch für Auftrittsmöglichkeiten gesorgt. Nun starten wir wieder durch. Wir wollen nach außen deutlich zeigen, was die Region attraktiv macht. Im Bereich des Marketings ist beispielsweise noch Potenzial vorhanden. Zudem ist geplant, die Infrastruktur und die kulturellen Einrichtungen zu verbessern. In Braunschweig soll beispielsweise eine neue Musikschule gebaut werden und wir prüfen auch die bauliche Realisierung eines Konzertsaals.

Weilmann: Auch wenn Kulturschaffende es sehr schwer hatten, haben wir gesehen, wie kreativ Kultur werden kann. Im Zuge der Pandemie sind neue Formate entstanden, die eine Bereicherung der kulturellen Vielfalt bedeuten. Wir haben in Wolfsburg seit drei Jahren etwa einen Fördertopf für digitale Kulturprojekte. Auch beim Thema Kultur macht sich die regionale Zusammenarbeit bezahlt. Die Städte ergänzen sich gegenseitig. Menschen aus Braunschweig kommen nach Wolfsburg und umgekehrt. Wir haben in der Region ein breites Angebot: In Wolfsburg das Scharoun Theater, das Kunstmuseum, das Veranstaltungszentrum Hallenbad, Kultur im Zelt in Braunschweig und vieles mehr. Unser Ziel ist es, die Region noch stärker als Kulturregion ins Zentrum zu stellen.

Grän: Eine letzte Frage. Wie soll man Sie nach Ihrer Amtszeit in Erinnerung behalten?

Weilmann: Mir kommt es da weniger auf meine Person an. Mir geht es darum, dass sich meine Heimatstadt Wolfsburg in den nächsten Jahren weiterentwickelt. Wir haben viele Aufgaben zu bewältigen und an den Ergebnissen möchte ich mich messen lassen. Die Wirtschaft anzukurbeln, die Attraktivität der Innenstadt und auch die Wohnsituation zu verbessern, das bürgerschaftliche Engagement zu fördern und die Weiterentwicklung des Volkswagen-Konzerns mit der jetzt ja bestätigten Errichtung eines völlig neuen Werks sind einige davon. Und gemeinsam werden wir auch die regionale Entwicklung weiter voranbringen.

Dr. Kornblum: Ich werde zusammen mit den Braunschweigerinnen und Braunschweigern unsere Stadt noch lebenswerter und innovativer gestalten. Dazu gehören die Herausforderungen wie die Schaffung bezahlbaren Wohnraums, die Bewältigung des Klimawandels und die Gestaltung der Mobilitätswende.

Dr. Weise/Grän: Vielen Dank für das Gespräch.

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