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Y-JOBS

4. Januar 2023

AGILITÄT im Zeitgeist …

Wo sie entwickelt wurde und was sie heute leistet

(Fotografie: AdobeStock_ vexworldwide, K!NGW!N)

Die letzten 12 Monate haben unser Leben komplett auf den Kopf gestellt: Abstandsregeln, Homeschooling, Homeoffice sowie Reise- und Ausgangsbeschränkungen bestimmen unser Handeln und Einkaufen; wann und wo ich will, das geht zurzeit auch nicht. Vieles muss anders gemacht werden als vorher, ob man Veränderungen wollte oder nicht. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind gefragt, Improvisationstalent und vernetztes Handeln, zum Beispiel um einen Schulbetrieb aufrecht zu erhalten. Dort wo das gelingt, werden gemeinsam und abgestimmt neue Wege gegangen.

Und in der Wirtschaft sieht es nicht anders aus: Unternehmen, die stark digitalisiert sind und schon früh auf mobiles Arbeiten gesetzt haben, kommen in der Regel sehr viel besser durch die Krise als klassisch organisierte Strukturen. Ebenso diejenigen, die ihr Geschäftsmodell oder die Prozesse an die Gegebenheiten anpassen konnten.

„Agil bezeichnet grundsätzlich Denk- und Handlungsmuster“

Ein Denk- und Handlungsmuster, das Flexibilität und Anpassungsfähigkeit fördert. Entwicklung und Veränderung ist in der Geschichte der Menschheit jetzt nichts Neues; was neu ist, ist die Geschwindigkeit, in der Veränderung heute geschieht. Über die letzten Jahrhunderte wurde in der Wirtschaft an Skalierung und Spezialisierung gearbeitet, um die Produktivität zu steigern und Wachstum zu ermöglichen. Das Zeitalter der Industrialisierung geht scheinbar zu Ende und alles rund um Agilität ist grade beliebt, modern und löst vermeintlich alle Probleme. Projekte, die eben noch in klassischen Wasserfallmodellen abgearbeitet wurden, sollen ab morgen agilen Paradigmen und Strukturen folgen. Meetings, die gestern noch wenig und nur bei Bedarf stattfanden, finden sich heute in Form von Daily Standups oder Weekly Meetings wieder. Und was bitte ist eine Retrospektive?

„Ist Agilität nur ein Synonym für beweglich und schnell veränderbar?“

Oder steckt da mehr hinter dem Thema Agilität? Schauen wir uns zuerst die Ursprünge agiler Organisationssysteme an: Sie stammen aus der Softwareentwicklung, einem Umfeld, bei dem es um komplexe Aufgabenstellungen geht, wo zu Projektbeginn nicht alles bis ins kleinste Detail geplant werden kann und häufig über lange Zeiträume in Teams gearbeitet wird. Konventionell geführte Projekte scheiterten häufig an zu Beginn des Projektes noch unklaren, schwer definierbaren Anforderungen, zu starren Regelwerken und Zeitplänen sowie dem Umstand, dass Informationen und Wissen zu sehr auf den Inseln der einzelnen Teams oder Personen verteilt war. Das sollte anders werden.

In dem Agilen Manifest sind grundsätzliche Spielregeln für eine neue Form der Zusammenarbeit niedergeschrieben:

• Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen.

• Funktionsfähige Produkte haben Vorrang vor umfassender Dokumentation.

• Zusammenarbeit mit den Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen.

• Das Eingehen auf Änderungen hat Vorrang vor strikter Planverfolgung.

Inzwischen hat Agilität sich weiterentwickelt. Die Regeln und Werkzeuge aus der Softwareentwicklung sind neu adaptiert und kommen in ganz unterschiedlichen Organisationen und Fragestellungen zum Einsatz.

„Heute steht Agilität für Ziel- oder Kundenorientierung, Eigenverantwortung, flache Hierarchien, autark handelnde und trotzdem vernetzte Teams und damit für Organisationen, die sich schnell entwickeln und anpassungsfähig sind.“

Agilität steht aber auch für eine Einbindung aller Beteiligen, steht für Motivation und dafür, Menschen ehrlich zu begeistern. Aber Vorsicht, nicht alles was anders ist als gestern, ist gleich agil. Aus meiner Sicht braucht Agilität die Organisation von Teams über eine Kultur, ein gemeinsames Mindset, einen Rahmen von Prozessen und Regeln, der die Eigenverantwortung und Selbstorganisation des Einzelnen fördert und Entscheidungen aber auch Ergebnisverantwortungen in Teams abbildet. So organisierte Teams reagieren meist schneller, sind oftmals motivierter und damit auch resilienter gegenüber Veränderungszwängen. Dass solche Organisationen als Arbeitgeber auch beliebter sein können und im Wesentlichen eine höhere Wertschöpfung realisieren, zeigt zum Beispiel der Engagement-Index von Gallup.

„Mit dem Einzug von Agilität findet auch ein Wertewandel statt.“

Hin zu Offenheit, Mut, Respekt, Focus und Committents, im Privaten, wie im Organisationsumfeld. Der Weg zu einer agilen Organisation ist eine Transformation, ein Veränderungsprozess, der tief in die bestehende Kultur eingreift und dort als erstes einen Wandel fordert, einen Wandel im Denken. Führungskräfte werden zu Coaches und Fachexperten. Sie steuern nicht mehr, sie ermöglichen und befähigen. Sie ermöglichen, dass Mitarbeiter sich an Entscheidungen beteiligen und befähigen sie, sich an der Unternehmensentwicklung zu beteiligen und so Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet eine Verlagerung von Kontrolle und dafür braucht es Vertrauen und den gemeinsamen Willen aus Fehlern zu lernen.

„Wann hilft Agilität und wann nicht?“

Es ist wenig sinnvoll nach Branchen oder Betriebsgrößen zu clustern, es geht um die Art der Aufgaben und die Struktur der Organisation. Insbesondere für einfache und wiederkehrende Aufgaben, also gut zu planende Routineaufgaben ist der Einsatz agiler Methoden häufig nicht unbedingt sinnvoll. Komplexe Probleme hingegen lassen sich im Team erfahrungsgemäß schneller knacken.

„Agilität im Privatleben.“

Und außerhalb der Arbeit im privaten Umfeld, was ermöglichen agile Methoden da? Da es um Mindset, Motivation und Selbstführung geht, kann sich das Arbeiten in einem agilen Umfeld auch positiv auf das Privatleben auswirken. Klarere Fokussierung, die verbesserte Fähigkeit eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, helfen uns mit der zunehmenden Entwicklungsgeschwindigkeit und Komplexität unserer Gesellschaft Schritt zu halten und sie mitzugestalten. Und selbst bei der Bewältigung von Homeschooling-Aufgaben kann zum Beispiel das Kanban Board dem Drittklässler helfen, den Überblick zu behalten und selbständig durch den Dschungel der Arbeitsblätter zu finden.

Zentrales Element für funktionierende agile Strukturen ist schließlich die regelmäßige Reflektion. Genau hier kommen Retrospektiven ins Spiel: Ein regelmäßiges Meeting, um gemeinsam zu beleuchten, was gut läuft und was besser werden muss, um die Zusammenarbeit im Team zu verbessern. Auch das ist eine Kompetenz, die uns im Privaten Entwicklungschancen ermöglicht. Agilität ist Mindset plus Methode und passt in unsere Zeit, beruflich wie privat.

Holger Kämmerer

Dipl.-Ing. Holger Kämmerer schloss 1995 sein Studium als Bauingenieur an der TU in Brauschweig ab. er gründete 1996 die ATD GmbH, das IT-Systemhaus, in dem er bis heute als Geschäftsführender Gesellschafter aktiv ist. 2011 begann er seine Beratungen in der UBEGA. Seine Schwerpunkte bilden Unternehmensstrategien, Entwicklung agiler Unternehmensstrukturen, Fortbildungen für Führungskräfte und Systemische Analysen.

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