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18. August 2022

Der Kampf um Respekt

VfL Wolfsburg-Kapitänin Nilla Fischer im Interview

(Fotografie: Melina Naumann)

Nilla Fischer: Schwedische Nationalspielerin, VfL Wolfsburg Damen-Kapitän. Die Abwehrspielerin, die 2013 nach Wolfsburg wechselte, hat mehr als 150 Spiele für die Nationalmannschaft auf der Uhr, ist mehrfache Teilnehmerin der Olympischen Spiele, Schwedische Meisterin, Dritte bei der Frauen-WM 2011, Champions League Siegerin, Deutsche Meisterin und Pokalsiegerin. Kurzum: Eine sportliche Powerfrau. Und das auch neben dem Sportplatz: Nilla und ihre Frau setzen sich aktiv für das Thema Homosexualität ein. Und bekommen dafür viel Zuspruch. Wir trafen die Abwehrchefin nach einer Trainingseinheit für ein Interview.

Im Jahr 2013 bist du nach Wolfsburg gekommen. Wie war dein damaliger Eindruck von Wolfsburg und der Region?

Während der Frauen-WM im Jahr 2011 war ich schon einmal in Wolfsburg, an einige Orte konnte ich mich tatsächlich 2013 wieder erinnern. Von Jahr zu Jahr fühle ich mich hier wohler. Ich finde die Stadt sehr schön, die Einwohner sind super nett und Verein sowie Team sind klasse. In Wolfsburg finde ich alles, was ich so brauche – außerdem kommt man von hier aus auch gut und schnell in die umliegenden Orte. Ich liebe es mit Freunden essen zu gehen oder mit meiner Familie die Zeit zu genießen, ob in Wolfsburg oder auch Mal in Braunschweig.

Was gefällt dir besonders gut?

Ich bin gern am Allersee, auch kann man am Schloss sehr schön spazieren gehen. Wir haben auch einen Hund, da sind wir dann mit ihm und unserem Kind unterwegs. Auch schätze ich die kulturelle Seite, das Kunstmuseum etwa – Kultur ist gut für den Geist.

Mit 16 Jahren warst du bereits zum ersten Mal in der Nationalmannschaft. Auf welche sportlichen Situationen der vergangenen Jahre bist du besonders stolz?

Ich bin stolz, dass ich Kapitän unseres Teams beim VfL Wolfsburg bin. Das ist eine große Ehre für mich. Auch auf das, was wir vergangene Saison mit der Mannschaft geschafft haben. Zwar haben wir nicht die Champions League gewonnen, dafür war es einfach eine geile Saison. Darauf können wir als Mannschaft sehr stolz sein. Mein größter Moment war die Weltmeisterschaft im Jahr 2011, bei der wir den 3. Platz belegt haben – sowie die Olympischen Spiele in Rio.

Welche sportlichen Momente waren sehr anstrengend oder herausfordernd?

Eigentlich ist das jedes Jahr so. Der Druck ist groß, viele denken: Das Team sollte jedes Jahr die Bundesliga gewinnen, den Pokal holen sowie in der Champions League weit kommen. Dabei ist das überhaupt nicht selbstverständlich, sondern harte Arbeit. Insbesondere nach einer Weltmeisterschaft oder Olympischen Spielen eine Saison mit dieser Vorstellung zu spielen ist eine sportliche Aufgabe.

Seit Dezember vergangenen Jahres bist du Mutter. Inwiefern haben sich für dich die Prioritäten verschoben?

Für mich ist das eine große Sache, ein großer Unterschied. Als Sportler bist du Egoist. Ich könnte jetzt sagen: Ich bin es nicht, aber das stimmt nicht. Ich bin ein stolzer Mensch, das ist einfach so. Nun kann ich nicht mehr die Erste sein. Jetzt ist Neo die oberste Priorität im Leben. Es gibt sicherlich anstrengende Momente, die neu für mich sind, aber: Wenn er lächelt, ist alles vergessen. Ich weiß gar nicht genau, wie wir die ersten Monate als Familie geschafft haben – wir haben vielleicht drei Stunden pro Nacht geschlafen, tagsüber hat Neo vielleicht Mal 20 Minuten gedöst. Man denkt als Sportler nach dem Training vielleicht: Ob ich es heute wohl noch zum Einkaufen schaffe? Jetzt empfinde ich das als Quatsch – ich lerne plötzlich, wie viel man an einem Tag schaffen kann. Und das ist so viel mehr als man denkt. Wenn ich auf dem Platz bin, dann bin ich zu 100 Prozent fokussiert und konzentriert. Zu Hause aber, in meiner privaten Zeit, da ist Neo der Boss.

Triffst du in deinem Umfeld auf Verständnis für die neue Situation?

Definitiv, auch der Verein hatte schon vor der Geburt viel Verständnis dafür. Wenn irgendetwas mit Neo ist, dann finden wir immer eine Lösung. Dafür bin ich sehr dankbar.

Du bist sportlich sehr ehrgeizig – gibt es trotzdem Momente, in denen du lieber zu Hause bleiben würdest?

Jedes Mal. Mein Anreiz ist die Freude, meinen Sohn nach der Rückkehr wieder zu sehen. Sicherlich sind so Dinge wie ein zehntägiges Trainingslager besonders herausfordernd, aber so ist das nunmal. Ich spiele schon lange Fußball, und ich liebe es einfach.

Wie hat sich in deiner Zeit in Wolfsburg die Wahrnehmung des Themas Frauenfußball verändert?

Ich finde, dass wir manchmal einen Schritt nach vorne machen, später wieder einen Schritt zurück. Es ist immer ein Kampf um Respekt. Wir haben mit dem Verein in den vergangenen fünf Jahren viele wichtige Schritte gemacht, alles läuft ausgesprochen professionell. Und wir wollen weiter wachsen. Mit Blick auf den Frauenfußball allgemein sind wir gefühlt etwa auf dem gleichen Level wie vor fünf Jahren.

Was glaubst du, warum das so ist?

Vielleicht gehen viele zu selbstverständlich davon aus, dass wir gewinnen und Titel holen. Viele geben dem Frauenfußball auch gar nicht erst eine Chance. Haben vielleicht noch nie oder vor 20 Jahren eine Partie gesehen. Dabei entwickelt er sich so schnell und dynamisch. Und sicherlich ist klar: Ich persönlich schaue lieber Frauenfußball als Männerfußball.

Das Thema Homosexualität im Fußball wird bei den Männern immer wieder diskutiert – auch ist immer wieder von Spielern die Rede, die sich nicht trauen sich zu outen. Du bist mit einer Frau verheiratet, gehst damit selbstbewusst um und setzt dich, hier und in deiner Heimat, für das Thema ein. Siehst du dich in einer Vorbildrolle?

Meine regenbogenfarbene Kapitänsbinde etwa hat große Reaktionen ausgelöst. Es war nicht mein Ziel, eine Vorbildrolle einzunehmen – ich habe dafür mittlerweile verstanden, dass es so ist. Dieser Rolle möchte ich so gut es geht annehmen, bekomme dabei auch Unterstützung von anderen.

Wirst du etwa unterwegs oder bei Auswärtsfahrten auf das Thema angesprochen?

Definitiv – von Angesicht zu Angesicht dabei nur positiv. Viele finden es stark, mutig, oder bedanken sich, weil ich das Thema in die Öffentlichkeit bringe. Das bedeutet meiner Freundin und mir auch sehr viel. Vor allem, wenn wir wissen, dass wir damit anderen helfen können.

Wie motivierst du andere Spielerinnen, die sich das Coming-out nicht trauen?

Man sollte keine Angst haben, wie andere einen sehen. Ich bin wie ich bin – ob mich andere respektieren oder nicht, ist mir egal. Es ist sicherlich nicht einfach, aber ich versuche stark zu sein und fühle mich danach einfach besser. Ich habe damals viel mehr Support als Shitstorm bekommen.

Was kann der Männerfußball vom Frauenfußball lernen?

Wir liegen nicht so viel auf dem Boden (lacht). Vielleicht haben wir eine etwas andere Einstellung zum Thema Fair Play. Wir spielen einfach, meckern nicht so viel und konzentrieren uns auf unser eigenes Spiel. Auch finde ich, dass unsere Spielweisen sehr kraftvoll und engagiert sind.

Was wolltest du der Männerwelt schon immer einmal sagen?

Übernimm Verantwortung für dein Handeln. Auffällig ist: In Diskussionen über Sexismus entgegen Männer oft, dass Männer schon häufiger so seien – aber natürlich nie man selbst. Oft hilft es, wenn derjenige sein eigenes Tun stärker reflektiert.

Wie verbringst du die freie Zeit neben Fußball, Freunden und Familie?

Ich lese gerade ein Buch über Nachhaltigkeit. Darüber, ökologisch zu leben. Anfang August bereits war „Earth Overshoot Day“: Bis dahin hat die Menschheit alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die die Erde für ein Jahr zur Verfügung hat. Außerdem habe ich neulich gelesen, dass Stephen Hawking der Menschheit nur noch rund 100 Jahre auf der Erde gibt, dann müssen wir den Planeten wechseln. Das gibt einem schon zu denken.

Welche Ziele sind dir für die nächsten Monate wichtig?

Sportlich betrachtet möchte ich natürlich immer Titel holen, so viele wie möglich. Grundsätzlich möchte ich beim Training stets gut dabei sein, mich weiterentwickeln und sicherlich auch Tore schießen. Zu Hause möchte ich einfach nur für meinen Sohn da sein. Er ist zwar noch sehr jung, am Ende des Tages ist mir dafür wichtig, dass er ein guter Mensch ist.

Falk-Martin Drescher

studierte Stadt- und Regionalmanagement und ist gelernter Quartiersmanager, engagiert sich selbst ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender des Braunschweiger Kultviertels. Im Medienbereich selbstständig, neben seiner journalistischen Tätigkeit als Konzepter, Moderator und im Bereich Influencer Relations aktiv. Mit dem The Dude-Newsletters (www.meett hedude.de) informiert er zudem jeden Montagmorgen über ausgewählte Events und Neuigkeiten aus der Region.

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