Skip to main content

Y-JOBS

13. September 2022

Bin ich ein guter Mensch ...

... weil ich im Internet Petitionen unterschreibe?

(Bild: fotolia/Mikhail Miroshnichen)

Für Frauen in aller Welt, Flüchtlinge, Umweltschutz, bedrohte Tiere…?
Oder ist es nicht vielmehr die schlichteste Variante des Gutseins?
Einfach anklicken. Die Welt wird besser und mich kostet das nichts außer ein paar Sekunden.

Neujahrsvorsatz: Mich mehr um Menschen in meiner Umgebung kümmern. Zum Beispiel dem alten Witwer, der über mir wohnt, öfter Essen vorbeibringen und mit ihm plaudern. Beim Projekt einer Freundin mitmachen, die in ihrem Viertel Abende mit Flüchtlingsfrauen organisiert. Dem Obdachlosen in unserer Straße nicht nur ab und zu Geld geben, sondern mit ihm reden, ihm einen Kaffee kaufen.

In diesen globalen, vernetzten Zeiten ist regionales Handeln noch lange nicht altmodisch. Wie wäre es damit, aufmerksamer durchs Leben zu gehen? Und zwar dort, wo wir wohnen! Das Gute liegt so nah - heißt es doch. Ich habe schon viel von der Welt gesehen, doch in meinem München gäbe es noch einiges zu entdecken. Wenn ich also nicht mehr so viel reise, fliege, sondern mich in meiner Stadt und in der Region tummle, tue ich auch was für die Umwelt. Soweit die guten Vorsätze für 2018!

In der Lebensmittelbranche ist Regionalität ohnehin das neue Bio. Absoluter Trend. Produkte aus der Region stehen für Frische, Angebote der Saison und kurze Transportwege. Für die Unterstützung der Landwirtschaft in der Umgebung. Mit Ausnahme jener Großbetriebe, die auf Massentierhaltung oder die Anwendung von Glyposat nicht verzichten wollen! Aber das lässt sich ja nachprüfen, wenn wir regional kaufen. Alle Macht den Verbrauchern, die nicht wirklich exotische Waren brauchen, die um die halbe Welt geflogen wurden. Aufmerksamkeit ist auch ein Zauberwort in der Konsumentenwelt. Schauen wir einfach genauer hin, woher alles kommt und wie es produziert wurde.

Region ist die kleine Schwester der Heimat, und sie ist noch nicht in Verdacht geraten, von den Rechten für nationale Verherrlichung missbraucht zu werden.

Inzwischen haben auch die anderen Parteien entdeckt, dass Heimat mehrheitsfähig ist, aber so ein Gerüchle bleibt. Es weht durch Europas Mitgliedsstaaten, und in einigen stinkt es schon zum Himmel. Heimat sollte ein warmes Gefühl sein, keine politische Geisel!

Ich würde als meine Heimat eher Europa nennen als Österreich. Von dort bin ich mit einundzwanzig fortgegangen und nur zu Besuchen wieder gekehrt. Ich liebe die Steiermark, sie ist wunderschön. Aber wie so viele Österreicher habe ich ein kritisches Verhältnis zu meinem Herkunftsland. Franz Dobler hat ein wenig übertrieben, als er schrieb: Heimat ist da, wo man sich aufhängt. Der Satz wurde übrigens Thomas Bernhard untergeschoben, der über Österreich noch viel schlimmer hergezogen ist. Mein Lieblingssprachkunstgrantler ist Karl Kraus. Sein bester Heimat-Aphorismus: Der Österreicher lässt sich aus jeder Verfassung bringen, nur nicht aus der Gemütsverfassung.

Christine Grän

wurde in Graz geboren und lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong, bevor sie nach München zog. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-Marx-Krimis bekannt, die auch verfilmt wurden. Sie veröffentlichte unter anderem die Romane „Die Hochstaplerin“, „Hurenkind“ und „Heldensterben“. Zuletzt erschienen „Amerikaner schießen nicht auf Golfer“, „Sternstraße 24“ und „Glück am Wörthersee“ im ars vivendi Verlag.

Mehr aus dieser Rubrik





Zur Startseite