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18. Januar 2024

Das Braunschweig-Wolfsburg-Sofa

Ist Glück Glückssache?

( Fotografie: Marc Stantien )

Die Entwicklung des World-Happiness-Index verdeutlicht, dass die Lebenszufriedenheit der Nationen bei einer Maximierung des Bruttoinlandsprodukts nicht unbedingt steigt. Deutschland unter den Top 20 wird von Dänemark unter den Top Drei stets weit überholt – dem Land, in dem „Hygge“ – Geborgenheit – eine Lebensphilosophie darstellt, geringe Einkommensunterschiede herrschen, ein sehr gutes Bildungssystem und Vertrauen in die regierenden Instanzen besteht. Welche Faktoren tragen außerdem zu einem „schönen Leben“ bei? Herausgeber Timo Grän hat mit Wirtschafts-Professor Mike Hoffmeister, der sich nach einem Schlaganfall auf die Spur der Sinnhaftigkeit des Lebens im Rahmen der Glücksforschung machte, gesprochen, was er persönlich aber auch als Glücksforscher in einer materialistischen Welt als Glück identifiziert.

Herr Hoffmeister, Sie befassen sich als Professor für International Management an der Ostfalia Hochschule in Wolfsburg mit dem Thema Glück. Sind Sie glücklich?
MH Das kann ich mit einem ganz klaren JA beantworten. Sehr sogar. Aber man kann nicht immer glücklich sein. Zum Glück gehört auch Unglück dazu. So wie Licht und Schatten. Berg und Tal. Ebbe und Flut. Ich habe auch Tage, an denen ich mich nicht wohl fühle. Das muss ich dann auch mal aushalten. Wie mit den Wolken – die Sonne scheint immer, aber es gibt Wolken, die sie verdecken und auch wieder verschwinden.
 
Wie kommt ein Wirtschafts-Professor auf das Thema Glück?
MH Meist, wenn man echte Krisen, Krankheiten und Konflikte erlebt, ist man bereit, etwas in seinem Leben zu ändern. Ich hatte vor einigen Jahren einen Schlaganfall, den ich glücklicherweise gut überlebt habe. Aber dann denkt schon über das Leben nach: Ist das was ich mache, auch das, was mich wirklich mit Freude erfüllt? Häufig nicht. Ich habe mein Leben nach meinem Schlaganfall in vielen Bereichen nachhaltig geändert. Seitdem ich meinem Leben eine neue Richtung gegeben habe, lebe ich viel glücklicher und erfüllter. So makaber es auch klingen mag, der Schlaganfall war in dieser Hinsicht auch ein „Glücksfall“ für mich, denn ich habe meine Haltung zum Leben geändert. Mir ist bewusst geworden, dass das Leben endlich ist. Ich kann also nur die Lebensqualität über eine andere Haltung zum Leben ändern, denn ich bin für mein Leben verantwortlich, sonst niemand. Ich erlebe es immer wieder, dass junge Menschen nicht ihr eigenes Leben, sondern das anderer leben. Das finde ich sehr schade. Daher habe ich in allen Vorlesungen und Workshops Aspekte eines guten Lebens eingebaut, um meine Studierenden dazu zu inspirieren, IHR Leben zu leben. Wir Menschen werden als Individuen geboren, sterben aber als Kopie, weil wir uns viel zu oft anpassen.

Wie definieren Sie Glück?
MH Glück hat viele Dimensionen. Auf Basis der Glückswissenschaften habe ich vier Glückbegriffe definiert: Das Zufallsglück, also eine Fügung des Schicksals im Sinne von „Ich habe Glück gehabt“. Die zweite Dimension ist das sogenannte Wohlfühlglück: „Ich fühle mich glücklich“. Dies ist ein psychischer, emotionaler Zustand des Menschen. Ein sehr subjektives, augenblicksbezogenes Wohlbefinden. Die dritte Dimension bezieht sich auf das individuelle Werteglück, also die Sinnhaftigkeit meines Tuns im Einklang mit meinen Werten. Kann ich meine Werte, Stärken und Talente leben bzw. umsetzen: „Ich habe ein glückliches Leben“. Die vierte Dimension ist das kollektive Werteglück, bei dem das „große Ganze“ im Mittelpunkt steht. Hier spielt auch Spiritualität und Dankbarkeit eine große Rolle. Was kann ich für die Gemeinschaft tun. Wie kann ich anderen Menschen helfen: „Ich habe ein sinnerfülltes Leben“.

Wie sieht denn bei Ihnen ein sinn-erfülltes Leben aus?
MH Ich konzentriere mich auf Dinge, die für mich sinnvoll sind und mir Freude bereiten. Ich habe beispielsweise ein Master-Studium der Positiven Psychologie in Berlin angefangen. Denn mein Motto ist: Lebenslanges Lernen macht glücklich! Nächstes Jahr werde ich das Studium abschließen. Für mich gehört zu einem erfüllten Leben aber auch dazu, anderen Menschen zu helfen.  
 
Was macht Sie an Ihrer Arbeit glücklich?
MH Es begeistert mich, wenn man junge Menschen – wie beispielsweise meine Studierenden – inspirieren kann, ihr Leben aktiv zu gestalten. Den richtigen Job zu wählen, der ihren Werten entspricht und bei dem sie ihre Stärken und Talente einsetzen können. Kurzum, die Sinnhaftigkeit meines Tuns motiviert mich sehr und ist ein wichtiger Glücksfaktor.  
 
Machen Sie auch Geld oder materielle Güter glücklich?
MH Sich selbst für Leistungen zu belohnen, ist wichtig. Ich habe in den letzten Wochen sehr viel gearbeitet und mir als Belohnung beim Black Friday einen kleinen mobilen Lautsprecher gekauft. Ich freue mich schon sehr darauf. Was mir aber noch mehr viel mehr Freude bereitet, sind gemeinsame Erlebnisse mit Freuden und Zeit in der Natur zu verbringen. So war ich mit einer sehr guten Freundin ein paar Tage zur Erholung an der Nordsee. Wir hatten eine wunderschöne, erholsame Zeit zusammen. Oder auch tolle Gespräche mit Freunden. Meine wichtigste Erkenntnis ist: Geld allein macht nicht nachhaltig glücklich. Natürlich kann man mit Geld ein sorgenfreieres Leben gestalten. Ich kann mir einen Urlaub leisten, muss nicht jeden Cent umdrehen. Kann mir gutes Essen leisten, mich persönlich weiterentwickeln – wie mit meinem berufsbegleitenden Studium zum Beispiel. Aber mit dem Geld und materiellen Gütern muss man das differenziert betrachten.  
 
Können Sie das näher erläutern?
MH Man spricht in der Glücksforschung auch vom abnehmenden Grenznutzen des Geldes hinsichtlich des subjektiven Wohlbefindens. Als Student hatte ich nicht viel Geld und musste genau überlegen, wie ich es ausgebe. Mit zunehmenden Einkommen nimmt dieser Effekt ab. Dann sind gemeinsame Ereignisse wesentlich bedeutsamer für das Wohlbefinden als materielle Dinge. Ich weiß noch, als ich mein erstes Auto gekauft habe – ich war unheimlich stolz darauf. Nach einer Weile hat man sich daran gewöhnt und man wollte mehr. Kurz- bis mittelfristig steigt das Wohlbefinden, aber nach einiger Zeit sinkt es zurück auf das normale Niveau und man möchte wieder mehr.

Man kann also auch ohne Geld und materielle Dinge ein glückliches Leben leben?
MH Ein ganz klares „Ja“. Man darf nicht vergessen: „Besitz besitzt“. Wenn ich beispielsweise Immobilien oder Aktien besitze, muss ich mich auch darum kümmern und das kann auch belastend sein. Man vergleicht sich meistens mit Personen, die mehr Geld und Besitz haben und wird neidisch. Aber man muss auch berücksichtigen, welchen Preis diese Personen zahlen. Auch reiche Personen können Existenzängste haben oder die Angst, ausgenutzt zu werden. Gerade bei Unternehmerinnen und Unternehmern kommt hinzu, dass sie Verantwortung für ihre Mitarbeitenden haben. Und auch für deren Familien, was sehr belastend sein kann – vor allem in Krisenzeiten. Ein bewusster Verzicht auf materielle Dinge kann befreiend wirken. Stichwort: Der Lebensstil Minimalismus. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich nach meinem Schlaganfall einen Spaziergang im Wald an einem herrlichen Tag im Frühjahr machte. Da kam auf einmal ein sehr warmes, wohltuendes Gefühl in meinem Körper auf und der Gedanke, dass man mir alle materiellen Besitztümer nehmen kann, aber das, was ich für ein erfülltes Leben brauche, habe ich in mir. Meine Stärken, meine Talente und vor allem mein Urvertrauen. Und das kann man mir nicht nehmen.  

Man kann also lernen, wie man glücklich leben kann.
MH Ja, auf jeden Fall. Studien zeigen, dass der Unterschied zwischen glücklichen und unglücklichen Menschen zu etwa 40% durch aktives Handeln erklärt werden kann. Und genau hier setzt auch die Glücksforschung an.

Können Sie ein Beispiel geben, wie sie hier ansetzen?
MH Eine gute Übung ist das Schreiben seiner eigenen Grabrede aus der Perspektive unterschiedlicher Menschen. Das können beispielsweise sein: Der Partner, ein Freund, die Kinder, Kollegen, der Vorgesetzte. Was wünsche ich mir, was die die Redner über mein Leben sagen sollen? Da kommen sehr schnell Werte auf, die für mich wichtig sind, aber leider nicht von mir gelebt werden. Das schafft eine große Betroffenheit. Und genau hier setze ich dann an: Wie kann ich es schaffen, meine Werte und nicht die anderer zu leben? Und dann werden häufig Gründe genannt, warum es nicht geht – das sind meistens negative Glaubenssätze.

Was verstehen Sie unter Glaubenssätzen?
MH Glaubenssätze sind subjektive Wahrnehmungsfilter und basieren nicht auf Logik. Sie geben dem Leben eine Orientierung. Es gibt sowohl positive als auch negative Glaubenssätze. Diese werden häufig von Eltern, Freunden, Verwandten, Kollegen oder aus Medien und Gesellschaft übernommen. Insbesondere die negativen Glaubenssätze stehen oft einem schönen Leben im Weg. Ich kann das nicht. Es ist halt so. Ich würde, wenn ich könnte…

Haben Sie auch negative Glaubenssätze und wie gehen sie damit um?
MH Auch ich habe manchmal noch negative Glaubenssätze. Auf der Europäischen Konferenz für Positive Psychologie in Reykjavik im letzten Jahr hatte ich meinen ersten Auftritt als Redner. Da kamen Zweifel bei mir auf: Bin ich denn als Wirtschaftsprofessor kompetent genug, um auf einem Psychologenkongress zu referieren? Ich stelle mir dann erstmal folgende Fragen. Erstens: Ist mein Glaubenssatz wirklich und IMMER wahr? Nein. Denn ich bringe aus meiner Erfahrung als Betriebswirt neue Perspektiven ein. Die Glücksforschung ist auch ein interdisziplinäres Wissenschaftsgebiet. Zweitens: Woran würde mich dieser Glaubenssatz in meiner Entwicklung behindern? Meine Antwort: Ich würde mich nicht weiterentwickeln und auf der Stelle treten. Es war für mich schon eine Herausforderung. Aber das Feedback der Kongressteilnehmer war sehr gut und hat mich bestärkt, mich weiter in diese Richtung zu entwickeln. Persönlich nutze ich hierzu Interventionen zur Affirmation, um die negativen Glaubenssätze umzuwandeln, das eigene Selbstwertgefühl aufzubauen und sich über seinen vorhandenen, eigenen Stärken bewusst zu sein.

Was sind Ihre ganz persönlichen Glücksfaktoren?
MH Ein altes Sprichwort sagt: „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Und da ist vieles dran. Grundsätzlich ist es meine Entscheidung, meine Verantwortung, ob ich glücklich sein will oder nicht. Wahres Glück kommt nicht von außen, sondern von Innen. Es ist also auch eine Frage der Haltung. Will ich Opfer oder Schöpfer meines Lebens sein? Es braucht auch Mut, sein Leben neu auszurichten. Mut zum Loslassen. Loslassen von alten Gewohnheiten, von Menschen, die mir nicht gut tun oder auch von Projekten und Plänen. Das fordert natürlich auch Kraft, weil man andere Menschen nicht enttäuschen möchte. Aber letztendlich geht es um mein Leben.

Wie bzw. woraus schöpfen Sie Kraft?
MH Am meisten Kraft schöpfe ich in der Natur. Im Wald. Einer meiner Kraftorte ist das Hasselbachtal in Wolfsburg. Da gibt es eine Bank am Hasselbach. Da sitze ich öfter und lasse meine Blicke über eine große Wiese schweifen und kann mich total entspannen. Oder lange Spaziergänge am Strand an der Ostsee.

Zum Schluss noch eine Frage: Was war Ihr schönster Glücksmoment im letzten Jahr?
MH Zeit mit meinem 14-jährigen Patenkind Leo zu verbringen und Pizza zu essen. Einmal fragte ich Leo dabei: „Was ist der Sinn des Lebens?“ Und Leo sagte ganz spontan: „LEBEN!“

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 29 / Winter 2023.

Timo Grän

Herausgeber des Stadtglanz und der Service-Seiten. Verbrachte seine ersten Lebensjahre in Sambia und Botswana, bevor er Kind dieser Region wurde. Seitdem ein Förderer des Regionspatriotismus.

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