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Y-JOBS

11. Oktober 2023

Faszination Ingo Lehnhof: Wenn Farbe zu Körpern wird

Schokolade mag fast jeder.

(Fotografie: Ingo Lehnhof)

Wenn du im Mittagstief hängst, kann dich ein Stückchen Traubennuss wieder auf die Sonnenseite des Schreibtischs bringen. Für den Braunschweiger Künstler Ingo Lehnhof (63) ist Schokolade auch ein Werkstoff.

Als wir bei Tee und selbstgebackenem Pflaumenkuchen in seiner Wohnung zusammensitzen, muss ich bei der Betrachtung der „Schokofresse“ doch mal nachfragen: „Hast du dir da tatsächlich Schokolade ins Gesicht geschmiert?“  Ingo schaut ehrlich verdattert und sagt: „Na logisch! Ganzes Glas Nutella!“ Andere hauen sich zur Beruhigung der irritierten Haut gern mal eine Schokomaske aus der Kosmetikabteilung ihres Vertrauens auf die Haut, auf dass sie in samtiger Ebenmäßigkeit neuen Glow ausstrahlen möge. An der Abbildung aufpolierter, gewissermaßen geschönter Schönheit war dem Künstler Ingo Lehnhof noch nie gelegen. Eher an Irritation. Und so liegt auch in seiner Porträtmalerei das Augenmerk auf Charakterisierung, niemals auf Idealisierung. Das kann denn eben auch mal, gelinde gesagt, überraschend sein, wenn Selbstwahrnehmung auf den Blick des Künstlers trifft. Wer Ähnlichkeit will, sollte vielleicht lieber KI bemühen. Ob die toten Augen der Künstlichen Intelligenz das Wesen, das Innere jedoch so trifft wie der Menschenmaler Lehnhof? Fraglich.

Die Reaktionen auf Lehnhofs Werke schwanken mitunter zwischen Ekel und Faszination, Abscheu und Begeisterung. Mich hat allein schon die handwerkliche Könnerschaft von Lehnhof immer beeindruckt. Diese farbige Brillanz, diese Impulsivität in der Pinselführung, diese geradezu haptische, sinnlich glänzende, aus vielen Schattierungen und Nuancen gewobene Hautmalerei. Wenn du vormals geglaubt hast, es gibt so viele Hauttypen wie Emojis auf dem Smartphone, dann erkennst du in Lehnhofs Werk: es ist ein Kosmos an Möglichkeiten.

Selbst wenn man die „Schokofresse“ ein bisschen bäh finden mag, lohnt die Überwindung dieses Gefühls unbedingt. Je näher man dem Bild kommt, desto mehr verschwimmt das Gesicht zu reiner Farbe. Da kann man sich verlieben in fliederfarbene Tupfer, träge fettige Braunflüsse, bleiche Rosatöne. Beim Distanzieren baut sich die Illusion des Gegenständlichen dann wieder auf.  

Obwohl man die Physiognomie Lehnhofs in vielen Werken erkennt, sind das nicht allesamt Selbstporträts. Der Hintergrund ist banal: „Porträtsitzen ist eine Quälerei.“ Außerdem würden Modelle „eine Trillion Euro“ kosten, übertreibt der Absolvent der HBK Braunschweig nur unwesentlich. Weil er jedoch das, was er auf die Leinwand bringen will, unbedingt sehen muss, arbeitet er in seinem Atelier, das in der Wohnung gegenüber der Küche liegt, mit Scheinwerfern und Spiegeln. Er steht sich dann selbst Modell, variiert Fratzen und Posen, Bewegungen und Haltungen. Betreibt intensive Studien von Licht und Schatten auf der Haut. Man muss sich das als unglaublichen Kraftakt vorstellen. Wie der Maler sich immer wieder in die gleiche Position bringen muss, dann wieder ran an die Leinwand, zig Mal, Stund` um Stund`. Täte es da nicht auch ein Foto? Lehnhof winkt ab: „Das ist nicht so räumlich, da fehlt die Plastizität.“  

Kommerziell hätte es für Ingo am nationalen, vielleicht sogar am internationalen Kunstmarkt, aus meiner Sicht, angemessener laufen können. Aber wer versteht schon wie der Kunstmarkt tickt. Und sich anbiedern? Niemals. „Ich arbeite aus mir selbst heraus.“  

Nur für GEOlino macht er eine Ausnahme. Das Kindermagazin von GEO bereichert er mit Wimmelbildern zu vorgegebenen Quatschgedichten. Diese fein gezeichneten, schräg-schönen, erzkomischen Wimmeleien – noch so ein meisterhafter Kosmos mit reichem Entdeckungspotenzial.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 28 / Herbst 2023.

 

 

Susanne Jasper

ist in Braunschweig aufgewachsen. Sie studierte Germanistik sowie Geschichte und volontierte später bei der Braunschweiger Zeitung. Wie die Journalistin und Mutter zweier mittlerweile erwachsener Söhne dem Leben mit Humor begegnet, lässt sich seit 15 Jahren in der dort regelmäßig erscheinenden Kolumne „Kinder, Kinder“ nachlesen. Zudem schreibt sie für verschiedene Medien in der Region und gelegentlich auch für Fachzeitschriften wie das Fußballmagazin 11 Freunde.

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