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9. September 2021

Eine Hündin und ein Hasenfuß

Mit einem Vierbeiner an seiner Seite tritt unweigerlich auch ein Gefühl von Unbesiegbarkeit in das Leben – schließlich begleitet einen nun jemand, der im Fall der Fälle schützend und verteidigend reagiert. Oder?

Und auf einmal dackelt da nun immer jemand neben einem her, wenn es raus zum Spaziergang geht. Kling-kling-kling. Mit jedem Schritt klimpert das Halsband, ganz leicht nur und angenehm harmonisch, wie ein perfekt ausgeführter Begleitakkord. Nur manchmal bleibt die Hündin – kniehoch mit goldenem Rücken, weißem Bauch und ebenso weißen Pfoten, die puschelige Rute hin und her wedelnd, sobald sich die Blicke treffen – abrupt stehen. Ein einzelner Grashalm muss inspiziert werden, überaus gewissenhaft, fast schon penetrant. Es sind eben die kleinen Dinge, die eine große Leidenschaft entflammen können.

Das Tollste aber ist diese Stärke in der eigenen Brust, die mit einer Hündin an der Seite erscheint, ja, ein Gefühl von Unbesiegbarkeit. Es ist doch schließlich so: Im Fall der Fälle ist da jetzt eine aufmerksame und treu ergebene Hündin, an deren einem Ende ein furchteinflößendes tiefes Bellen zwischen scharfen Reiß- und Fangzähnen hervorgeschossen kommt – eine Hündin als Leibwächterin. Spaziergänge bei Dunkelheit auf Wegen mitten durchs Nirgendwo, hohe Büsche und Bäume ringsum, alleine, nicht einmal mit einem Handy ausgestattet, nur die Hündin ist dabei. Ab sofort kein Problem mehr!

Es ist abends. Beinahe schon dunkel. Gut 100 Meter entfernt tauchen Umrisse auf, mit jedem Schritt werden sie schärfer. Anspannung kriecht den Rücken hinauf in den Nacken. Ein Blick nach links unten – zur Leibwächterin. Die schlägt Kurs auf einen besonders langen Grashalm ein. Hm. Der eigene Gang wird langsamer, der Herzschlag schneller. Nun sind es noch um die 50 Meter, der Statur nach zu urteilen ein stattlicher Mann. Das mulmige Gefühl wird stärker. Und die Leibwächterin? Die mit dem furchteinflößenden Bellen und den scharfen Zähnen für den Fall der Fälle? Zack! Mit einem Satz ist sie hinter einem verschwunden, nur der Kopf lugt an den Beinen vorbei dem Fremden entgegen.

So schnell zerplatzt die Utopie der Unbesiegbarkeit. Die Hündin ist ein Hasenfuß! Und nicht nur das: Sie benutzt einen als Schutzschild! Na toll. Bleibt wohl doch nur das harmonische Klimpern des Halsbandes als toller Nebeneffekt, von einem Vierbeiner begleitet zu werden. Der Mann war übrigens ein Spaziergänger, der gerne in der Ruhe der Dunkelheit unterwegs ist. Genau wie man selbst.

Johanna Feckl

Johanna Feckl, geboren 1989, hat Germanistik und Philosophie in München und Berlin studiert. Seit 2015 arbeitet sie als freie Journalistin unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“, die „Deutsche Presse-Agentur“ und andere. Meistens findet man sie in München oder in Braunschweig und sehr oft im Zug irgendwo dazwischen – manchmal sogar mit Fahrrad.

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