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16. Oktober 2025

Medizin im Wandel

Medizinischer Fortschritt begegnet uns jeden Tag: verbesserte Diagnostik, schonendere Operationen, kürzere Aufenthalte im Krankenhaus. Doch wann wird aus Fortschritt eigentlich Innovation? Und welche Entwicklungen verändern unser Gesundheitssystem nachhaltig? Darüber sprachen wir mit Prof. Heller, Orthopäde und Unfallchirurg.

Herr Prof. Heller, wenn Sie an Innovation denken – was verstehen Sie darunter?

Eine Innovation verändert den Versorgungsstandard grundlegend. Fortschritt bedeutet, etwas Bestehendes zu optimieren – zum Beispiel die postoperative Genesung durch Fast-Track-Programme zu beschleunigen. Innovation dagegen bringt etwas völlig Neues: etwa 3D-gedruckte, patientenspezifische Implantate oder robotisch assistierte Operationen mit KI-gestützter Navigation.

Von der Idee zum Produkt: Wie wird aus einer Forschungsidee ein neues Verfahren?

Der Weg ist lang und streng reguliert: von der Grundlagenforschung über Labor- und Tiermodelle bis hin zu klinischen Studien und Zulassungsverfahren. Nur wenn Sicherheit, Wirksamkeit und Akzeptanz nachgewiesen sind, findet eine Innovation ihren Weg in den klinischen Alltag. Kosten und Dauer sind dabei große Hürden – die Entwicklung neuer Medikamente kann Milliarden verschlingen.

Welche Schwierigkeiten sehen Sie besonders?

Neben der Finanzierung vor allem die regulatorische Komplexität. Sicherheit und Ethik haben zu Recht oberste Priorität, gleichzeitig erschweren aufwändige Verfahren in Europa schnelle Zulassungen. Und am Ende entscheidet auch die Akzeptanz bei Fachgesellschaften, Ärztinnen und Ärzten sowie den Patientinnen und Patienten über den Erfolg.

Eigene Erfahrungen: Gab es Projekte, die Sie persönlich begleitet haben?

Ja, zum Beispiel die Entwicklung neuer Hüftprothesen. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass bei herkömmlichen Schaftmodellen zu viel Knochen entfernt werden musste – ein Problem bei späteren Revisionen.

Gemeinsam mit Implantatherstellern entstanden minimalinvasive Modelle, die besser im Knochen verankern. Der Weg reichte von biomechanischen Tests über klinische Studien bis hin zur Zulassung und breiten Anwendung.

Technologische Innovationstreiber: Welche Technologien prägen die Medizin derzeit am stärksten?

Ganz klar die Künstliche Intelligenz – in Radiologie, Pathologie oder Neurochirurgie. Robotik unterstützt heute schon Operationen, etwa durch präzisere Schnittführung. 3D-Druck erlaubt patientenspezifische Implantate, antibakterielle Beschichtungen verhindern Infektionen. Hinzu kommen Wearables, Apps auf Rezept und Telemedizin, die Patient:innen in den Alltag begleiten. Und nicht zu vergessen: die Fortschritte in Genommedizin, Biotechnologie und regenerativer Medizin.

Digitalisierung im Alltag: Wie hat die Digitalisierung Ihre Arbeit verändert?

Wir planen Operationen mittlerweile mit digitaler Software, die Prothesengröße und -position exakt berechnet. Navigationssysteme und Roboter unterstützen im OP, Registerdaten liefern belastbare Langzeitergebnisse. Dadurch können Kliniken ihre Qualität transparent messen – ein enormer Fortschritt für die Patientensicherheit.

Zwischen Begeisterung und Skepsis: Stoßen neue Technologien eher auf Zustimmung oder Zurückhaltung?

Beides. Ärztinnen und Ärzte schätzen präzisere Diagnostik und sicherere Eingriffe, Patient:innen verbinden Hightech mit Vertrauen und besseren Heilungschancen. Gleichzeitig gibt es Vorbehalte: längere OP-Zeiten, hohe Kosten, fehlende Langzeitdaten. Viele Patient:innen fragen sich auch, ob sie „Versuchskaninchen“ für neue Methoden sind. Innovation braucht daher immer Begleitung, Aufklärung und Geduld.

Ausbildung als Schlüssel: Wie wichtig ist die Schulung des Personals?

Entscheidend. Jede Innovation hat eine Lernkurve. Ohne Training steigt das Risiko für Komplikationen. Workshops, Simulationen und Hospitationen helfen, Sicherheit zu gewinnen. Nur gut geschultes Personal kann neue Technologien sinnvoll einsetzen – sonst bleibt selbst die beste Innovation wirkungslos.

Kosten und Finanzierung: Welche Rolle spielen die Finanzen?

Eine große. Innovationen sind teuer – und das derzeitige Vergütungssystem setzt Kliniken unter Druck. Hohe Anschaffungskosten können selten abgebildet werden. Deshalb sollten große Investitionen, etwa in Robotik, gezielt an Zentren gebündelt werden, die ausreichend Fallzahlen haben. Sonst droht die Gefahr, dass Innovationen im Nischenstatus bleiben.

Blick in die Zukunft: Welche Entwicklungen werden in den nächsten zehn Jahren am meisten verändern?

KI in Diagnostik und Therapieplanung wird Standard werden. Robotik und digitale Assistenzsysteme verbessern die Präzision im OP. Implantate aus dem 3D-Drucker werden individueller, Gen-Tests erlauben personalisierte Therapien, Telemedizin erleichtert die Versorgung auch im ländlichen Raum. Kurz: Der Alltag der Medizin wird digitaler, individueller und vernetzter.

Wünsche und Visionen: Welche Innovation wünschen Sie sich persönlich?

Eine Heilung der Arthrose – nicht nur durch Prothesen, sondern biologisch. Außerdem bessere Strategien gegen Protheseninfektionen und eine frühzeitige Erkennung von Osteoporose, bevor Knochenbrüche entstehen. Das wäre eine Revolution für viele ältere Menschen.

Ihr Rat an junge Mediziner*innen?

Neugierig bleiben, Routinen hinterfragen, Netzwerke knüpfen. Mut zur Innovation haben, aber die Bodenhaftung behalten. Am Ende setzen sich Verfahren durch, die medizinisch sinnvoll, praktisch machbar und wirtschaftlich tragfähig sind.

Und was wünschen Sie sich von Politik und Gesellschaft?

Mehr Förderung, weniger Bürokratie, innovationsfreundliche Vergütungssysteme und ein Klima des Vertrauens. Innovationen brauchen nicht nur Forschergeist, sondern auch gesellschaftliche und politische Unterstützung.

Vielen Dank für das Gespräch!

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